Ein Abend drei Vorstellungen

Ein Abend drei Vorstellungen

Ein Abend drei Vorstellungen

Von Michaela Preiner

„di stance“ (Foto: Ina Aydogan)
16.
Jänner 2018
Die Huggy Bears luden das Publikum am vergangenen Wochenende ins WUK – zu gleich drei Tanzveranstaltungen.
Für die von Superamas angestoßene Initiative, Nachwuchskünstlerinnen und -künstlern unter die Arme zu greifen und sie bei Produktionen zu unterstützen, wurden 2017 drei Projekte begleitet und das Ergebnis dem Publikum an einem langen Abend im WUK vorgestellt.
Malika Fankha eröffnete den Reigen mit der Show „Sauna“. Die Tänzerin, die in Wien bereits in allen Häusern zu sehen war, die Tanz und Performance anbieten, erzeugte mit ihrer Darstellung eines Ungeborenen im Mutterleib eine wahre Sogwirkung. Ihr Storytelling, das sie selbst in englischer Sprache vornahm, geriet zu einem wilden, zugleich aber höchst humorigen Ideenparcours über Gefühle und Gedanken eines ungeborenen Menschen. Dabei thematisierte die Tänzerin, deren Outfit (Kostüm Goran Bugaric) auch gut einem Cyber-Kobold gepasst hätte, das Gefühl der Beengtheit ebenso wie die Ängste und körperlichen Erfahrungen, die der Fötus während eines Geschlechtsaktes seiner Mutter mit dem angeblichen Erzeuger empfindet. Das lange Warten bis zur Geburt erlebt das Ungeborene aber nicht in reiner Untätigkeit, sondern höchst reflektiert, wobei es die Umstände seiner Zeugung und das Umfeld seiner Mutter mit reichlich sarkastischen Ansagen kommentiert. Ein hitverdächtiger Ohrwurmsound (Dark Euphoria feat. Alexander Kasses & Bernd Ammann) , den Fankha live produzierte und eine gelungene Lichtregie verliehen der abgefahrenen, aber gelungenen Produktion ihren letzten Schliff.
1 sauna c Laurent Ziegler
2 sauna c Laurent Ziegler
Sauna (Fotos: Laurent Ziegler)
Cat Jimenez, die vergangenes Jahr das Stadttänzer-Stipendium der Stadt Klagenfurt erhielt, zeigte mit Maiko Sakurai-Karner ein höchst reflektiertes Pas-de-deux mit dem Titel „di stance“. Dabei brachte Sakurai ihre Erfahrung als Designerin ein, Cat Jimenez ergänzte das mit feinen Metallskulpturen aufgebaute künstlerische Setting mit ihrer Körperarbeit. Diese oszillierte zwischen freien, fließenden Bewegungselementen und Spuren von traditionellen Tänzen der Philippinen. Der Einfluss der unterschiedlichen Kulturen, Maiko Sakurai-Karner hat eine japanische Mutter und einen österreichischen Vater, Cat Jimenez stammt von den Philippinen, lebt aber schon seit dem Vorschulalter in Wien, sollte bei dieser Performance ebenso spürbar werden wie der gegenseitige Respekt für die jeweilige Arbeit der anderen. Beides ist den Künstlerinnen gelungen. Die Abschluss-Szenerie, in der die feinen, geometrischen Skulpturen von den Künstlerinnen mit Taschenlampen so beleuchtet wurden, dass die Schatten an den Wänden zu Mitperformern wurden, machten metaphorisch auch klar, dass Dinge, von verschiedenen Seiten aus betrachtet, gänzlich andere Qualitäten bekommen.
1 di stance c Ina Aydogan
di stance (Foto: Ina Aydogan)
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war and love (Foto: Claire Lefevre)
Die dritte, höchst schweißtreibende Performance dieses Abends „War and love“ stammte vom Choreografen und Tänzer Matan Levkowich, die er gemeinsam mit Yali Rivlin auf einer Matte zelebrierte, um die herum das Publikum wie bei einem Ringer-Event Platz nehmen konnte.

Die 2-stündige Show, in der die beiden Männer sich einen Ringkampf mit eigenen Regeln lieferten, wurde durch unterschiedliche, auditive Einspielungen, von Wasserabflussgeräuschen über politisch-philosophische Erörterungen bis hin zu Fangebrüll in einem Stadion ergänzt. Der dabei geforderte Körpereinsatz ging weit über jenen hinaus, den Tänzer für gewöhnlich abliefern müssen. Ununterbrochener Körperkontakt und die Kraftanstrengung, den anderen entweder auf die Matte zu hebeln, oder sich von einer innigen Umklammerung zu befreien, erforderten immer wieder Ruhepausen. Eine ungewöhnliche Idee, in der die Grenze zwischen sportlichem Event und Performance völlig verschwimmt. Einziger Wermutstropfen des Abends war die sehr spät angesetzte, letzte Show, der, angesichts der fortgeschrittenen Nacht, nach und nach das Publikum abhanden kam.

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Das zuckerlrosa Kollektiv

Das zuckerlrosa Kollektiv

The Old Testament According To The Loose Collective

„The Old Testament According To The Loose Collective“ (c) David Payr

Im Tanzquartier Wien gab „The loose collective“ ihre neueste Produktion „The Old Testament According To The Loose Collective“ zum Besten und die kann als kontroversiell angesehen werden. Ganz in zuckerlrosa gewandet machten Alex Deutinger, Alexander Gottfarb, Thomas Kasebacher, Marta Navaridas, Anna Maria Nowak sowie Guenther Berger und Stephan Sperlich, die beiden Letztgenannten auch als 78plus bekannt, ihre schon dadaistische Sicht auf das alte Testament deutlich. Die einstündige Show, oszillierend zwischen Tanzeinlagen, dem modern dance verpflichtet, Showauftritten, wie wir sie aus dem Fernsehen von seichten Musikshows kennen und Rockkonzerten, soll laut Programmheft mehr als Collage verstanden werden denn als durchgehende, tief schürfende Interpretation dieses Welttextes. Und eine solche war es tatsächlich nicht. Dabei verlangte das Konzept von den Agierenden mehr als nur körperliche Fitness ab. Vor allem die vielen Gesangseinlagen legten den Schwerpunkt des Abends auf die stimmlichen Qualitäten des Kollektivs. Das interessante Phänomen daran war, dass vor allem die an den Schluss gesetzte Einlage von Thomas Kasebacher, der beileibe nicht mit einem großartigen Stimmvolumen ausgestattet ist, beim Publikum den allergrößten Anklang fand. Seine Persiflage auf so manchen Fernsehprediger wurde lauthals beklatscht und bejubelt. Wohl, weil es ihm gelang, trotz chaotischem Gebaren die Menschen auf den Zuschauerrängen singend und klatschend in seine Heilsverkündung einzubeziehen. Tanzquartier goes Ballermann – so schnell geht das.

Der Ansatz, Textfragmente aus ihren großen Zusammenhang zu reißen und in einen subjektiv aufgelösten Bühnenkontext zu stellen, ist legitim. Das Endprodukt ist in diesem Fall eine extrem zeitgeistige Aufführung, die den Bildungsstand eines leider großen Bevölkerungsteiles widerspiegeln dürfte. Aus der Sicht jener, die neben einer Bühnenpräsenz auch noch ansatzweise Inhalt erwarten, ist der Abend sicherlich eher enttäuschend verlaufen. Spaß und Klamauk sind, richtig eingesetzt, ein wunderbares Stilmittel, das auch großen Texten wie dem alten Testament gut tut. Niemand hat dies besser vorgeführt als die Gruppe Monty Python mit ihrem Klassiker „Das Leben der Brian“. Wenn man nicht so weit in die Vergangenheit will reicht schon ein kurzer Blick auf die Veranstaltung im WUK zu Beginn dieses Jahres von norton.commander.productions die sich einer famosen künstlerischen Bearbeitung der 10 Gebote angenommen haben. Der Abend im Tanzquartier machte aber auch deutlich, dass die eigenwillige Collage von Texten des Alten Testamentes des losen Kollektivs zu jenen Darbietungen zu zählen ist, welche in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht auf eine durch ihre Vorführung ausgelöste Katharsis sondern auf einfachste Publikumsunterhaltung setzen. Ganz nach dem Motto: nicht zu viel denken, lieber mehr Spaß haben. Der frenetische Applaus gab ihnen in dieser Hinsicht recht.

Der große Traum vom kleinen Glück

Der große Traum vom kleinen Glück

A General Theory of Love im WUK (Foto: WUK)

Welche Regeln, welche Mechanismen, welche Übereinkünfte bestimmten gleichgeschlechtliche Beziehungen? Man möchte meinen, dass sich diese Fragen schon lange erübrigt haben, aber tatsächlich ist die simple Antwort im gesellschaftlichen Mainstream noch nicht angekommen.

Joris Camelin und Rémy Héritier, Philipp und Stefan Lirsch, Wolfgang Prinz und Michel Gholam – die Aufzählung ist unvollständig, aber sie zeigt, dass die Kombination von 2 tanzenden Männern auf der Bühne eine derzeit beliebte Zusammensetzung ist. Michael O’Connor und Brandon Gonzales steuern nun ein neues Kapitel mit dem Titel „A general theory of love“ in der männlichen 2er Besetzung des zeitgenössischen Tanzes bei. Im WUK in Wien ergänzte die stimmgewaltige Inertia deWitt ihren Auftritt, welche die Aussage des Stückes der beiden Tänzer, die ansonsten über weite Strecken ohne Musik auskamen, mit 2 Liebesliedern akustisch unterstrich. Ein akustisch eingespielter Text über die Schönheit einer Rose, gesprochen Richard Feynman, dem Nobelpreisträger aus dem Jahre 1965, ließ mehrere Assoziationsebenen offen. Darin beschreibt der Quantenphysiker, dass sich aufgrund seines Wissens um die Wunder und die Herrlichkeit der zugrundeliegenden physikalischen Phänomene der molekularen, atomaren und subatomaren Prozesse in dieser Pflanze sein Erlebnis ob deren Duft und die Schönheit außerordentlich intensivierte. Im Stück der Amerikaner hätte dies auch mit Saint-Exupérys Gedanken zur Liebe einer Rose ergänzt werden können, denn die Idee, dass Liebe gehegt und gepflegt werden muss, und nur dort gedeiht, wo man auch mit dem Herzen gut sehen kann, diese Idee zog sich wie ein roter Faden durch das Geschehen. Obwohl Michael O`Connor mit dieser Inszenierung versuchte, sich auf die Spur der aktuellen Erkenntnisse der Neurowissenschaften zu machen die Liebe als etwas beschreibt, das erlernbar ist, bestand der Abend keineswegs aus theoretischen Erklärungen, sondern ganz im Gegenteil, er war randvoll mit Emotionen.

Beginnend mit einfachen, selbstständigen Bewegungsmustern, die Bühne umrundend und sich dabei anfänglich nur kurz streifend, verändert sich die Körperarbeit der beiden bis hin zu akrobatischen Einlagen, bei welchen sie sich gegenseitig in aberwitzigen Kombinationen tragen. Ob auf den Rücken, quer über den Bauch, zwischen den Beinen – immer klammert sich einer der beiden an den anderen, geht eine körperliche Symbiose mit dem anderen ein, so dass es den Anschein hat, als seien die beiden Körper untrennbar miteinander verschmolzen. Erinnerungen an die Zeiten aller anfänglichen Liebesbeziehungen tauchen beim Betrachten dieser Sequenz auf, Erinnerungen an jene Zeiten, in denen es einem lieb gewesen wäre, den Partnerkontakt 24 Stunden am Tag genießen zu können. Mit einer groovigen Nummer, in der Inertia deWitt die Unmöglichkeit der Liebe mit unter die Haut gehender Stimmgewalt veranschaulicht, ändert sich auch das Szenario. Gleichmäßig im Takt agieren nun beide Männer nebeneinander synchron – bis hin zur schier endlosen Repetition – die, wie wir alle wissen, in Beziehungen meist kontraproduktiv wirkt. Und unmerklich geschieht es – das Auseinanderdriften der beiden, das Sich-Wieder-Verselbständigen bis hin zu kleinen Rangeleien, die am Schluss dieser Szene stehen. Durch harte Lichtwechsel, die einzelnen Abschnitte immer wieder voneinander trennen, gibt O`Connor dem Publikum die Möglichkeit, sich auf Neues einzustellen. Was langsam begann, ist nun offensichtlich. Schmerzensgebärden und Zusammenbrüche machen deutlich, dass die Beziehung an ihr Ende gelangt ist. Um wenige Momente später in der schönsten und berührendsten Phase des Abends, wieder auf eine positive Ebene gehoben zu werden. Brandon Gonzales setzt sich dafür an den Flügel und intoniert eine kleine, ganz einfache Elegie, zu der sein Partner wieder zum Leben erwacht und dazu zu tanzen beginnt. Das Verzeihen und das Geben von dem, was der andere sich am sehnlichsten wünscht und braucht – diese selbstlose Geste wird hier durch das Spiel am Klavier ausgedrückt. Nicht mehr der körperliche Austausch und die körperliche Symbiose stehen nun im Mittelpunkt des Geschehens. Vielmehr ist es die Erkenntnis und die Unterstützung der Bedürfnisse des Partners, die wieder heil machen, was schon verloren schien.

Wer es bis dahin noch nicht wusste – für den dürfte die Eingangsfrage beantwortet worden sein. Es sind dieselben Regeln, Mechanismen und Übereinkünfte, die gleichgeschlechtliche und heterosexuelle Beziehungen zusammenhalten oder auseinanderbrechen lassen und dafür verantwortlich sind, ob der große Traum vom kleinen Glück ein Traum bleibt – oder Realität wird.
Ein anspruchsvoller Tanzabend, der es verdient hätte, vor mehr Publikum aufgeführt zu werden.

A General Theory of Love Trailer from Mike O’Connor on Vimeo.

Monty Python reloaded – oder: gestorben heißt noch lange nicht tot

Monty Python reloaded – oder: gestorben heißt noch lange nicht tot

norton.commander.productions mit „X Gebote“ im WUK

X Gebote - norton.commander.productions im WUK in Wien

X Gebote - norton.commander.productions im WUK in Wien (c) norton.commander.productions

Wenn man alt wird, verwandelt man sich wieder zum Kind. Man beschäftigt sich mit Kinderspielen und trägt Windelhosen und vergisst, was einem das Leben einst bedeutete. Man kehrt zurück in jene Zeit, in der das Spiel einzige Lebensaufgabe und einziger Lebenssinn war – und wenn diese auch nur darin bestanden Gummi-Tierchen aufzublasen. Genau diese Vorstellung visualisiert das erste Bild von „X Gebote“, einer Produktion der norton.commander.productions, die derzeit auf einer kleinen Tour in Deutschland und Österreich zu sehen ist.

Zu Beginn des Geschehens sind 4 Männer, einzig mit Geriatriewindeln bekleidet, auf der Bühne damit beschäftigt, sich eine Spielwelt zu erschaffen, in der es von aufblasbaren Plastiktierchen nur so wimmelt. Bis es aber soweit ist, müssen einige Hürden überwunden werden. Zuallerst jene des eigenen, begrenzten Atemvolumens.
Kläglich mühen sie sich an 4 kleinen, grünen Luftwürstchen ab – weit ist es also nicht her mit Gottes Odem – bis schließlich – der technischen Evolution sei Dank – vier Kompressoren angeworfen werden dürfen. Diese pumpen in kurzer Zeit rasch genügend CO2 in die bunte, artifizielle Tierschar, in der es sich offenbar lustiger leben lässt als zuvor.

Der Titel „X Gebote“ und die Vorankündigung , dass es sich an diesem Abend um die Aufarbeitung und Neufassung von 3 Geboten, der allseits bekannten 10 christlichen, geht, lassen jedoch beim Publikum nicht wirklich Humor aufkommen. Da muss doch noch ein tieferer Sinn hinter dem Ganzen stecken? Warum nur komme ich nicht dahinter? Dies oder so Ähnliches mag sich bei der oder dem ein oder anderen im Kopf abgespielt haben, denn, obwohl die Absurdität des Geschehens über lange Strecken nicht zu überbieten ist, entkommt nur wenigen im Publikum ein leises Kichern. Welcher Lust-Hemmschuh kann sozial erwünschtes Verhalten doch sein! Diejenigen aber, die sich auch abseits eines Theaterabends einlassen auf das Spiel das da heißt, „Nimm die Realität nicht ernst, sie holt dich ja doch ein“, kommen an diesem Abend voll auf ihre Kosten.

Die Erkenntnis, von der wir alle wissen, dass sie ein Abkömmling jenes Baumes ist, dessen Früchte Adam und Eva untersagt waren zu essen, folgt rasch. Beigesteuert von der Projektion des Gemäldes „Paradies“ von Lucas Cranach dem Älteren aus dem Jahr 1530. Aufgemerkt in der Fassung der Gemäldegalerie der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in welchem – ganz im Gegensatz zu jenem Bild im KHM in Wien – eine Unzahl an Getier kreucht und fleucht. Ganz so wie auf der Bühne. Hirsche, Rehe, Löwen und Schafe, Pferde und – Flamingos – sind dort wie da zu sehen – wobei – das mit den Flamingos, das ist eine künstlerische Freiheit, die sich das Ensemble nimmt, wohl in der Ermangelung jener Reiher, die Cranach auf seinem Gemälde verewigte. Aber um eine detailgetreue Darstellung geht es ja wahrlich nicht. Vielmehr wohl darum zu zeigen, auf welchem Mythos unser westlicher Wertekanon aufgebaut ist und welche Bilder dazu beitrugen, unsere Vorstellung vom Paradies und vom „Goldenen Zeitalter“ zu formen. Schwupps – schon hält uns Ikonographie und Ikonologie in trauter Umarmung. Wohlig in sie eingekuschelt, umso mehr wenn man kunsthistorisch ein wenig verbildet ist, darf man sich einlassen auf ein Ratespiel. Ein Ratespiel, in welchem man gegen die Dramaturgie antritt und brav Punkte sammeln darf. Eine Pose gedeutet, eine Requisite erkannt, ein versteckter Hinweis in kulturgeschichtlichen Kontext gebracht – und schon hat man 100 Punkte erspielt. Schade und zu dumm nur, dass die nebenan Sitzenden vom persönlichen Bildungsniveau gar nichts mitbekommen! Schön, dass uns dabei die eingefrorenen Posen der Protagonisten Adam und Eva samt Engel mit Schwert und listiger Schlange auf die Sprünge helfen. Und das alles im „Theater ohne Worte“ – oder ist dies nicht unter dem Begriff Performance längst bekannt?

Egal, kaum glaubt man das „Spiel“ verstanden zu haben, wechselt das Geschehen von der Bühne auf die dahinter angebrachte Leinwand und weicht dem Medium Film.
Gott Vater erscheint nun als ein in weiße Ausgehuniform gekleideter, ergrauter Oberst (Hermann Beyer) – oder ist er gar General?, der alle Hände voll zu tun hat, seine unorganisierte Truppe auf Linie zu bringen. Brüllend müht er sich ab, ihr die Richtlinien und Gesetze der christlichen Dogmen einzubläuen und dies mit all jenen militärischen Finessen, die da wären: Erniedrigen, demütigen und schinden. Anfangs laufen Matthäus, Jakobus, Bartholomäus, Simon, Philippus und Judas noch brav im Ertüchtigungsschritt hintereinander durch das leere Parkhaus, fröhlich eine Kinder-Gotteslobpreisung singend, auf dass sie sich einstimmen mögen in das, was sie schließlich in die Welt hinaustragen sollen. Wobei die Fronten hier schon aufbrechen, denn Jakobus – (Angie Reed mit aufgeklebtem Bart) wird kurzerhand von ihrem „Herrn“ zu Maria Magdalena umtituliert, was widerwillig zur Kenntnis genommen wird. Womit Gott Vater aber nicht gerechnet hat ist, dass rund 2000 Jahre nach der Ideenimplementierung des christlichen Glaubens die Menschheit sich doch erdreistet, gegen ihn uns seine vermeintliche Wahrheit aufzumucken. Irm Hermann, in der Rolle der gestrengen Psychotherapeutin wird zur Geburtshelferin jenes freien Denkens, welches gegen den „allmächtigen Vater“ revoltiert. Und doch ist es zum Schluss sie, die allen die Frage stellt „wird er euch nicht abgehen?“ Und schon ist sie geschehen jene Todsünde, die da heißt: Du sollst nicht töten. Denn schon hat er sich in Luft aufgelöst, jener Gott, der sich selbst gar nicht vorstellen konnte, jemals getötet zu werden. Die Erleichterung von seiner Knechtschaft wird nur durch die Absenz dessen getrübt, was einst dazu diente, alle Mühe und Plage auf dieser Welt im Hinblick auf eine bessere himmlische Zukunft zu ertragen – und sei es auch nur für wenige Momente im betroffenen Gesichtsausdruck der Therapeutin.

Soweit, so gut – das erste der drei an diesem Abend thematisierten Gebote wurde abgehandelt. Was kommt jetzt?„Du sollst keinen anderen Gott neben mir haben“ und „Du sollst nicht stehlen“ – wird in den zweiten Teil nach der Pause verlegt. Und da ganz pragmatisch und doch lustvoll zugleich behandelt. Pragmatisch, weil es keiner weiteren Erklärungen bedarf außer eines einzigen Songs, der weltweit zu den Ikonen der Popgeschichte gehört: John Lennons „Imagine“ und lustvoll, weil er in einer ganzen Reihe von Neuinterpretationen zu Gehör gebracht wird. Nun zeigen Angie Reed und die männlichen Interpreten, was musikalisch in ihnen steckt. Ganz wie weiland Otto Waalkes gehen sie daran, mit immer demselben Text eine musikalische Stilrichtung nach der anderen abzuhandeln. Vom Choral über ein Blockflötenseptett, vom Sing-a-Song-Writer- über eine Heavy-Metal-Version wird nichts ausgelassen, was die Menschen auf unserem Globus derzeit musikalisch beglückt. Und immer ist es der groß gewachsene Nikolaus Woernle, auch er ganz in weiß gewandet, der den Ton angibt. Ihm sind sie alle ergeben, blicken auf zu ihrem Idol und machen klar, dass er nun drauf und dran ist jenen zu ersetzen, den man doch erst kurz zuvor für tot erklärte. So schnell wechselt der Thron im Götterhimmel und so rasch haben wir damit gleichzeitig ein weiteres Gebot gebrochen. Dagegen nimmt sich das Gebot nicht zu stehlen gar nicht mehr so tragisch aus, hat es doch längst mit „Copy & paste“ nicht nur in das Musikbusiness Einzug gehalten, sondern kann auch, wie Karl Theodor zu Guttenberg und andere gezeigt haben, zu wissenschaftlichen Weihen führen. Wie schön ist es aber doch, wieder an etwas zu glauben! An eine vereinte Welt, in der es keinen Himmel aber auch keine Hölle gibt, die aber zumindest noch einen Anführer hat. Auch wenn der mehrmals erschossen wird. Macht nichts, im nächsten Moment steht er wieder da – bewundernswert wie eh und je.

Was die zehn Gebote selbst betrifft ist festzustellen: Noch können wir auf diese offensichtlich nicht verzichten, ob Gott sich nun verabschiedet hat oder nicht. Das ist es wohl, was Harriet Maria und Peter Meining, verantwortlich für Regie, Buch, Bühne und Film uns vermitteln möchten. Ganz subtil mit ihrem spielerischen und multimedialen Ansatzes, dem „Gott sei Dank“ der Holzhammer fehlt.

In weiteren Rollen: Otmar Wagner, Gregor Biermann, Ole Wulfers, Mark Boombastik, Jörn Burmester, Nikolaus Woernle sowie das Kind Noel Lode.
Das 11. Gebot steht jedenfalls fest: Du sollst „X Gebote“ Teil 2 ansehen.

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