Dada im 7ten

Dada im 7ten

Im Theater Spielraum wurde das Publikum anlässlich einer Matinée Zeuge, dass dada lebt. Koloman Haslinger und Freunde stellten für das Publikum eine dada-Collage zusammen, die Lustiges, Spitzfindiges, Nachdenkliches und einfach nur Wortschönes präsentierte.

Kennen Sie den: „Was braucht es, um mitten in Wien in eine dadaistische Situation zu geraten? Eine rote Ampel!“ Dadaisten verstehen diese Frage ad hoc. Aber der Witz funktioniert nur in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Möglicherweise noch in einigen nordeuropäischen Ländern. Das war`s dann. Sie haben ihn nicht verstanden? Also, noch einmal, mit einem kleinen Zusatz: „Was braucht es, um mitten in Wien in eine dadaistische Situation zu geraten? Eine rote Ampel, und weit und breit keine Kinder, weit und breit keine Autos, Fahrräder, Mopeds und sonstiges Gefährt, aber 10 Leute, die stoisch auf das Umschalten auf Grün warten.“ Das ist dada im Alltag. Zumindest für jene, die eine dadaistische Ader haben. All jene, die damit nicht einverstanden sind, dürfen sich die Zeit sparen und können getrost aufhören, den Artikel hier weiterzulesen.

Was brauchte es am 15. März, einem Sonntagvormittag, um ein dada-Vollbad zu nehmen? Eine Eintrittskarte ins Theater Spielraum. Dort versammelte sich ein Teil jener, von einem Theatermann geschätzten 200 Österreicherinnen und Österreicher (also nicht 400 sondern 200 insgesamt, muss man ja mal korrekt wiedergeben, die Zahl), die sich bei dada „einen Ast abhauen“, „sich krumm und schief lachen“ oder – auch diese Sorte von dada-Mensch gibt es – ernsthafte literarische Studien betreiben wollen. Andächtig, laut lachend lauschten sie der von Koloman Haslinger zusammengestellten Performance „Dada im 7ten“, um anschließend, einem wunderbar kindischen, dadaistischen Regieeinfall sei Dank, mit zusammengeknülltem Papier, sprich Papierkugeln um sich zu schießen.

Zur Begrüßung lockte ein Nachbau von Marcel Duchamps Urinal das Publikum in den Saal. Jenes emblematische Kunstwerk, das mittlerweile von vielen als das Wichtigste des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird. (Zu Recht, muss man ja mal korrekt hinzufügen.) Im Laufe der Vorstellung füllte es sich – dada sei´s gedankt, nicht mit dem dafür vorgesehenen Inhalt, sondern mit zusammengeknüllten Papierkugeln auf denen wiederum die kurz zuvor vorgetragenen dada-Texte standen. „Alles für den Müll“also? Auch das ist sicher Ansichtssache. An diesem Vormittag unterhielten neben dem Regisseur Lieselotte Geistlinger, Monika Posch, Christoph Hatzenberger, Maria Auer, Waltraud Zechmeister, Nigel James, Magdalena Pfeifer und Manfred Loydolt die Zuseherinnen und Zuseher mit einem Potpourri von dada-Texten, die zum Teil in die Wiener Mundart übertragen wurden. Individuelle weiß-schwarze Outfits – von der Krawatte bis zu den Schuhen – sorgten dabei für eine vorgetäuschte Beruhigung der Szenerie, die noch zusätzlich durch musikalische Spenden von Daniela Krammer am Saxophon und Martin Metelka am Klavier aufgefrischt wurde.

Da wurden so wichtige Dinge erörtert wie die Geschichte des Hahns, der sich das Hühnchen aus dem Ei pickt, um Gesellschaft zu haben. Es wurde über den Hasen berichtet, der ein Schwein war, oder war er doch ein Fisch, ein Dampfschiff gar oder ein Floh? Man lauschte, welche Schönheit doch dem B innewohnt oder erfuhr, dass Hannoveraner keine Hundekrankheit bekommen. Schale, Scholle, Schule und Rolle brachten einen der Performer schier zum Wahnsinn und dass Banalität jedes Bürgers Zier ist, wurde an diesem an Wissensvermittlung so reichen Vormittag auch klar. Wer sich bei wohlgeformter Lyrik behaglich fühlt, dürfte bei dem Satz „und auch die Seifenblase ist zum Teil mit Himmel gefüllt“ förmlich in einem solchen, siebenten geschwebt sein. Geschichtsbewusste horchten bei dem Befehl „Die Hahnenfeder ab, ihr Garibaldis!“ auf und mit dem Bericht „I hättat gsogt“ wurde bei dem einen oder der anderen eine Erinnerung wach, die man lieber ganz vergessen hätte.

Dada bedeutet auf Französisch eigentlich „Steckenpferd“. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde unter diesem Begriff im Cabaret Voltaire in Zürich jedoch eine neue Weltanschauung begründet, die antiklerikal und antifaschistisch ausgerichtet war. Dass diese noch lange nicht tot ist, bewies nicht nur Dada im 7ten, sondern davon zeugt auch jede rote Ampel auf dieser Welt, bei der weit und breit keine Kinder, weit und breit keine Autos, Fahrräder, Mopeds und sonstiges Gefährt zu sehen sind, aber 10 Leute, die stoisch auf das Umschalten auf Grün warten.

Theater kann auch Frühstück

Theater kann auch Frühstück

Das Theater Spielraum lockt zu seinen sonntäglichen Matineen auch mit einem köstlichen Frühstück

Café und Frühstück

Frühstück im Theater Spielraum (Foto: European Cultural News)


Gemütliche Rohrsessel. Eine unaufgeregte, angenehme Atmosphäre. Ein köstlicher Kaffee und ein umfangreiches Frühstück. Die Rede ist nicht von einem hippen Lokal mit Frühstücksangebot wie es derzeit in Wien so modern ist. Vielmehr findet sich das alles an ausgewählten Sonntagvormittagen im Theater Spielraum in der Kaiserstraße.

Plus: Einem interessanten kulturellen Angebot. Die Palette reicht von Lesungen über Diskussionen, Vorstellungen neuer Produktionen bis hin zu – wie Anfang März – der Aufführung der „Ursonate“ von Kurt Schwitters. Nicole Metzger und Gerhard Werdeker, die das Theater im Siebenten leiten, haben mit diesen Matineen offenbar den Publikumsgeschmack getroffen.

Fümms bö wö tää zää Uu, pögiff, kwii Ee. Rinnzekete bee bee nnz krr müü? Ziiuu ennze, ziuu rinnzkrrmüü rakte bee bee. Sie haben nichts verstanden? Sollten Sie auch nicht. Denn der Urheber dieser Nonsenszeilen, Kurt Schwitters, beabsichtigte mit seiner Komposition dies auch gar nicht. Schwitters war einer der Hauptvertreter des Dadaismus, der aus einer verständlichen Reaktion auf den Ersten Weltkrieg entstand. Das, was war, das, was die herrschende Klasse der Welt zugemutet hatte, konnte weder in Worte gefasst, noch kommentiert werden. Und die Welt war nach diesem Krieg nicht mehr dieselbe wie vorher. Die Dada-Bewegung, die in einem kleinen Café, dem Café Voltaire in Zürich, ihren Ausgang nahm, zielte gerade auf das Kontra gegenüber allen bisherigen gesellschaftlichen und vor allem künstlerischen Konventionen ab.

Und doch steckt hinter Schwitters Ursonate viel mehr als nur Nonsens. Sie ist ein „durchkomponiertes“ Lautgedicht, das auf den bis dahin üblichen Sonatensatz aufbaut. Kunstvollst arrangiert, mit starken rhythmischen Passagen, haben noch heute manche Menschen Mühe, bei einer der seltenen Aufführungen auch zu lachen. Viele haben im Hinterkopf das Etikett „hehre Kunst“, dass es ihnen verbietet, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Philipp Maurer und Kolomann Haslinger gelang es bei ihrer Präsentation jedoch, das Publikum richtig zu erheitern. In der Regie von Eva Ortmayr waren es nicht nur die lautmalerischen Sensationen, die das Zwerchfell reizten. Da schlüpfte doch Maurer tatsächlich kurzfristig in die Rolle eines Priesters, der lautgewaltig seine Predigt hielt, während Haslinger neben ihm mit permanenten Gebetsbeugungen seine Murmellitanei darbot.

An anderer Stelle entwickelte sich ein hitziges Streitgespräch, bei dem Maurer, mit grauem Rauschebart und schwarzer, eng anliegender Lederhose, seinem Gegenüber mit Drohgebärden gefährlich nahe kam. Interessant war auch die Beobachtung, dass auch Nonsensworte durch die Mimik und Gestik und den stimmlichen Ausdruck durchaus in der Lage sind, eine Botschaft zu kommunizieren. Ganz abgesehen von jener Einlage, in der Maurer Verdis „la donna è mobile“ zum Besten gab, selbstredend mit einem unverständlichen Kauderwelsch und sich Haslinger prompt mit einem kleinen Tänzchen anschloss.

In der Fassung von Maurer und Haslinger wurde die Ursonate um ca. 30 Prozent gekürzt, was eine Aufführungsdauer von etwas mehr als 30 Minuten ergab. Ein kluger Schachzug, durch den keinerlei Langeweile aufkam. Im anschließenden Publikumsgespräch wurde auf die literarische dada-Nachfolge der Wiener Gruppe mit H.C. Artmann und Ernst Jandl hingewiesen und auch das Umfeld der Ursprungsbewegung ein wenig beleuchtet.

Was ist dada nun aber genau? Eine Kunst? Eine Philosophie? Eine Politik? Eine Feuerversicherung? Oder: Staatsreligion? Ist dada wirklich Energie? Oder ist es Garnichts, d.h. alles?

All diesen „wichtigen“ Fragen geht das Theater Spielraum noch einmal nach. Mit seinem Programm Dada im 7.ten am 15. März. Erwartet werden insgesamt 10 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die das Publikum mit dadaistischen Collagen verwöhnen. Achtung: Es darf gelacht werden!

Und Frühstück gibt’s mit vorheriger Reservierung auch.

Link: Theater Spielraum

Wer heiratet, ist selbst schuld

Wer heiratet, ist selbst schuld

„Die falsche Zofe“ von Pierre Carlet de Marivaux in einer Bearbeitung von Nicole Metzger als Ehewarnung im Theater Spielraum

Eine abgehalfterte Existenz, die trotz großer Lebensweisheit dennoch vor menschlichen Überraschungen nicht gefeit ist. Ein jugendlicher Herzensbrecher, der sich die Damen ausschließlich nach ihrer finanziellen Ausstattung aussucht. Eine liebesverblendete Gräfin, die ihre Liebesabenteuer mit Verträgen absichern möchte und eine reiche, junge Frau aus Paris, die sich als Chevalier verkleidet, um ihren Zukünftigen auf die voreheliche Probe zu stellen.

Das sind die vier Charaktere in „Die falsche Zofe“ von Pierre Carlet de Marivaux. Jenem beinahe vergessenen französischen Autor, der wie kein Zweiter die menschlichen Liebesbeziehungen, oder was man gemeinhin für solche hält, psychologisch gnadenlos sezierte. Schon vor einem Jahr war im Theater Spielraum dieser Ausnahmeautor mit einem Werk vertreten. Nach dem Stück „Der Streit“ ist es dieses Mal ein Spiel über vorgetäuschte Emotionen und der berechnenden Missachtung von Gefühlen. Wer heiratet, ist selbst schuld, könnte der Untertitel dieser Aufführung sein. Wie schon in der ersten Marivaux-Aufführung glänzt auch diese mit Wortwitz und schwindelerregenden Handlungsverläufen. Der Genuss daran rührt sicherlich auch aus einer Bewunderung für die schlagfertigen Dialoge, die man in ähnlicher Art auch in französischen oder amerikanischen Gesellschaftskomödien finden kann. Der Kitzel beim Zusehen besteht hauptsächlich aus der Erkenntnis, dass man selbst ein Streitgespräch nie in derart gewählten Worten führen könnte. Eine Bewunderung, die auch heute noch in vollem Maße dem Autor dieser kleinen Meisterwerke gehört.

Die Rolle des Trivelin scheint Christoph Prückner auf den Leib geschrieben

Marivaux´ brillante Denkkaskaden, die nicht nur zu seiner Zeit den gesellschaftlichen Rahmen sprengten, machen einfach Spaß. Dass sich dazu auch noch eine Inszenierung fügt, die diesen in den Vordergrund stellt, verdoppelt den Genuss. Christoph Prückner ist dafür maßgeblich verantwortlich. Mit seiner Figur des Trivelin, einem heruntergekommenen Diener, der sich durch seine vermeintliche Menschenkenntnis und damit zusammenhängende, kleine Erpressungen über Wasser hält, belebt er die Szenerie ungemein. Seine wunderbar komische Erzählung über die erdichteten amourösen Abenteuer der Gräfin mit dem Chevalier unter Zuhilfenahme von Flaschen, lässt das Publikum mehrfach laut auflachen. Dabei kommt ihm ohne Zweifel seine mittlerweile 25-jährige Theatererfahrung zugute. Die Blickkontakte mit dem Publikum wirken nie gekünstelt, seine elegante Aussprache, aber vor allem sein komödiantisches Talent, das er mit einer starken Bühnenpräsenz vereint, ergeben ein schauspielerisches Gesamtpaket, das man gerne kauft.

Dana Proetsch stöckelt in atemberaubenden Highheels als Gräfin über einen Laufsteg, der für sie die Bretter ihrer adeligen Welt bedeutet. „Savoir vivre“, was man im Deutschen noch am ehesten mit dem Wissen um die Etikette übersetzen kann, steht in ihrer Werteskala ganz oben. Sie ist mit einem schwarzen Bustier und einem ebensolchen Taftrock ausstaffiert, durch den jedoch ein Hauch von Goldschimmer blitzt, um auf ihre finanzielle Ausstattung hinzuweisen. Herrlich, wie sie sich geziert um die Gunst des Chevaliers bemüht – zurückhaltend aufgrund der ihr auferlegten Regeln und zugleich verärgert über das Nichtankommen ihrer Liebesbotschaft. Christian Kohlhofer, der sich als Lelio durch einen Vertrag an ihre Liebe gebunden fühlt, erscheint als hartherziger und schmieriger Liebhaber, dem jedoch die Intelligenz zu einem Liebesausstieg fehlt, bei dem er sich nicht in Schulden stürzen muss.

Sprechende Kostüme von superated Peter Holzinger

Seine rot geschminkten Augen zeugen von seiner Intrigenschaft genauso wie von seiner Habgier, die jedes Liebesgefühl verkümmern lässt. Die nur teilweise rot geschminkten Augen von Madame wiederum sind eine proportionale Entsprechung dieser alles berechnen wollenden Beziehung. Superated Peter Holzinger, der für die Ausstattung sorgte, hat hier einen wunderbaren Querverweis auf die letztlich doch sehr ähnliche seelische Interessenlage der beiden Figuren geschaffen. Auch in Katharina Köllers Kostüm findet sich die Erklärung ihrer Motivation, in das Spiel um die Liebesverwirrungen einzusteigen. Ganz in Cremeweiß und Silber ist sie eine perfekte Antipodin für Lelio, dessen schwarzes Hemd, schwarze Kniebundhose und vor allem seine schwarzen Lackstiefel Rückschlüsse auf seine verderbte Handlungsweise geben. Weiss steht hier weniger der Unschuld als vielmehr der Intelligenz der falschen Zofe alias des Chevalier geschuldet, mit der sie ausgestattet ist. Und die Farbe Silber deutet von ihrer weniger noblen Abkunft als die Gräfin, wenngleich das intensive Glitzern ihrer Schuhe auf ihren größeren Reichtum verweist.

Bezüge zum Hier und Jetzt

Dass das Spiel nicht im Gestern verhaftet bleibt, dafür sorgt nicht nur jene Barmusik, die zeitweise das Geplänkel und Gezänk von Lelio und seiner Gräfin untermalt, sondern auch das eingangs gespielte Video von Reinhold Kammerer. Darin wird in rascher Schnittfolge eine witzige Collage von menschlichen Befindlichkeiten rund um das Thema der Ehe und Liebe präsentiert, das so manche gesellschaftlich anerkannte Absurdität demaskiert. Svetlana Schwin ist für eine Lichtführung verantwortlich, die den Raum gekonnt punktuell auch über das Hauptgeschehen auf der Bühne in Szene setzt. Trivelin, aber auch die Gräfin und Lelio versinken im letzten Bild gerade so im Dunkel, dass die Trostlosigkeit ihrer gebrochenen Herzen und die Nichterfüllung ihrer Träume dadurch eine sinnbildhafte Entsprechung erfahren.

Das Ende, das mit keinem Sieger und keiner Siegerin aufwartet, ist nicht nur für barocke Zeiten ein gewagtes. Wer sieht sich schon gerne mit Verlierern konfrontiert? Pierre Carlet de Marivaux, von dessen Leben nur einige markante historische verbriefte Stationen bekannt sind, scheute sich nicht vor einem solchen Schluss. Und macht damit sein Werk zeitgeistiger als jeder verkitschte Liebesroman der aktuell Millionenauflagen erzielt.

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Die Wirklichkeit hat keinen Sinn

Die Wirklichkeit hat keinen Sinn

Rauschende Roben, wechselndes Licht, philosophische Gedanken und Worte voll Ironie und Witz. Das alles hält das Theater Spielraum mit seiner neuen Produktion parat. „Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil ist dort in einer Bühnenfassung und Inszenierung von Gerhard Werdeker zu sehen. 2 Stunden und 45 Minuten dauert das Stück mit einer Pause. Ein gewagtes Unterfangen, liegt doch die durchschnittliche Aufführungsdauer am Theater heute bei einer Stunde und zwanzig Minuten.

Das Jahr 1914 wirft seine Schatten ins Heute

Ganz im Zeichen des Gedenkjahres von 1914 greift das Theater Spielraum nach den „Welten von Gestern“ abermals eine Thematik auf, die rund um dieses Datum angesiedelt ist.
In Werdekers Bühnenfassung des ausufernden Romans, die sich auf insgesamt sieben Charaktere beschränkt, wird die Hauptfigur Ulrich in jenem Jahr gezeigt, in welchem er sich aufmachte, „eine angemessene Aufgabe für seine Fähigkeiten zu finden“. „Sabbatical“ nennt man so etwas heute, ein vermeintlicher Freigang vom eigenen Leben, der doch oft nur wieder dorthin zurückführt, von wo aus man sich auf den Weg machte. Ulrich (Abraham Thill) bekommt durch eine Empfehlung seines Vaters Kontakt zu Se. Erlaucht Graf Leinsdorf (Reinhardt Winter), der ihn als Sekretär engagiert. Als solcher wird er angehalten, Ideen zur Vorbereitung einer „Parallelaktion“ einzubringen. Dabei soll das 70jährige und das 30jährige Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Josef und Kaiser Wilhelm begangen werden.

Der junge Ulrich und der arrivierte von Leinsdorf

Das Voranschreiten dieser Unternehmung wird in zahlreichen Zwiegesprächen zwischen Ulrich und Graf Leinsdorf deutlich. Dabei stehen sich die beiden stets in einem Respektabstand gegenüber. Eine überdimensionale Glühbirne markiert dabei das Büro in welchem die Gespräche stattfinden. Der Raum selbst, wird von einem architektonisch geführten weißen Vorhang markiert, der sich nur durch die unterschiedliche Beleuchtung einmal als Büro, ein andermal wieder als Schlaf- oder Wohnzimmer zeigt. Thill steht dabei in bunt kariertem Sakko und ungebändigten Locken Winter gegenüber, der in Anzug mit Weste und Krawatte sowie Lorgnon korrekt ausstaffiert den pflichtbewussten aber ideenlosen Grafen mimt. Thill verleiht der Figur von Ulrich jene plausible Unentschlossenheit, die ihm schließlich auch die Zuordnung als Mann ohne Eigenschaften einbrachte.

Das Weibliche als ewige Verlockung

Werdeker hat eines der Hauptaugenmerke bei seiner Inszenierung auf die verschiedenen Beziehungen von Ulrich zum weiblichen Geschlecht gelegt. Bonadea, seine Geliebte und zugleich Frau des Gerichtspräsidenten, begleitet ihn auch dann noch, als er sich längst von ihr losgesagt hat. Daniela Streubel spielt die personifizierte Lust in rauschend-knisterndem langem Rock. Der zum Teil lachsfärbige Stoff verweist dabei auf die sinnliche Verbindung, die sie mit Ulrich unterhält. Herrlich jene Szene, in welcher die treulose Gattin – gänzlich unberührt von Ulrichs Unlust – sich diesen dennoch körperlich untertan macht. Wunderbar, wie sie sich als betrogene Geliebte bei Ulrichs einflussreicher Cousine Diotima über dessen Lebenswandel beklagt. Letztere wird von der Hausherrin des Theaters – Nicole Metzger gespielt. Im schwarz-goldenen, züchtig-eleganten Zweiteiler aus bodenlangem Rock und einem Kassak mit goldener Kordel um die Hüfte widersteht sie Ulrichs Annäherungen. Dabei ist ihr aber anzumerken, wie sehr sich zwei Seelen in ihrer Brust miteinander streiten. Katharina Köller verkörpert Clarisse, jenen gespaltenen Frauencharakter, der in seiner Ehe mit Walter unglücklich ist, sich aber von Ulrich, seinem Jugendfreund, ein Kind wünscht. Ihr hellblauer Rock und ein ebensolcher Schal schmiegt sich wunderbar an die verschiedenen Gefühlszustände der jungen Frau. Zu Beginn romantisch, kippt Clarisse an einem bestimmten Punkt ins Pathologische, wobei ihr das Kostüm dabei zuhilfe kommt. Matthias Messner, in der Rolle ihres künstlerisch begabten jungen Mann namens Walter, wird zur bedauernswerten Figur. Seine Belehrungen, seine Avancen und auch seine Aggressionen gegenüber seiner Frau nützen nichts. Er muss zusehen, wie sich diese immer mehr in einen bedenklichen geistigen Zustand manövriert, der das Scheitern ihrer Ehe vorzeichnet. Walter – der mehrfach von seinen Emotionen überrollt wird – und der stoische Ulrich sind als gegensätzliche Persönlichkeiten und Rivalen mit Messner und Thill sehr gut besetzt. Martina Berger hat die Kostüme geschaffen, wobei sie die jeweiligen Charaktere darin wunderbar spiegelte. Das Aufeinandertreffen von Ulrich und Agathe, seiner Schwester, ist einer der Höhepunkte dieses Abends – an dem nicht zuletzt auch die Kostümbildnerin ihren Anteil hat. Treten doch Dana Proetsch als Ulrichs quirlig-lebendige Schwester und Abraham Thill in gleichen weißen Rüschenhemden auf die Bühne – zum Erstaunen des Publikums aber auch zum Erstaunen der beiden Geschwister selbst.

Ein ästhetisches Highlight dieses Abends ist eine Zugfahrt, die durch eine Videoeinspielung simuliert wird. Aus der Sicht des Lokführers, und mit der akustischen Einspielung der Geräusche einer Dampflokomotive, geht die Fahrt quer über die Felder Kakaniens, jenem von Musil so benannten Land, das in der Zeit, in welcher der Roman spielt, nur mehr wenige Jahre bestehen wird. Das Video, das in Schwarz-Weiß gehalten ist, bringt eine zusätzliche Realitätsebene ins Geschehen und versetzt das Publikum sinnlich spürbar einhundert Jahre zurück in die Vergangenheit. Der Regisseur lässt den Abend mit dem liebenden Zusammenfinden der beiden Geschwister enden. Er negiert dabei jenen tradierten Schluss, der Ulrich und Agathe wieder voneinander trennt. Zugleich übergibt er die Entscheidung, wie sich der weitere Lebensweg von Ulrich und Agathe gestalten wird, an das Publikum. Ein kluger Schachzug, versteht sich das Stück im Sinne der Theatermacher in der Kaiserstraße doch als „Anstiftung zum Weiterdenken und Weiterlesen“.

Der kleine, charmante Epilog, bei dem alle Beteiligten im Walzertakt einzeln quer über die Bühne tanzen, bestätigt jenen Satz, den Ulrich zur Verteidigung seiner Suche nach einem anderen Sein am Beginn des Stückes akklamierte: „Die Wirklichkeit hat keinen Sinn“. Mit dieser Erkenntnis kann das Mögliche im Theater sogar sinnstiftend werden.

Ein Abend, der mit Tiefgang und Humor gleichermaßen aufwartet. 2 Stunden 45 Minuten waren nicht zu lang.

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Eine erzwungene Emanzipation

Eine erzwungene Emanzipation

1914 im Fokus des Theaters

Im Gedenkjahr an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges wird rund um den Globus, vor allem im künstlerischen Bereich, ein Augenmerk auf die Zeit um 1914 gelegt. Die österreichische Kulturszene nimmt sich des Datums verständlicherweise besonders an. Jede größere Bühne mit guter dramaturgischer Betreuung bringt zumindest eine Produktion, die das Thema beleuchtet. Die Salzburger Festspiele – jene Institution, welche neben dem Burgtheater mit der wohl größten Außenwirkung aufwartet – hat in diesem Jahr ebenfalls diesen Schwerpunkt im Schauspielerischen gewählt. In Wien wurde schon zu Beginn des Jahres in einer fünfteiligen Serie im Schauspielhaus das Thema 1914 und seine Folgen intensiv beleuchtet. Das Volkstheater fokussierte auf „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus und im Theater Spielraum in der Kaiserstraße läuft derzeit ein ganz besonderes Projekt: „Welten von Gestern“ mit dem Untertitel „Menschenbilder aus dem Großen Krieg“ von Stefan Zweig. Das Drama wurde von Nicole Metzger aus unterschiedlichen literarischen Versatzstücken Zweigs für die Bühne adaptiert. Dabei griff sie auf seinen Romantorso „Clarissa“ zurück, in welchem er die Zeit zwischen 1902 und den 30er Jahren aus der Sicht einer Frau beleuchten wollte. Zur Ausführung gelangte jedoch hauptsächlich die Zeit um den Ersten Weltkrieg. Metzger ergänzte geschickt dieses, erst posthum veröffentlichte Werk, mit Auszügen aus den Erzählungen „Der Zwang“ und „Episode am Genfer See“ und ließ auch den Autor selbst mit Zitaten aus seiner Biografie „Die Welt von Gestern“ zu Wort kommen. Daraus ergab sich der intelligent gewählte Titel „Welten von Gestern“, der nur von Kennern der Zweig-Biografie auf Anhieb dechiffriert werden kann.
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Die Menschenseelen bei Stefan Zweig

Entstanden ist ein dichtes Geflecht aus vielerlei Menschenseelen, die in unterschiedlichster Art und Weise mit dem Krieg konfrontiert wurden. Entstanden ist aber auch das Lebensbild einer Frau, die durch den Krieg unfreiwillig eine emanzipatorische Entwicklung erlebte. Clarissa beginnt mit den Erinnerungen in ihrer Kindheit, die von einem autoritären Vater geprägt war, und taucht abermals ein in das Gefühl ihrer ersten und einzigen großen Liebe mit Léonard, einem Franzosen, den sie auf einem Schweizer Kongress kennenlernte. Der Sommer 1914 wurde für sie in doppelter Hinsicht zum Schicksalssommer. Die Ermordung des Thronfolgerpaares in Sarajewo erfährt sie noch am Abschlussabend des Kongresses selbst. Von den anschließenden Kriegserklärungen sowie der Mobilmachung in Frankreich erfährt sie auf ihrer Reise rund um den Lago Maggiore, die sie mit ihrem Geliebten unternommen hatte. „Grüezi aus der Schweiz“ ist dabei im Hintergrund von einer projizierten Postkartenidylle zu lesen, in welcher die Welt noch heil und unbeschwert zu sein schien. Dass Clarissa in diesem unheilbringenden Sommer auch schwanger wurde, besiegelt ihr weiteres Schicksal. Aus Kriegsräson von ihrem Geliebten getrennt, erleidet sie das gleiche Los wie Millionen anderer Frauen auch. Plötzlich auf sich alleine gestellt, mussten sie sich selbst um ihr Einkommen kümmern und – wie in ihrem Fall – Dienst in einem Spital verrichten. Unter die Haut geht dabei jene Szene, in welcher sie staccatoartig mit einem Arzt die grauenhaften Spitalszustände beschreibt, auf die niemand vorbereitet war. Hart ertönen dazu im Hintergrund ohne Unterlass hörbar gewordene Schicksalsschläge.

Kriegseuphorie und das ewige Warten

Metzger schiebt zwischen den Handlungsstrang immer wieder in dämonisch rotes Licht getauchte Traumsequenzen, in welchen die Zwänge und die Nöte der Soldaten deutlich werden, die sich dem Krieg nicht entziehen können. So evozieren in einer Szene Peter Buchta, Matthias Messner und Peter Pausz mit einer Stampfkanonade eindrucksvoll jene Soldatenmassen, die völlig dem Willen der Kriegstreiber ausgeliefert waren und ihr Leben für Volk und Vaterland einsetzen mussten. Clarissa gelingt es jedoch nur in ihrem Traum gegen die Obrigkeit aufzutreten und eine wahre Tirade gegen den Krieg anzustimmen. In der Realität werden noch einige Jahrzehnte vergehen müssen, um den Traum vom Frieden in Europa Wirklichkeit werden zu lassen. Buchta in der Rolle Eduards verabschiedete sich von seiner Schwester Clarissa beinahe freudig an die Front in der Annahme, dass der Krieg bis spätestens Weihnachten gewonnen sein würde. Sein Enthusiasmus steht als Sinnbild für jene Hunderttausende, die mit Blumenkränzen geschmückt frohlockend und unwissend in eine grauenvolle Zukunft einrückten. Matthias Messner, zu Beginn als Léonard glückselig seine junge Liebe genießend, berührt an anderer Stelle als russischer Soldat auf Knien rutschend mit seiner permanenten Frage, ob er denn nicht nach Hause könne. An seiner Person wird besonders klar, wie absurd der Krieg auf einfache Menschen wirkt, die nicht das geringste Verständnis für kriegerische Handlungen aufbringen können, sondern deren ausschließliches Trachten dem Wohlergehen ihrer Familie gewidmet ist. Das als unendlich empfundene Warten auf das Kriegsende, die Isolation in einem fremden Land, das Unverständnis der fremden Kultur und die nicht erhaltene Hilfestellung seitens der Bevölkerung – Faktoren, die jeder Krieg, aber auch Situationen von Emigranten in Not mit sich bringen – werden in dieser bedrückenden Szene überdeutlich. Klaus Uhlich interpretiert hingegen gänzlich antipodisch und altersweise Clarissas guten Helfer, Dr. Silberstein. Ein intellektueller Psychotherapeut, der auf der Höhe der Zeit die ideologiefreien reformpädagogischen Ansätze von Ellen Key und Maria Montessori preist und sich mit Freuds Theorien kritisch auseinandersetzt. Höchst interessant dabei ist, dass er auf die weibliche Linie der Reformpädagogik rekursiert und nicht auf jene von Rudolf Steiner, Anton Semjonowitsch Makarenko oder Peter Petersen, allesamt mit unterschiedlichen Ideologien behaftet. Er ist der Einzige, dessen Stimme sich permanent gegen den Krieg erhebt und der den Nationalismus als jenes Übel beim Namen nennt, das die Kriegstreiberei erst möglich machte. „Der verdammte Nationalismus verdirbt alles“. Wie rasch und unvermittelt sich hier unser Gegenwartsgefühl mit dem der Vergangenheit vermischt, ist beinahe angsteinflößend.

Die Sehnsucht nach einem kleinen Leben

Peter Pausz, der erst vor Kurzem als Regisseur im Theater Spielraum agierte, brilliert in seiner Rolle als Gottfried Brancoric. Einem simulierenden Soldaten, der die Kriegsgräuel nicht aushält und sich lieber mit Hilfe eines Brechmittels zu Tode hungert, als noch einmal an die Front zu müssen. Einfach toll, wie er sich vom kleinen Häufchen Elend in jenen hilfsbereiten Mann verwandelt, der Clarissa nicht ganz uneigennützig eine Kriegsnottrauung anbietet, um ihrem Kind einen Vater zu geben. Seine inneren Kämpfe, seine unbändige Angst – „Angst ist ein tausendfaches Sterben“ und seine Bitte nach nichts Anderem als „einem kleinen Leben“ zeigen, dass er, der als Feigling Abgestempelte, wesentlich mehr Realitätssinn hatte als seine Kameraden, die durch ihre Verdrängungsmechanismen ungeschützt, millionenfach direkt in den Tod liefen. In weiterer Folge ist es ebenfalls Brancoric, der als Schieber Clarissas Kind vor dem Hungertod rettet und zu guter Letzt als gebrochener Mann, aber zumindest körperlich unversehrt, zu ihr nach Hause kommt. Mehr als beeindruckend erkörpert die junge Samantha Steppan die Rolle der Clarissa. Bei ihr sitzt jede Geste und jede noch so kleine Mimik. Atemberaubend, wie sie mehrfach auf einem der in unterschiedlichen Ebenen angebrachten Podien (Bühne Harald Ruppert) so am Rand zu stehen kommt, dass ein minimaler Fehltritt ihr Abstürzen bedeuten würde. Eine der vielen kleinen, aber umso wirkungsvolleren bildlichen Metaphern welche die Inszenierung so unglaublich dicht erscheinen lassen. Clarissas Entwicklung vom jungen verliebten Mädchen hin zur desillusionierten Frau, die ihr Leben nicht nach ihren Vorstellungen, sondern nach ihr auferlegten Zwängen leben musste, macht auch deutlich, wie sehr sich politische Entscheidungen und soziale Gegebenheiten direkt auf Menschenschicksale auswirken.

Der Krieg als düsteres und dunkles Ereignis

Nicole Metzgers Inszenierung ist dicht, düster und dunkel, aber gerade dadurch auch bestechend, brillant und brisant. Sie komprimiert das Lebensgefühl einer verlorenen Generation, die sich noch nicht einmal bewusst ist, dass eine weitere Apokalypse noch auf sie zukommen wird. „Welten von Gestern“ zeigt jedoch, und das ist das Erschreckende schlechthin, dass sich kriegstreiberische Mechanismen, gestützt auf nationale Hetze, über die letzten hundert Jahre nicht verändert haben. Einzig die Rolle der Frau hat sich in den westlichen Hemisphären zumindest gewandelt. Von unemanzipierten menschlichen Wesen zweiter Klasse zu selbstbestimmten Frauen, die ihr Leben – wenngleich auch nach wie vor nicht immer – so gestalten können, wie es ihren Vorstellungen entspricht. Erhellendes dazu ist im höchst informativen Programmheft nachzulesen, in dem vor allem die Rolle der Frau im Krieg besonders beleuchtet wird.

Fazit: Sehens- empfehlens- und nachdenkenswert!

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