Wer etwas sehen will, muss fragen

Die Beuys´sche Kunstgleichung Kunst = Kapital aus dem Jahr 1979 erfährt bei der diesjährigen Ausgabe von curated by_vienna eine Neuinterpretation. „Kunst und Kapital“ ist der Übertitel der Veranstaltung, die von insgesamt 20 Galerien in Wien getragen wird. Unter der Federführung von Departure, einer Tochtergesellschaft der Kreativagentur der Stadt Wien.

Das alljährlich stattfindende Galerienfestival, das mittlerweile internationale Beachtung findet, hat hierfür in 20 Galerien insgesamt 23 Kuratoren und Kuratorinnen nach Wien gerufen. Sie wurden mit einem Text des Philosophen Armen Avanessian konfrontiert. Gebürtig aus Wien, derzeit an der Freien Universität in Berlin tätig, schuf er einen theoretischen Überbau mit dem Titel „Tomorrow Today“, der Fragen zu unserem jetzigen und zukünftigen Finanzsystem gerade im Spannungsfeld der Kunst aufwirft. Avanessian wollte damit keine Anleitung für die Auswahl von Künstlerinnen und Künstlern geben, sondern vielmehr Denkanstöße liefern.

Eine der wohl radikalsten Antworten auf diese Herausforderung fand die Galeristin Ursula Krinzinger. Für die Gestaltung der Schau in den Räumen in der Schottenfeldgasse 45, jener Location, in der meist junge Kunstpositionen präsentiert werden, lud sie Harald Falckenberg ein. Falckenberg, seit über 20 Jahren Kunde der Galerie Krinzinger, ist für seine große Sammlung zeitgenössischer Kunst in Hamburg mit dem Schwerpunkt auf Counter Culture international bekannt. Mit der Öffnung seiner Sammlung für Publikum wechselte er sogar die Fronten vom Käufer zum Kunstvermittler und Ausstellungsmacher. Als Kurator sieht er sich dennoch nicht und so erbat er sich erst eine Bedenkzeit, bevor er der Wiener Galeristin seine Zusage gab.

Ursula Krinzinger und Harald Falckenberg (c) European Cultural News

Ursula Krinzinger und Harald Falckenberg (c) European Cultural News

Das Ergebnis der anschließenden, intensiven Zusammenarbeit zwischen den beiden ist eine invisible Ausstellung mit dem Titel „Verkauf in Nebenräumen“. Ein Projekt, bei welchem der Terminus Ausstellung eine gänzlich neue Bedeutung bekommt. Zu sehen ist in den schönen, hellen Räumen im Hinterhof des Gebäudes Schottenfeldgasse 45 – nichts – außer Beschriftungstafeln mit den Namen von Künstlern und Künstlerinnen, den Titeln von Bildern oder Objekten, Größenangaben und allfälligen anderen Zusatzinformationen, wie man sie von Ausstellungen her kennt.

Auf den ersten Blick ist man verblüfft, denn die Erwartungshaltung, in einer Galerie Objekte zu sehen, wird hier nicht bedient. Was angesichts der leeren Wände nun tun? Was, wenn Erwartetes nicht präsentiert wird? Man greift kurzerhand auf eine altbewährte Kommunikationsschiene zurück, die man sprechen nennt und beginnt Fragen zu stellen. Am Eröffnungstag stand nicht nur die Galeristin Rede und Antwort, sondern auch Harald Falckenberg selbst. Sein Ausgangspunkt für die Schau war Ärger. Ärger darüber, dass es im heutigen Ausstellungsbetrieb fast schon zum guten Ton gehört, Kunstwerke ohne Beschriftung zu präsentieren. „Kunstwerke erklären sich aber nicht von selbst“ – O-Ton Falckenberg, Krinzinger ergänzend: „Für uns, die wir uns nach jedem Fitzelchen Information über ein Kunstwerk sehnen, ist diese Praxis tatsächlich unmöglich.“

Und so kam Falckenberg auf die Idee, den Spieß doch einfach einmal umzudrehen und nur Informationstafeln ohne Kunstwerke auszustellen. So simpel der Gedanke auch scheinen mag, so viele verschiedene Bedeutungsebenen können ihm zugeschlüsselt werden. Zum einen ist die Idee einer Sammlung, die nur in der Vorstellungswelt der Menschen alleine besteht, nicht neu. In seinem Werk „Étant donnés“ versperrte Marcel Duchamp das erste Mal den direkten Blick auf ein Kunstwerk. In größerem Ausmaß erdachte sich André Malraux ein eigenes musée imaginaire, in dem er alle wichtigen Kunstwerke vereinigte und Marcel Broodthaers wiederum rief in seiner Wohnung ein musée d` art Moderne aus, in dem er in unterschiedlichen Sektionen fiktive Ausstellungen gestaltete. Alle drei Genannten haben mit der konzeptuellen Ausstellung von Falckenberg/Krinzinger eines gemeinsam: Sie hinterfragen die Präsenz eines Kunstwerkes, ihre Präsentation und somit den Kontext in dem sie als Kunstwerk erkannt werden und sie stellen darüber hinaus Fragen zu musealen Gepflogenheiten. Letze Fragestellung wird in der Schottenfeldgasse auf den Betrieb einer Galerie heruntergebrochen.

Die dort nicht an der Wand befindlichen Bilder sind dennoch präsent. In einem zu einem Lager umgebauten Nebenraum. Dort kann man sich dann nach Lust und Laune ein bestimmtes Kunstwerk in natura ansehen. Nachdem es aus dem Regal oder einer Kiste geholt und ausgepackt wurde. Maximal drei Interessierte dürfen zur gleichen Zeit diesen Raum betreten. Dies bewahrt jene Intimität, die für gewöhnlich auch herrscht, wenn Kunst tatsächlich gekauft wird.

Im Nebenraum kann man ungestört Kunst genießen , Verkauf in Nebenräumen, curated by_2015, Krinzinger Projekte (c) European Cultural News

Im Nebenraum kann man ungestört Kunst genießen , Verkauf in Nebenräumen, curated by_2015, Krinzinger Projekte (c) European Cultural News

Was auf den ersten Blick wie eine völlige Negierung der Kunst erscheint, wird angesichts der Möglichkeit, Bilder exklusiv präsentiert zu bekommen und darüber in kleinstem Kreis sprechen zu können, zum Exklusivereignis. Die Befürchtung, bei dieser Ausstellung keinen Verkauf zu tätigen, teilt die Galeristin nicht. „Ich gehe bei keiner Ausstellung von einer Nullnummer aus“.  Angesichts der getroffenen Auswahl ist dies tatsächlich auch höchst unwahrscheinlich.  Eine weitere Ebene, die ursächlich mit der Verkaufsstrategie der Galerie Krinzinger zusammenhängt, wird hier ebenfalls sichtbar. Werden doch wichtige Schätze aus dem Lagerbestand kommuniziert, ohne dass dafür eine umständliche Hängung vorgenommen werden musste. Ohne dass ästhetische Abhängigkeiten, Unterstützungen oder gar Ausschlüsse zwischen den einzelnen Kunstwerken an der Wand bedacht werden mussten. „Wir haben jedoch schon darauf geachtet, dass sich jedes einzelne der Kunstwerke in irgendeiner Art und Weise mit dem vorgegebenen Generalthema beschäftigt“. Manfred Wiplinger, bei Krinzinger tätig, weiß genauestens über die Hintergründe der Arbeiten bescheid, hat das Lager im Griff und kann auf Anhieb das gewünschte Kunstwerk aus dem Regal hervorholen, oder eine der Kisten öffnen.

Tatsächlich geschieht es häufig, dass Kunden auf Messen jene Kunstwerke am liebsten und raschesten kaufen, welche von den Galeristinnen und Galeristen in den kleinen Räumen abgestellt werden, die sich meist in irgendeiner Ecke des Standes befinden. Und es ist üblich, dass gute Geschäfte nicht coram publico, sondern im stillen Kämmerlein verhandelt und abgeschlossen werden. „Die Auswahl der Künstler hat mir Harald Falckenberg komplett überlassen“. Damit fiel jene Entscheidung an Ursula Krinzinger zurück, die für gewöhnlich für die curated by-Ausstellung von einem Kurator einer Kuratorin übernommen wird. Die Fragen, wer nun hier Kurator, wer Ausstellungsmacher oder –macherin ist, von wem welche Idee genau stammt, sind nicht mehr eindeutig zu beantworten. Es ist symptomatisch, dass sich ausgerechnet zwei Vollprofis, die sich bereits Jahrzehnte ihres Lebens mit Kunst beschäftigen und darin zu big playern aufstiegen, an dieser Nummer großen Spaß haben. Und sie funktioniert tatsächlich auch nur, weil man die Namen und teilweise auch die Werke, die hier nur durch kleine Zettelchen in Statthalterform an der Wand präsent sind, kennt. Von Abramovic bis Beuys, von Jungwirth bis Kosuth, von Spoerri bis Warhol – die Liste der nicht ausgestellten Kunstwerke ist lang und illuster und liest sich wie ein who-is-who der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. In einer Galerie, die mit ihren Künstlerinnen und Künstlern erst in der Aufbauarbeit steckt, ginge dieses Konzept nicht wirklich auf. Denn es ist gerade das Kopfkino, die Imagination der bekannten Werke vorweg, die einen beträchtlichen Reiz dieser unkonventionellen Präsentation ausmacht. Was wiederum Rückschlüsse auf die feste Verankerung der Galerie im Kunstbetrieb zulässt.

Versteckt, durch einen schmalen Gang erreichbar, gibt es dann doch noch einen kleinen Showroom. Eine Neon-Arbeit des Altmeisters Joseph Kosuth leuchtet hier aus dem Dunkel. Eine Videoinstallation von Eva Schlegel, auf eine drehende Scheibe projiziert, heischt um Aufmerksamkeit und Zenita Komad ist mit einem Paneel vertreten, auf dem mit Bewegungsmeldern verbundene Glöckchen die Eintretenden begrüßen.

Das Konzept von „Verkauf in Nebenräumen“ beschäftigt sich in erster Linie nicht mit künstlerischen Sichtweisen auf die Veränderung der ökonomischen Strukturen im Kulturbetrieb. Vielmehr gelingt es, das Kaufinteresse auf ganz bestimmte Werke zu fokussieren, die sonst ziemlich sicher nicht in dieser Auswahl zusammengefunden hätten. Zugleich kann aber auch das nur interessierte Publikum ohne Kaufabsichten auf Wunsch jenen Vorgang erleben, bei dem am Ende im Bestfall der Austausch Ware gegen Geld steht. Ob nun die einzelnen künstlerischen Positionen, die sich hier friedlich vereint an den Wänden nur ankündigen, tatsächlich auch Bezüge zu Avanessians Fragestellung aufweisen, muss man entweder seiner eigenen Sachkenntnis überlassen, oder auf die Auskünfte der Galeristin und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bauen. Was hier auf den ersten Blick fehlt sind zwar die Bilder, was hier aber in Gang gesetzt wird ist eine Art von Kommunikation, die sich angesichts eines normalen Ausstellungsbetriebes immer seltener einstellt. Interessierte kommen, schauen, gehen. Gefragt wird nicht, der optische Eindruck genügt den meisten. Wer hier aber etwas sehen will, muss fragen und befindet sich damit ad hoc in einem Dialog. Wer nicht fragt, geht erkenntnislos nach Hause.

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