Wir sind keine Opfer, wir sind Sieger

Wir sind keine Opfer, wir sind Sieger

Trans Gender Moves von Gin Müller und Gorji Marzban im Brut. Eindrücke eines Abends rund um das Thema Queer und eines Gespräches mit den beiden Kreativen.

Drei Personen, drei unterschiedliche Biographien. Ein Perser, eine Französin und ein Deutsch-Österreicher. Drei unterschiedliche Lebensalter und dennoch vereint sie ein Thema. „Zu welchem Geschlecht gehöre ich eigentlich?“ In „Trans Gender Move“ von Gin Müller und Gorji Marzban, das im Brut seine zweite Wiederaufnahme erlebte, stellten drei Transgenderpersonen dem Publikum nicht nur Ausschnitte aus ihrem Privatleben vor. Sie schafften es, mit ihrer Beherztheit und ihrer ungekünstelten Art ein für viele Menschen abstraktes Thema so angreifbar zu machen, das es die Herzen berührt.

Was man im ersten Augenblick vielleicht als „Betroffenheitstheater“ abtun möchte, stellte sich schon nach kurzer Zeit absolut anders dar. Ja, sie alle drei sind Betroffene. Betroffen, mit einem Geschlecht geboren zu sein, das nicht das ist, dem man sich wirklich zugehörig fühlt. Aber, und das ist die große Stärke dieser Produktion, Toni, Nicole und Gorji sind in ihrem Kampf um ihre eigene Geschlechtsbestimmung so gereift und stark geworden, dass sie viele Menschen, die eindeutig als Mann oder Frau geboren wurden, mit ihrer Lebensweisheit und ihrem Kampfesmut in den Schatten stellen.

Das mag sich vielleicht ein wenig dick aufgetragen anhören. Tatsache ist aber, dass der Schritt auf die Bühne für Gorji Marzban in dieser Staffel kein leichter war. „Ich sehe Bilder, die nicht mit dem, was ich spreche übereinstimmen“ erzählte er in einem Interview. Es sind Kriegstraumata, die ihn wieder verstärkt verfolgen, seit er darüber wieder Abend für Abend dem Publikum berichtete. Die Magie des Theaters, die ihn anfänglich in der ersten Staffel trug, ist verflogen. Nun ist es der Theateralltag und vor allem die schrecklichen Bilder aus seiner Vergangenheit, die ihn wieder einholen. „Ich bin, weil ich jedes mal zu spät gekommen bin, zwei Mal dem sicheren Tod entronnen“ erzählte er dem Publikum und fügte hinzu: „Ein richtiger Mann wäre wahrscheinlich pünktlich gewesen“. Gin Müller, der sowohl in der Konzeption als auch der Regie tätig wurde, ist in diesem Fall besonders gefordert. „Dass wir das hier dennoch aufführen können hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass wir uns alle sehr mögen und großes Verständnis füreinander haben“. Kennenlernte er Marzban, der in seinem Beruf Universitätsdozent an der Boku ist, in der Rosa Lila Villa. Dort kämpften beide für eine Transfrau, die von der Abschiebung in die Türkei bedroht war. Gorji leitet einen Verein, der sich um Transgender-Menschen kümmert, die bedroht werden. Aus der Verschränkung der Texte von Marzban und der Theatererfahrung von Müller ergab sich dann die Zusammenarbeit.

„Ich lebe viel lieber in Wien als in Frankreich“ – dieses Bekenntnis kommt von Nicole Fouchet, die sich erst mit 65 Jahren hier in Österreich eine Geschlechtsumwandlung leisten konnte. „In Frankreich wurde ich von der Polizei verhaftet und ins Gefängnis gesteckt“ erklärt die zierliche Frau mit den langen, weißen Haaren weiter. Tatsächlich scheint Österreich ein Bollwerk inmitten einer europäischen Gemeinschaft zu sein in der es noch lange nicht überall möglich ist als Person, die sich dem „Dritten Geschlecht“ zugehörig fühlt, unbehelligt leben zu können. Auch sie musste einst in den Krieg ziehen als Frankreich gegen die Algerier aufmarschierte. Auch sie erlebte Mord und Totschlag hautnah mit dem Ergebnis, dass sie in der Inszenierung einen eindeutigen Friedensappell weitergibt. „Ich hasse Krieg“ kommt ihr aus tiefster Seele und lauscht man ihrer Geschichte, in der sie auch von einem Algerier erzählt, der es in der Macht hatte sie zu töten, davon aber abließ, versteht man warum. Die Frau mit dem schelmischen Blick und der wunderbaren „fransösiesche“ Aussprache, die immer nur in Miniröcken oder -kleidern anzutreffen ist, hat ihre Transition erst mit 65 durchführen können. Bei dieser Aufführung dabei zu sein, ist für sie, wie ihre Kollegen bestätigten, ein enorm wichtiger Schritt.

Es sind tatsächlich die persönlichen Erlebnisse, die einen neuen Horizont auf dieses Thema eröffnen. „Meine Mutter spricht seit meiner Umwandlung nicht mehr mit mir. Sie glaubte, mir damit alles nehmen zu können. Aber meinen Vater konnte sie mir nicht nehmen.“ Toni, eigentlich Anthony Wagner, der aufgeschlossene, sympathische junge Trans-Mann, der biologisch weder Mann noch Frau ist, beeindruckt mit seiner positiven Ausstrahlung und seiner Selbst-Akzeptanz. Er weist von allen Dreien die stärkste Performance-Erfahrung auf. Man erfährt von ihm auch, dass er gern am Land lebt, dort, wo es kein Arztgeheimnis gibt. „Das ist ein Transsexueller“ lässt er zwei Nachbarn auf der Bühne sich zuflüstern, „Aha. Was ist das eigentlich?“ fragt einer davon zurück. Womit er den Nagel auf den Kopf trifft. Viele Menschen können mit Queer-Begriffen nach wie vor nichts anfangen. Das zeigt auch die unleidliche Debatte, die sich rund um die Verwendung von gendergerechter Sprache, insbesondere um das Binnen-I entwickelte. Nichtbetroffene sind von der Lebensrealität von Transgender-Menschen nach wie vor extrem weit entfernt.

Gin Müller antwortet auf die Frage, ob das, was hier zu sehen sei denn eigentlich noch den Begriff des Theaters verdiene und ob von Beginn an die Idee da war, dieses Thema anhand von Biographien zu beschreiben: „Ja klar ist das Theater. Es ist eine Art von Theater in der die Variation des Performativen schon sehr weit geht. Denn Gender an und für sich ist ja auch immer eine Art von Performance. Viele Transgender-Personen leben ja auch oft mit oder zumindest am Rande einer gelebten Performance. Was das Besondere an dieser Arbeit hier ist, dass alle Beteiligten den Mut hatten, ihre eigene Geschichte zu erzählen und das ist nicht selbstverständlich. “ Queer-Theorie und -Praxis sind ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Die Frage der Geschlechtlichkeit ist in allen seinen Stücken evident, wobei er sehr oft die Gender darin verändert und herkömmliche Rollenzuschreibungen wie Mann und Frau nicht verwendet.

Die Inszenierung kommt mit leisen Untertönen und mit viel Poesie über die Bühne. Für letzte ist hauptsächlich Gorji Marzban verantwortlich. Nicht nur als Student, sondern bis heute verfasst er Texte, die er demnächst sogar in drei Bänden der Öffentlichkeit vorstellen wird. Marzban war überrascht über die Reaktion des Publikums da er dachte, dass das Stück auch als Provokation aufgefasst hätte werden können. Tatsächlich aber ist es ein großer Erfolg geworden. Es gelang ihnen damit neue Räume zu schaffen und den Menschen neue Türen zu öffnen. Dabei ging es nicht darum aufklärerisch zu wirken und einzig das Thema Geschlecht in den Mittelpunkt zu stellen. Das Thema Migration steht für Gorji und Nicole auch im Mittelpunkt ihrer Erzählungen. Und, was man nicht vergessen darf, beide erlebten einen Krieg. Die eine als Soldat in Algerien, der andere in seinem Heimatland.

Die aufklärerische Ebene ist von den Darstellerinnen und Darstellern nicht von vornherein beabsichtigt. Sie ist eine Implikation, die das Publikum so wahrnimmt, aber sie war nicht Ausgangspunkt, dieses Stück aufzuführen. Der Moment des Storytellings war ausschlaggebend für die Produktion und wie man an der Publikumsreaktion feststellen konnte, ging dieses Konzept ganz auf. Lachen, Bestürzung, betroffene Gesichter und viel Applaus zeugten von der Empathie, die von den Zuschauerreihen auf die Bühne hinüberschwappten. Ein sehr kluger Schachzug von Gin Müller, der seit vielen Jahren gekonnt auf der theatralischen Klaviatur zu spielen weiß.

„Auf einer Bühne selbst hatte ich noch keine Auftritte, aber ich inszeniere Lesungen“. Gorj Marzban hat nicht nur aus seiner Vergangenheit viel zu erzählen. Er stellte der Wiener Stadtbibliothek eine bis jetzt knapp 500 Bände umfassende Sammlung von zeitgenössischer, persischer Literatur zur Verfügung. „Vieles davon wird aus dem Land geschmuggelt, denn offiziell darf man die Bücher im Iran gar nicht kaufen“, weiß er über diese Zensurmaßnahme zu berichten. Seine Lesungen, bisher schon 24 an der Zahl, sind für ihn jeweils „wie ein Gemälde, oder wie eine Ausstellung.“ Die Vortragenden dazu lädt er selbst ein. Diese Sammlung nennt sich „Dem Wort die Freiheit“ und ist so etwas wie ein Prestigeprojekt geworden.

„Ich glaubte immer an eine Transformation“, „mein Geschlecht ist mein Tempel“ und „in der Rolle eines Monsters fühle ich mich besonders wohl“. Drei Aussagen von drei Menschen, die ihr Leben öffentlich machten. Drei Aussagen, die auch von ganz anderen Menschen sein könnten, egal welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen.

Eine sanfte Brandung wird hörbar, leicht schlagen die Wellen an den Sandstrand. Ein Plastikdelfin, der immer wieder zur Belustigung aller in die Luft geworfen wird, begleitet das ausgelassene Bad der drei Performenden im Meer. Dieses schöne Bild der Reinigung und Befreiung von aller Lebensschwere begleitet das Publikum nach Hause. Eine wunderbare visuelle Metapher für die Leichtigkeit des Seins, die sich doch die meisten Menschen, egal welchen Geschlechts, auf die ein oder andere Weise erst hart erkämpfen müssen.

Gin Müller & GorjiMarzban – TRANS GENDER MOVES (Trailer) from brut Wien on Vimeo.

Theater kann auch Frühstück

Theater kann auch Frühstück

Das Theater Spielraum lockt zu seinen sonntäglichen Matineen auch mit einem köstlichen Frühstück

Café und Frühstück

Frühstück im Theater Spielraum (Foto: European Cultural News)


Gemütliche Rohrsessel. Eine unaufgeregte, angenehme Atmosphäre. Ein köstlicher Kaffee und ein umfangreiches Frühstück. Die Rede ist nicht von einem hippen Lokal mit Frühstücksangebot wie es derzeit in Wien so modern ist. Vielmehr findet sich das alles an ausgewählten Sonntagvormittagen im Theater Spielraum in der Kaiserstraße.

Plus: Einem interessanten kulturellen Angebot. Die Palette reicht von Lesungen über Diskussionen, Vorstellungen neuer Produktionen bis hin zu – wie Anfang März – der Aufführung der „Ursonate“ von Kurt Schwitters. Nicole Metzger und Gerhard Werdeker, die das Theater im Siebenten leiten, haben mit diesen Matineen offenbar den Publikumsgeschmack getroffen.

Fümms bö wö tää zää Uu, pögiff, kwii Ee. Rinnzekete bee bee nnz krr müü? Ziiuu ennze, ziuu rinnzkrrmüü rakte bee bee. Sie haben nichts verstanden? Sollten Sie auch nicht. Denn der Urheber dieser Nonsenszeilen, Kurt Schwitters, beabsichtigte mit seiner Komposition dies auch gar nicht. Schwitters war einer der Hauptvertreter des Dadaismus, der aus einer verständlichen Reaktion auf den Ersten Weltkrieg entstand. Das, was war, das, was die herrschende Klasse der Welt zugemutet hatte, konnte weder in Worte gefasst, noch kommentiert werden. Und die Welt war nach diesem Krieg nicht mehr dieselbe wie vorher. Die Dada-Bewegung, die in einem kleinen Café, dem Café Voltaire in Zürich, ihren Ausgang nahm, zielte gerade auf das Kontra gegenüber allen bisherigen gesellschaftlichen und vor allem künstlerischen Konventionen ab.

Und doch steckt hinter Schwitters Ursonate viel mehr als nur Nonsens. Sie ist ein „durchkomponiertes“ Lautgedicht, das auf den bis dahin üblichen Sonatensatz aufbaut. Kunstvollst arrangiert, mit starken rhythmischen Passagen, haben noch heute manche Menschen Mühe, bei einer der seltenen Aufführungen auch zu lachen. Viele haben im Hinterkopf das Etikett „hehre Kunst“, dass es ihnen verbietet, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Philipp Maurer und Kolomann Haslinger gelang es bei ihrer Präsentation jedoch, das Publikum richtig zu erheitern. In der Regie von Eva Ortmayr waren es nicht nur die lautmalerischen Sensationen, die das Zwerchfell reizten. Da schlüpfte doch Maurer tatsächlich kurzfristig in die Rolle eines Priesters, der lautgewaltig seine Predigt hielt, während Haslinger neben ihm mit permanenten Gebetsbeugungen seine Murmellitanei darbot.

An anderer Stelle entwickelte sich ein hitziges Streitgespräch, bei dem Maurer, mit grauem Rauschebart und schwarzer, eng anliegender Lederhose, seinem Gegenüber mit Drohgebärden gefährlich nahe kam. Interessant war auch die Beobachtung, dass auch Nonsensworte durch die Mimik und Gestik und den stimmlichen Ausdruck durchaus in der Lage sind, eine Botschaft zu kommunizieren. Ganz abgesehen von jener Einlage, in der Maurer Verdis „la donna è mobile“ zum Besten gab, selbstredend mit einem unverständlichen Kauderwelsch und sich Haslinger prompt mit einem kleinen Tänzchen anschloss.

In der Fassung von Maurer und Haslinger wurde die Ursonate um ca. 30 Prozent gekürzt, was eine Aufführungsdauer von etwas mehr als 30 Minuten ergab. Ein kluger Schachzug, durch den keinerlei Langeweile aufkam. Im anschließenden Publikumsgespräch wurde auf die literarische dada-Nachfolge der Wiener Gruppe mit H.C. Artmann und Ernst Jandl hingewiesen und auch das Umfeld der Ursprungsbewegung ein wenig beleuchtet.

Was ist dada nun aber genau? Eine Kunst? Eine Philosophie? Eine Politik? Eine Feuerversicherung? Oder: Staatsreligion? Ist dada wirklich Energie? Oder ist es Garnichts, d.h. alles?

All diesen „wichtigen“ Fragen geht das Theater Spielraum noch einmal nach. Mit seinem Programm Dada im 7.ten am 15. März. Erwartet werden insgesamt 10 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die das Publikum mit dadaistischen Collagen verwöhnen. Achtung: Es darf gelacht werden!

Und Frühstück gibt’s mit vorheriger Reservierung auch.

Link: Theater Spielraum

Ich habe eine Abscheu vor politisch korrekter Kunst und abenteuerlicher Politik

Ich habe eine Abscheu vor politisch korrekter Kunst und abenteuerlicher Politik

Markus Kupferblum - Wien

Markus Kupferblum im Interview mit European Cultural News

Markus Kupferblum inszenierte die Oper „Der Kaiser von Atlantis“ von Viktor Ullmann bereits einmal in New York und brachte im Dezember die Koproduktion der Schlüterwerke mit der Opera Moderne New York nach Wien. Neben einem hochrangigen Gesangsensemble agierte das Klangforum Wien und garantierte so höchste musikalische Qualität.

Wir trafen uns einige Tage nach den Aufführungen, die in der Maria-Theresien-Kaserne stattfanden, zum Interview. Der Theatermacher stand noch ganz unter dem Eindruck der ausgebuchten Vorstellungen an diesem außergewöhnlichen Spielort. Neben den Abendvorstellungen waren an einem Vormittag auch 18 Schulklassen eingeladen und er knüpfte gleich zu Beginn unseres Gespräches an seine Eindrücke dieser Vorführung an.

Es herrschte eine irre Stimmung unter den Kindern und Jugendlichen. Der Verteidigungsminister und die Kulturministerin waren bei der Schülervorstellung anwesend, nicht in der ersten Reihe, sondern sie setzten sich mitten unter die Kinder, die für mich fast enttäuschend brav waren. Für viele von ihnen war es ihre erste Oper überhaupt. Für uns war aber nicht nur die Aufführung selbst mit Arbeit verbunden, sondern wir haben in 18 Klassen Vor- und Nachbearbeitungen durchgeführt.

Was hat die Kinder in der Nachbearbeitungsphase denn am meisten interessiert?

Viele haben gefragt, warum gesungen wird und nicht gesprochen. Ich habe versucht, ihnen das anhand ihrer eigenen Erfahrungen zu erklären und die Gegenfrage gestellt, wann sie selbst denn singen würden. Da haben sie rasch verstanden, dass sie ihre Gefühle mit dem Gesang stimmiger ausdrücken können, als mit reiner Sprache. Eine weitere häufig gestellte Frage war, ob der Kaiser absichtlich mit einem Schwarzen besetzt wurde. Ja natürlich habe ich das absichtlich gemacht. Ich habe eine Abscheu vor politisch korrekter Kunst und abenteuerlicher Politik. Nur mit politisch unkorrekter Kunst kann man Lösungskompetenz für soziale Probleme aufzeigen, nur so kann man auch den Leuten Mut machen, zu jenen Menschen zu werden, die sie selbst eigentlich sein könnten. Die Politik kann die Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben schaffen, aber erst die Kunst kann den richtigen Ansporn dazu bringen. Bei den Kursen habe ich mit den Kindern in einer Gruppe das Problem der Ausgrenzung thematisiert. Also das Thema, das in der Oper behandelt wird. Sie haben in der eigenen Gruppe ein rothaariges Mädchen ausgesucht, das sie dazu auserkoren hatten, von der Gruppe ausgegrenzt zu werden. Ein zweites Mädchen war türkischstämmig, aber im Gegensatz zur Rothaarigen, die alles über sich ergehen ließ, hat dieses ihre Freundinnen aktiviert, die ihr beigestanden sind, sich vor sie hingestellt haben und aktiv gegen die Ausgrenzung aufgetreten sind. Ich habe das rothaarige Mädchen ermuntert, sich zu wehren, was sie dann auch getan hat. Das sind Erfahrungen, die können die Kinder auch später in ihrem Leben einsetzen, wenn es nötig ist.

Wie sind sie zur Besetzung des Kaisers durch Vince Vincent gekommen?

Er hat bei einer Audition, die wir in N.Y. veranstaltet haben, überzeugt. Er kannte die Rolle und war schon zuvor dafür besetzt worden, wollte aber nur in der ihm bekannten, nämlich letzten Fassung von Viktor Ullmann singen. Ich aber wollte die ursprüngliche Fassung, nämlich die erste und radikalste auf die Bühne bringen. Die meisten Regisseure glauben, dass die letzte Fassung, wie sonst allgemein üblich, die vom Komponisten autorisierte ist. In diesem Fall war das aber aufgrund der Umstände anders. Ullmann hat die Oper mit seinem Librettisten Peter Kien im KZ in Theresienstadt geschrieben und dann drei Mal entschärft, aus jeder Fassung mehr Sprengstoff herausgenommen. Sie hofften ja, dass sie die Oper im Lager aufführen durften, und scheiterten jedoch bis zum Schluss an der Zensur. Aus diesem Grund ist also die erste und nicht die letzte Fassung jene, welche die meiste Brisanz innehat. Als Vince diese Argumentation hörte, hat er zugestimmt und jetzt ist es so, dass er nur mehr diese Fassung singen möchte.

Wie kam es zur Aufführung in einer Kaserne?

Aus der Not heraus, denn ich habe in Wien keinen Raum gefunden, der passend, leistbar und verfügbar gewesen wäre. Eigentlich war die Adaptierung eines Gebäudes des Heeres für kulturelle Zwecke eine juristische Pionierarbeit, das hat vorher noch niemand gemacht. Nachdem die anfängliche Skepsis verflogen war, haben beide Seiten alles getan, um das Projekt möglich zu machen. Vom Justizminister abwärts bis zum Militärkommandanten für Wien habe ich nur Positives erlebt. Ich hatte das Glück, dass mir Oberst Klug von der Infrastrukturabteilung bei der Unternehmung sehr geholfen hat und enorm kooperativ war. Nicht nur, dass es sich um ein sensibles Gelände handelt, auch die Halle selbst steht unter Denkmalschutz, was bedeutete, eine Menge von Genehmigungen einzuholen. Wir mussten auch die komplette Infrastruktur, die für die Aufführung einer Oper notwendig ist, dazumieten, die dann auch abgenommen werden musste. Das war dann schließlich auch teuer und zeitintensiv. So mussten wir, um den Boden der Halle zu schonen, allein 900 m² Teppichboden verlegen. Es war aber nicht nur Neuland für das Bundesheer, auch ich habe einen ganz neuen Blick auf die Institution gewonnen. Viele Soldaten haben uns vor Ort geholfen und ich habe erlebt, dass auch Freigänger der Jugendstrafanstalt in der Kaserne einen Arbeitsdienst verrichten. Das finde ich sehr gut, denn sie werden dafür bezahlt, üben eine sinnvolle Tätigkeit aus und sind dabei in die Gemeinschaft voll integriert. Mir war das vorher überhaupt nicht bewusst, dass das Bundesheer eine so wichtige soziale Aufgabe übernimmt.

Wie haben die Künstlerinnen und Künstler diese spezielle Umgebung empfunden?

Das Feeling für die Künstlerinnen und Künstler war schlichtweg der Hammer. Sie haben abseits des Geschehens auf der Bühne, das im KZ Theresienstadt geschrieben worden war, am eigenen Leib erfahren, was es heißt, wenn man sich in einem hochbewachten Gelände aufhält und unter ständiger Kontrolle steht. Nicht nur, dass eine Zutrittskontrolle für jeden Einzelnen notwendig war, es wurde vor der Premiere etwa auch eine Hundestaffel des Mienensuchdienstes eingesetzt, da sich der Bundespräsident angekündigt hatte. Das Arbeiten in einer Kaserne mit all den rundherum notwendigen Sicherheitsvorkehrungen war ein direktes, einschneidendes Erlebnis für alle – auch für das Publikum.

Sie sind dafür bekannt, den Finger auf die sozialen und politischen Wunden unserer Zeit zu legen.

Unsere Arbeit ist nicht nur wichtig, sondern sie ist sogar notwendig. Wer behauptet, dass Kunstförderung Luxus sei, verkennt die künstlerische Arbeit, die dazu dient, den sozialen Frieden aufrechtzuerhalten. Ich kenne Diktaturen in anderen Ländern und habe ihre Mechanismen am eigenen Leib erfahren. Ich will nicht, dass dasselbe hier bei uns auch passiert. In meiner Arbeit geht es um das Thema Ausgrenzung und damit, was mit den Ausgegrenzten passiert. Im Nationalsozialismus waren es die Sinti, Roma und Juden und man kann sagen, dass die Ausgrenzung schon mit einem Judenwitz beginnt. Heute muss man sich fragen, warum derzeit eine so heftige negative Imagewerbung gegen Türken gemacht wird, wenn man nicht vorhat, irgendwann gegen sie einen Krieg zu beginnen.

Sie glauben tatsächlich, dass Hetze gegen türkischstämmige MitbürgerInnen in einen Krieg münden kann?

Schauen, Sie – genauso ungläubig und blauäugig, wie Sie mich das jetzt fragen, genauso ungläubig waren auch die Menschen im Dritten Reich – bis es nicht mehr gelang, das Regime an der Verfolgung der Juden zu hindern. Das Schlimme an der derzeitigen Verfolgung der Sinti und Roma ist, dass diese im Gegensatz zu den Juden, keine Lobby haben. Anders als bei den Juden haben sie keine Leute die in wichtigen sozialen Positionen sitzen. Die Qualität einer Gesellschaft zeigt sich daran, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht. Wir müssten unser Verhalten als Bringschuld für die Minderheiten sehen und diese als Bereicherung unserer Gesellschaft und nicht als Bedrohung erkennen.

Sie arbeiten über diese Oper hinaus ansonsten mit einem eigenen Ensemble und firmieren unter dem Label „Schlüterwerke“. Wie kamen Sie zu den Künstlerinnen und Künstlern?

Nachdem ich für meine Projekte keine mehrjährige Förderung von der Stadt Wien erhalten hatte, für die ich schon oft eingereicht hatte, war ich sehr deprimiert. Da hat mir Thomas Haffner vom Brick 5 seine Hilfe angeboten, in seinem Gebäude in der Fünfhausgasse proben und spielen zu dürfen. Daraufhin habe ich ein Inserat geschaltet „Suche nach Leuten für ein experimentelles Musiktheaterensemble…. man wird aber damit nicht seinen Lebensunterhalt bestreiten können.“ Das wurde deshalb nicht unter „Jobs“, sondern unter „Sonstiges“ veröffentlicht. Normalerweise melden sich ca. 300-400 Leute innerhalb einer Woche für ein Casting an wenn ich Leute suche, diesmal waren es ganze 12. Und die waren alle ganz speziell. Ich bin sehr dankbar, mit diesem Ensemble arbeiten zu können; das sind Béla Bufe, Ingala Fortagne, Florian Hackspiel, Andrea Köhler, Ulla Pilz und Julia Schranz auf der Bühne und dann noch all jene, die hinter der Bühne mitwirken. Beim „Kaiser von Atlantis“ waren das meine Assitentin Heike Sunder Plaßmann, Johanna Jonasch, die die Vermittlung mit den Schulen betreut hat oder Martina Theissl. Ich bin sehr glücklich über diese Leute die allesamt hervorragend sind. Es ist eine Gnade und Freude, mit ihnen zu arbeiten und zu sehen, dass sie sich auf den Wahnsinn einlassen, ohne Gagen zu spielen. Das heißt so viel, dass wir durch die Kulturpolitik in einen „Amateurismus“ gezwungen werden, da wir ja auch alle nebenher Geld verdienen müssen. Genau damit liefern wir aber der Kulturpolitik Argumente, uns abzustellen, denn irgendwann einmal werden wir womöglich die Qualität nicht mehr halten können. Gefördert werden hauptsächlich große Institutionen, weil diese nicht gefährlich werden können. Ein Kulturtanker ist behäbig und die Entscheidungsstruktur funktioniert so langsam, dass sie kaum Kanten entwickeln kann. Die feigsten Kulturpolitiker geben den größten Organisationen das meiste Geld – das kann man als mathematische Formel auffassen und anhand des jährlichen Kulturberichts überprüfen. Das Neue wird in Österreich konsequent be- und verhindert.

Arbeiten Sie bereits an einem neuen Projekt?

Ja, ich arbeite an einer Oper, die im 17. Jahrhundert von einem Guarani Indianer in einer Jesuiten Mission in Bolivien geschrieben wurde und den Titel „San Ignacio“ trägt. Mit dem Komponisten Renald Deppe und dem Dichter Bodo Hell bearbeiten wir dieses Werk und nennen es dann „San Ignacio – eine Dschungeloper“. Ich bin wie immer auf der Suche nach einem geeigneten Aufführungsort und könnte mir das Jesuitentheater in der Wollzeile sehr gut vorstellen. Zumal es hier auch eine schöne Querverbindung gibt, wurde doch Glucks Orpheus und Eurydike in diesem Saal uraufgeführt. Ob sich das allerdings realisieren lässt, ist noch nicht sicher. Ich glaube die Dinge immer erst bei der Premierenfeier. Was ich mich schon gefreut habe auf Sachen! Und kaum hab ich es ausgesprochen, war´s auch schon weg!

Schon in die Realität umgesetzt wurde jedoch Kupferblums literarische Arbeit mit dem Titel „Die Geburt der Neugier aus dem Geist der Revolution“. Das Buch behandelt die Entstehung der Commedia dell`Arte und zeigt ihre große Aktualität für die dramaturgische Umsetzung unserer heutigen Lebensgeschichten. Es ist im Dezember im Facultas-Verlag erschienen und wird am 12. Jänner 2014 im Theatermuseum dem Publikum präsentiert.

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Ein Königreich für einen guten Pressesprecher

Ein Königreich für einen guten Pressesprecher

Gernot Plass` Hamlet-Neuinszenierung am TAG

Hamlet sein c Anna Stoecher 4730

Hamlet sein - Foto: © Anna Stoecher

Die Neuinszenierung von Hamlet im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) hat es in sich. Nicht nur, dass Shakespeare zur großen Überraschung auch mit der neuen Sprache von Gernot Plass Shakespeare bleibt. Als ob darin nicht ohnehin schon Stoff genug zum Nachdenken vorhanden sei, setzt Plass mit weiteren Bedeutungsebenen dem Stück wahrlich seine eigene Krone auf – mit vielen, vielen darin funkelnden Edelsteinen. Mit dem Seziermesser scheint er über den Urtext gegangen zu sein, wobei ihm das Kunststück gelungen ist, den Duktus des Gottvaters des Dramas und der Komödie trotz neuem Sprachgewand 100prozentig getroffen zu haben. Und so jagt nicht nur ein Bonmot, eine blitzgescheite Idee, ein Spaß und eine tiefe Wahrheit die andere. Schlag auf Schlag, so dass man sicher sein kann erst bei einem zweiten oder gar dritten Theaterbesuch all seine geistreichen Finessen voll erfassen zu können, reichert der Autor und auch für die Inszenierung Verantwortliche das Geschehen mit zeitgeistigen Ideen an, ohne jedoch dabei die Grundkonstruktion des Dramas je aus dem Auge zu verlieren. Auch das Bühnenbild und die Kostüme stammen aus derselben Denke und bilden somit ein rundes Ganzes, das mit zum Erfolg der Inszenierung beiträgt. Schwarz und Weiß, Grau und Rot bestimmen sowohl die räumliche Determination als auch die Kleidung und lassen Raum genug, jede Szenerie durch unterschiedliche Ausleuchtung selbst neu zu interpretieren.

Der Autor lässt seinen Hamlet als Student der Philosophie auftreten. Ausgerechnet in Freiburg steht seine Alma Mater, weswegen er wohl sein Denken auf Husserl und Heidegger ausrichtet. Darin übt er sich auch kräftig zu Hause, wobei er zwangsläufig damit seine Familie und Freunde intellektuell ins Abseits stellt. Da bedarf es nur mehr des Griffes zu einem Buch und eine kleine exaltierte Körperpose, schon glauben alle, er sei dem Wahnsinn verfallen. Wenn sich in seinen Gedankenströmen das Licht lichtet erfreut sich jeder gebildete Mensch an der Verballhornung von Heideggers Nichts, das sich nichtet. Doch obwohl er wie nebenbei auch Nietzsche und Sartre aus dem Ärmel beutelt und offenbar auch profunde Kenntnisse des griechischen Dramas aufweist, kann er sich dem Schicksal, das auf alle wie ein Tsunami zurollt, nicht entziehen. Bildung und Intelligenz schaden nicht – aber sie helfen ihm auch nicht, das finale Gemetzel hintanzuhalten. So verwundert es schließlich nicht, dass ihm sein früher Tod selbst allzu früh und ohne Erlösung kommt. Mit dem Ausruf „Ich war so kurz davor das alles zu kapieren“ verweist er auf die Hoffnung eines Erkenntniszuwachses, den er gerne länger ausgekostet hätte. Als ewig Denkender und ewig Suchender beherrscht ihn auch noch in der letzen Minute sein Wissensdrang stärker als Gefühle zu seinen Mitsterbenden. In existenzialistisches Schwarz gekleidet, blass im Gesicht, mimt Gottfried Neuner glaubwürdig seinen verkopften Antihelden.Ganz Kopf- und wenig Bauchmensch ist seine Handlungstriebfeder eine gänzlich andere als jene seines größten Widersachers.

Claudius, sein Onkel und Stiefvater agiert hingegen als machtbesessener und potenter hinterlistiger Mörder, der im Laufe des Dramas seinen Gewissensbissen nicht entkommt. Ganz im Gegensatz zu Hamlet denkt er nicht über das Nicht-Sein nach, sondern reflektiert vielmehr über die Außenwirkung seiner Taten und würde ein Königreich für einen guten Pressesprecher geben, um sein Image halbwegs rein poliert zu bekommen. In der Doppelrolle von Hamlets Vater und Claudius brilliert der hünenhafte Horst Heiss, an seiner Seite apart Michaela Kaspar mit blutrotem Lippenstift – der von Beginn an ganz subtil vom schaurigen Ende kündet. Hin- und her gerissen zwischen Eros und Mutterliebe ist sie froh über jede Einflüsterung, die ihr Handeln bestimmt. Wie jene von Polonius – komödiantisch mehr als astrein von Georg Schubert dargestellt – in welcher sie ihren Sohn zur Rede stellen will und zur Räson bringen, an seiner Rhetorik jedoch völlig schutzlos zerbrechen muss.

Maya Henselek in der Doppelrolle der Ophelia und des Horatio, hat in beiden Fällen die Sympathien des Publikums auf ihrer Seite. Einerseits als verletze Liebende, die, wie es die Königin nach ihrem Tod ausdrückt, zumindest als Wasserleiche noch ein schönes Bild gibt. Und schon wieder darf es beim gebildeten Publikum in den Synapsen klicken und John Everett Millais mit seinem Gemälde der im Bach treibenden Toten unweigerlich durch die Gehirnwindungen sausen. Und andererseits als einziger Freund Hamlets, der ihm einzig intellektuell das Wasser reichen kann. Zwar muss er sich mit einer Assistentenstelle zufriedengeben – in welcher er sich der Phänomenologie Husserls verschrieben hat – und somit eine inferiore Denkposition gegenüber Hamlet einnimmt, betrachtet man die Entwicklung der Philosophie als linear ansteigend. Dennoch ist er es, der Hamlet bei all seinem Denken und Handeln treu bis zum Ende zur Seite steht. Henselek zeigt in den beiden Rollen ihre grandiose Wandelbarkeit nicht zuletzt durch eine clevere Kostümwahl unterstützt.

Jens Claßen und Julian Loidl, als mit wenig Geist ausgestattete Güldensterns und Rosenkranz zu sehen, dürfen auch als Mitglieder jener Theatertruppe agieren, die ganz unwissentlich Hamlet dabei unterstützt, das Verbrechen an seinem Vater aufzudecken. Aber nicht nur diese Szene stellt – wie heute so gerne in modernen Inszenierungen – das Theater selbst auf den philosophisch-soziologischen Prüfstand. Auch der Hinweis auf Max Reinhardt und Fritz Kortner – im Zusammenhang mit Hamlets Vergänglichkeitsbetrachtungen – konterkariert wie mit feinen Nadelstichen die Metahandlung und holt sie zurück auf jene Bretter, die manchmal nicht die Welt, sondern eben nur eine Kulturnation bedeuten.

Wem es in dieser Kritik zu sehr heideggerte und husserlte, shakespearlte und plasste, der oder dem sei gesagt, einfach unvoreingenommen in eine Vorstellung gehen, alles hier Gelesene vergessen und einfach nur genießen. Einen Theaterabend der Sonderklasse.

Gernot Plass` Hamlet-Neuinszenierung am TAG

Hamlet sein c Anna Stoecher 4730

Hamlet sein - Foto: © Anna Stoecher

Die Neuinszenierung von Hamlet im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) in der Währingerstraße hat es in sich. Nicht nur, dass Shakespeare zur großen Überraschung auch mit der neuen Sprache von Gernot Plass Shakespeare bleibt. Als ob darin nicht ohnehin schon Stoff genug zum Nachdenken vorhanden sei, setzt Plass mit weiteren Bedeutungsebenen dem Stück wahrlich seine eigene Krone auf – mit vielen, vielen darin funkelnden Edelsteinen. Mit dem Seziermesser scheint er über den Urtext gegangen zu sein, wobei ihm das Kunststück gelungen ist, den Duktus des Gottvaters des Dramas und der Komödie trotz neuem Sprachgewand 100prozentig getroffen zu haben. Und so jagt nicht nur ein Bonmot, eine blitzgescheite Idee, ein Spaß und eine tiefe Wahrheit die andere. Schlag auf Schlag, so dass man sicher sein kann erst bei einem zweiten oder gar dritten Theaterbesuch all seine geistreichen Finessen voll erfassen zu können, reichert der Autor und auch für die Inszenierung Verantwortliche das Geschehen mit zeitgeistigen Ideen an, ohne jedoch dabei die Grundkonstruktion des Dramas je aus dem Auge zu verlieren. Auch das Bühnenbild und die Kostüme stammen aus derselben Denke und bilden somit ein rundes Ganzes, das mit zum Erfolg der Inszenierung beiträgt. Schwarz und Weiß, Grau und Rot bestimmen sowohl die räumliche Determination als auch die Kleidung und lassen Raum genug, jede Szenerie durch unterschiedliche Ausleuchtung selbst neu zu interpretieren.

Der Autor lässt seinen Hamlet als Student der Philosophie auftreten. Ausgerechnet in Freiburg steht seine Alma Mater, weswegen er wohl sein Denken auf Husserl und Heidegger ausrichtet. Darin übt er sich auch kräftig zu Hause, wobei er zwangsläufig damit seine Familie und Freunde intellektuell ins Abseits stellt. Da bedarf es nur mehr des Griffes zu einem Buch und eine kleine exaltierte Körperpose, schon glauben alle, er sei dem Wahnsinn verfallen. Wenn sich in seinen Gedankenströmen das Licht lichtet erfreut sich jeder gebildete Mensch an der Verballhornung von Heideggers Nichts, das sich nichtet. Doch obwohl er wie nebenbei auch Nietzsche und Sartre aus dem Ärmel beutelt und offenbar auch profunde Kenntnisse des griechischen Dramas aufweist, kann er sich dem Schicksal, das auf alle wie ein Tsunami zurollt, nicht entziehen. Bildung und Intelligenz schaden nicht – aber sie helfen ihm auch nicht, das finale Gemetzel hintanzuhalten. So verwundert es schließlich nicht, dass ihm sein früher Tod selbst allzu früh und ohne Erlösung kommt. Mit dem Ausruf „Ich war so kurz davor das alles zu kapieren“ verweist er auf die Hoffnung eines Erkenntniszuwachses, den er gerne länger ausgekostet hätte. Als ewig Denkender und ewig Suchender beherrscht ihn auch noch in der letzen Minute sein Wissensdrang stärker als Gefühle zu seinen Mitsterbenden. In existenzialistisches Schwarz gekleidet, blass im Gesicht, mimt Gottfried Neuner glaubwürdig seinen verkopften Antihelden.Ganz Kopf- und wenig Bauchmensch ist seine Handlungstriebfeder eine gänzlich andere als jene seines größten Widersachers.

Claudius, sein Onkel und Stiefvater agiert hingegen als machtbesessener und potenter hinterlistiger Mörder, der im Laufe des Dramas seinen Gewissensbissen nicht entkommt. Ganz im Gegensatz zu Hamlet denkt er nicht über das Nicht-Sein nach, sondern reflektiert vielmehr über die Außenwirkung seiner Taten und würde ein Königreich für einen guten Pressesprecher geben, um sein Image halbwegs rein poliert zu bekommen. In der Doppelrolle von Hamlets Vater und Claudius brilliert der hünenhafte Horst Heiss, an seiner Seite apart Michaela Kaspar mit blutrotem Lippenstift – der von Beginn an ganz subtil vom schaurigen Ende kündet. Hin- und her gerissen zwischen Eros und Mutterliebe ist sie froh über jede Einflüsterung, die ihr Handeln bestimmt. Wie jene von Polonius – komödiantisch mehr als astrein von Georg Schubert dargestellt – in welcher sie ihren Sohn zur Rede stellen will und zur Räson bringen, an seiner Rhetorik jedoch völlig schutzlos zerbrechen muss.

Maya Henselek in der Doppelrolle der Ophelia und des Horatio, hat in beiden Fällen die Sympathien des Publikums auf ihrer Seite. Einerseits als verletze Liebende, die, wie es die Königin nach ihrem Tod ausdrückt, zumindest als Wasserleiche noch ein schönes Bild gibt. Und schon wieder darf es beim gebildeten Publikum in den Synapsen klicken und John Everett Millais mit seinem Gemälde der im Bach treibenden Toten unweigerlich durch die Gehirnwindungen sausen. Und andererseits als einziger Freund Hamlets, der ihm einzig intellektuell das Wasser reichen kann. Zwar muss er sich mit einer Assistentenstelle zufriedengeben – in welcher er sich der Phänomenologie Husserls verschrieben hat – und somit eine inferiore Denkposition gegenüber Hamlet einnimmt, betrachtet man die Entwicklung der Philosophie als linear ansteigend. Dennoch ist er es, der Hamlet bei all seinem Denken und Handeln treu bis zum Ende zur Seite steht. Henselek zeigt in den beiden Rollen ihre grandiose Wandelbarkeit nicht zuletzt durch eine clevere Kostümwahl unterstützt.

Jens Claßen und Julian Loidl, als mit wenig Geist ausgestattete Güldensterns und Rosenkranz zu sehen, dürfen auch als Mitglieder jener Theatertruppe agieren, die ganz unwissentlich Hamlet dabei unterstützt, das Verbrechen an seinem Vater aufzudecken. Aber nicht nur diese Szene stellt – wie heute so gerne in modernen Inszenierungen – das Theater selbst auf den philosophisch-soziologischen Prüfstand. Auch der Hinweis auf Max Reinhard und Fritz Kortner – im Zusammenhang mit Hamlets Vergänglichkeitsbetrachtungen – konterkariert wie mit feinen Nadelstichen die Metahandlung und holt sie zurück auf jene Bretter, die manchmal nicht die Welt, sondern eben nur eine Kulturnation bedeuten.

Wem es in dieser Kritik zu sehr heideggerte und husserlte, shakespearlte und plasste, der oder dem sei gesagt, einfach unvoreingenommen in eine Vorstellung gehen, alles hier Gelesene vergessen und einfach nur genießen. Einen Theaterabend der Sonderklasse.

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