Tanz-Dada gepaart mit bewegten, abstrakten Kunstwerken

Tanz-Dada gepaart mit bewegten, abstrakten Kunstwerken

Michaela Preiner

Foto: (Alberto Franceschini )

9.

August 2022

Der Besuch einer Tanzperformance kann viele Reaktionen auslösen. Man kann sich über eine gelungen erzählte Geschichte freuen, oder einfach tänzerische Leistungen bewundern. Man kann von technischen Bühnenfinessen beeindruckt sein, oder sich in die Musik fallen lassen und die Choreografie genießen. Man kann aber auch überrascht werden.

Elio Gervasi, gebürtiger Italiener, ist seit „gut einem halben Jahrhundert“ (so steht es im Programmheft) in Wien ansässig. Der Tänzer und Choreograf, mit 35 Jahren Bühnenerfahrung und einer eigenen Compagnie, gab im Rahmen des Impulstanz-Festivals ein Solo mit dem schlichten Titel „Elio Solo“. Das Konzept und die Gestaltung stammen vom Dramaturgen Karl Baratta, die Choreografie und der Tanz von Gervasi. Aus dieser Mischung entwickelte sich eine Produktion, bei der gleich zu Beginn die Gehirnganglien beim Zuschauen heiß liefen. Was geschieht da auf der Bühne genau? Was bedeuten denn die reduzierten Gesten des Tänzers? Wie stehen sie in Zusammenhang mit den undefinierbaren Klängen aus dem Lautsprecher? (Komposition und Livemusik Alessandro Vicard). Geduld war vorerst angesagt, aber nach und nach konnte man wiederkehrende Bewegungen erkennen, die sich additiv ausweiteten.

22 ELIO SOLO5 Alberto Franceschini

Foto: © Alberto Franceschini

Auf einer am linken Bühnenrand platzierten Video-Projektionsfläche wurde kurz nach Beginn der Performance ein S/W-Film eingespielt.  Die Figuren und Objekte darin waren so stark verschattet, dass man das zu Sehende schwer entziffern, ja in manchen Stellen nur als abstrakte, bewegte Formen wahrnehmen konnte. Dennoch wurde klar, dass es sich um eine Videoaufnahme handelte, die Gervasi in einer Workshop- oder Probensituation mit anderen Tanzenden zeigte. Erst später konnte man wahrnehmen, dass einiges, was im Video zu erahnen war, einiges, was sich in dieser parallelen, zeitlich nicht zu verordnenden Wirklichkeit abspielte, eine Verschränkung mit dem live gezeigten Bühnengeschehen darstellte. Die Objekte, mit welchen der Tänzer im Video agierte, fanden sich bald auch auf der Bühne des Schauspielhauses wieder, auf der die Performance stattfand. Da wie dort wurde eine lange Stange und ein Blasinstrument mit langem Hals – ähnlich einer tibetanischen Rag dun – in trauter Nachbarschaft mit grünen Plastikkisten zu einem „Bastel-dir-ein-low-budget-Bühnenbild“ vereint. Um dieses herum und mit diesem gestaltete Gervasi seine weitere Performance.

Spätestens nachdem die Objekte platziert worden waren, war klar: Zeitgenössischer Tanz kann und darf vieles – vor allem auch mit Humor behaftet sein. Der lange Stock, den der Performer auf die Bühne gebracht hatte, wurde von ihm bald in der Luft und über den Boden geschwungen, aber so, dass einem zum Teil angst und bang werden konnte. Währenddessen veränderte sich der Sound und ließ Filmmelodien und Gesprächsfetzen erkennen. War zu Beginn das Bewegungsrepertoire ruhig und beschaulich, so leitete nun eine Stepptanz-Einlage und eine Boden-Choreografie ein anderes Kapitel ein. Martialisch und hilflos zugleich erschien jetzt der Tänzer, der mit erhobenen Armen immer wieder rhythmisch seine Beine auf den Boden klatschen ließ. Eine anschließende Hüpf-Einlage und das kunstvolle Niederlassen und Sitzen auf einem Sessel, dessen Vorderbeine dem Objekt abhandengekommen waren, erweiterten das choreografische Repertoire.  Wer sich dem tollen Treiben auf der Bühne vorurteilslos hingab und nicht krampfhaft nach Erklärungsmodellen suchte, war zu diesem Zeitpunkt klar gegenüber jenen im Vorteil, die nach inhaltlichen Zusammenhängen suchten. Auf den Punkt gebracht könnte man sagen: Dada lebt auch im zeitgenössischen Tanz nach wie vor.

22 ElioGervasi ElioSolo c TanzCompanyGervasi 04

Foto: © Tanz Company Gervasi

Das Ende seiner Performance wurde mit einer Szene eingeleitet, die zwar Referenzen zu choreografierenden Zeitgenossen bot, aber schon fast slapstickhafte Züge aufwies.  Nachdem Gervasi sein „Bühnenbild“ neu geordnet hatte – das Blasinstrument und die Stange wurden in die Kisten so eingeschoben, dass nun ein beeindruckendes, abstraktes Kunstwerk in der Bühnenmitte stand – begann er, sich selbst mit einem höchst kuriosen Kostüm auszustatten. Dafür hob er nach und nach am Boden liegende Skijacken auf, um sie – eine nach der anderen und eine über die andere – anzuziehen. Seine unübertroffene Vollendung erhielt dieses Outfit durch einen Helm, den er sich auf den Kopf setzte, um so ausgestattet, Runde um Runde um den Kistenturm zu laufen. Dieser energiegeladene und zugleich zarte Mann hatte sich in ein kurioses Wesen verwandelt, das einem ob der Kraftanstrengung des Laufens und der Hitzeentwicklung unter dem Kostüm leidzutun begann. Erlösend kam daher sein plötzliches Stehenbleiben und sein Wink hin zur Technik, die sofort darauf reagierte und den Saal ins Black versetzte. Es dauerte einige Augenblicke, bis das Publikum frenetisch zu applaudieren begann.

Die Performance von Elio Gervasi und jene von Simon Mayer, die ebenfalls bei ImpulsTanz gezeigt wurde, könnten von ihrer Idee her weiter nicht auseinanderliegen und dennoch ergibt es Sinn, sie miteinander zu vergleichen. Beide Tänzer haben die choreografischen Konzepte auf ihre besonderen körperlichen Bedürfnisse ausgerichtet. Gervasi, 1953 geboren, teilt sich seinen körperlichen Einsatz sehr bewusst ein. Er weiß, dass er mit seiner Energie haushalten muss und rhythmisiert seine tänzerischen Aktionen so, dass zwischen kraftraubenden Aktionen immer wieder Ruhemomente liegen. In diesen treibt er durch Neuanordnungen der Objekte auf der Bühne oder auch durch ein ruhiges Spiel mit ihnen, die Dramaturgie in andere, unvorhergesehene Richtungen, ohne sich dabei permanent verausgaben zu müssen. Die Bewegungsdichte bei Mayer hingegen ist eine viel höhere. Die szenischen Abfolgen, die er zeigt, sind in sich geschlossen, wobei eine körperliche Ressourcenschonung nicht erkennbar ist. Vielmehr treibt ihn der Sound, den er zum größten Teil selbst erzeugt, zu verausgabenden Tanzaktionen, die den Zusehenden die Luft zum Atmen rauben.

Gervasi vermittelt mit einer großen Portion Humor, aber auch Selbstironie, einen besonderen Blick auf den zeitgenössischen Tanz. Er, der den Betrieb aus der Position eines Choreografen und Tänzers sieht, der schon lange mit dem Bühnengeschehen vertraut ist, weiß, dass es unendlich viele Möglichkeiten gibt, eine Performance zu gestalten. Alles, was er in seinem Solo zeigt, hat nicht nur einen, sondern mehrere Interpretationsböden, die zum „Nach-Denken“ herausfordern. Mayer, um eine Generation jünger, verfolgt in seinem Solo eine gänzlich andere Intention. Er zeigt auf, dass Bewegung sowohl aus der eigenen körperlichen Atemaktion heraus entstehen kann, aber er auch aus einem schmerzlichen, von außen Bewegtwerden. Leichtigkeit und Schwere, Humor und Entsetzen – Elio Gervasi und Simon Mayer zeigen exemplarisch, was im zeitgenössischen Tanz alles vermittelt und erfahren werden kann. Und das jeweils mit einer One-Man-Show.

Pin It on Pinterest