Unübertroffener Händel oder: wer Ohren hat zu hören, der musste weinen

Wer gestern Abend im Erasmussaal des Palais de la musique in Straßburg war, erlebte eine Sternstunde musikalischer Interpretation. Angetreten war Paul Mc Creesh mit seinem Gabrieli Consort & Players. Das seit 1982 gemeinsam musizierende Ensemble, brachte eine konzertante Aufführung von Händels Acis und Galatea auf das Podium, wie es bahnbrechender, berührender, aufwühlender und atemberaubender nicht sein hätte können. Die Geschichte zwischen dem sich liebenden, jungen Paar Acis und Galatea, und ihr Ende durch den gewalttätigen Riesen Polyphem, wurde nicht nur rein stimmlich und instrumentarisch dem Publikum näher gebracht, sondern es war ein Lehrstück, wie man die sonst oft steif wirkenden Solisten auch bei konzertanten Aufführungen mit kleinen Gesten und ausgefeilter Mimik als Bühnencharaktere zum Leben erwecken kann. Alle fünf Solisten befanden sich auf der Höhe ihres stimmlichen Ausdrucks, doch nicht nur dieser Umstand allein ließ die Aufführung zu einem Erlebnis der Spitzenklasse werden. Einen besonders herausragenden Beitrag dazu leistete Paul Mc Creesh. Alleine die Besetzung der Figuren, zeugt von seinem unglaublichen Einfühlungsvermögen und seiner extrem ausgebildeten Musikalität. Drei der fünf Solistenstimmen müssen in diesem Werk von Tenören gestellt werden, was in vielen Aufführungen eher dazu führt, dass sich diese leicht zu einem unnötigen Wettstreit des Belcanto hinreißen lassen. Gestern erlebte man etwas ganz anderes. James Gilchrist, der die Partie des Acis sang, stand mit seinem den Raum füllenden Volumen, das sich gleichzeitig mit einer unglaublich zarten Lyrik paarte, weit abseits von den Stimmen von Jeremy Budd und Nicholas Hurndall Smith. Während die beiden letztgenannten dadurch berührten, dass sie in ihren Arien des Coridon und Damon zu Mäßigung, Besonnenheit und Vorsicht aufriefen, konnte der Tenor Gilchrist seinen Emotionen freien Lauf lassen. Gerade die unterschiedlichen Stimmfarben der Tenöre und die so überaus gekonnte Besetzung, machte ein Hauptmotiv des Werkes deutlich wie nie zuvor: der Gegensatz von Emotion und Besonnenheit, von Liebe und Mäßigung, von Leidenschaft und Vorsicht. Allein durch die plastische Gegenüberstellung der beiden zarten Tenorstimmten von Budd und Hurndall, die, ganz im Geschmack der Entstehungszeit, teilweise feinste, barocke Manieriertheiten aufwiesen, zu jener emotional bis teilweise knapp an die Verausgabung geführten von Gilchrist, wurde diese Bedeutungsebene extrem deutlich. Die beiden weiteren Solisten Mhairi Lawson, welche den Part der Galatea sang, sowie Alan Ewing, der als Polyphem beeindruckte, waren ebenfalls jeweils eine Klasse für sich. Ihnen allen war – und dies dürfte maßgeblich auch der Direktion von Mc Creesh zu verdanken sein, eine extrem klare und deutliche Aussprache gemein. Es hätte des im Programmheft abgedruckten Librettos gar nicht bedurft, so überaus genau und durchsichtig kamen die Worte, sowohl in den kurzen Rezitativen, als auch den längeren Arien. Darüberhinaus verstand es der Dirigent, seine Musiker dort zurückzunehmen, wo die Arien der Solisten den Inhalt veranschaulichten oder weitertrieben, ohne jedoch, und darin liegt eine große Meisterschaft, zu einem akustischen Hintergrundeinheitsbrei zu verkommen. Egal, ob in jener besonders kräftigen des Polyphem, in welcher er seine liebestolle Raserei kund tut – oder aber auch der Todesarie von Acis, die sich nicht – und hier sei dem Genie Händel eine große Verbeugung erwiesen – wie im Operngeschehen der darauffolgenden Jahrhunderte, über mehrere Minuten bis zur Unglaubwürdigkeit hinzieht, sondern die dem Interpreten nur in einigen wenigen Takten Zeit gibt, sein Leben im wahrsten Sinn des Wortes auszuhauchen. Eine dramatischere Wiedergabe des Ablebens des jungen Acis, wie die gestern im Saal erlebte, ist nicht mehr denkbar. In der danach nur wenige Sekunden andauernden Stille, hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Acis war nicht als Sänger gestorben, sondern als Mensch. Schon in den Arien zuvor war es den Sängern durch wenige Schritte ihrer angestammten Position in die jeweils andere Podiumshälfte gelungen, auch eine optische Dramaturgie in das Geschehen fließen zu lassen – ganz zu schweigen von dem schier nicht enden wollenden Spiel ihrer Mienen. Ob sie sich, wie ganz zu Beginn im Freudeschor gegenseitig während ihres Gesanges zulachten, oder aber Galateas Schmerz mit trauriger Mine begleiteten, diese „Regieanweisung“ war gelungen umgesetzt. Sympathisch und nicht gekünstelt, voll inniger Anteilnahme agierten alle – eingeschlossen dem Dirigenten und den Orchestermusikern. Ich möchte es als Spielfreude der Sonderklasse beschreiben und hätte gerne mehr Worte der Superlative zu diesen Glücksgriffen, die sicherlich Mc Creesh zu verdanken sind. Während der Trauergesang über Acis Tod anstimmte, wechselte dieser auf die gegenüberliegende Podiumsseite, um so auch optisch die nun alleine gelassene Galatea zu veranschaulichen. Eine einfache und dennoch überaus stimmige und tief berührende Geste, welche auch aufzeigte, dass es kreative Möglichkeiten gibt, Bilder in den Köpfen des Publikums entstehen zu lassen, ohne diese mit einem tatsächlichen Bühnenbild unterstützen zu müssen. Mc Creesh hat mit dieser Aufführung einen Meilenstein in der Wiedergabe von Händels Acis und Galatea gesetzt. Das Publikum kann nun nur mehr auf eine nachträglich Cd-Aufnahme hoffen. Hörenswert!

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