Ein Klassiker des zeitgenössischen Tanzes

Ein Klassiker des zeitgenössischen Tanzes

Michaela Preiner

Foto: ( )

3.

August 2016

"Die verklärte Nacht" von Arnold Schönberg bezauberte das Publikum in einer Choreografie von Anne Teresa De Keersmaeker.

Das Spektrum des zeitgenössischen Tanzes, das ImpulsTanz in diesem Jahr seinem Publikum präsentiert, ist riesengroß. Experimentelles, wie die Produktion „On Truth and Lie in an Extra-Moral Sense“ von Peter Stamer und Frank Willens, bei dem das Publikum ganz schön mitdenken muss, steht neben „Klassikern“ wie „Verklärte Nacht“ von Anne Teresa De Keersmaeker / Rosas.

Jenem Stück über Liebe und Vertrauen, das sie bereits 1995 zur Musik von Arnold Schönberg choreografierte. Der Komponist schuf es noch vor seiner Beschäftigung mit der 12-Ton-Musik in romantischem Stil als Sextett, aber auch als längere Orchesterfassung, die in der Tanzproduktion vom Band zu hören war. Im Juli wurde es zweimal im jeweils ausverkauften Volkstheater in einer neueren Fassung aufgeführt. Diese war anlässlich der Ruhrtriennale 2014 entstanden und kommt mit nur drei Personen aus. Zwei Männern und einer Frau. Wobei am 24. Juli Samantha van Wissen und am 26. Juli Cynthia Loemij die jeweils weibliche Hauptrolle tanzten. An ihrer Seite agierten Boštjan Antončič und Nordine Benchorf.

Keersmaeker hält sich in ihrer Erzählung nicht getreu nach der literarischen Vorlage von Richard Dehmel. Vielmehr darf man eine Beziehungsgeschichte verfolgen, die einen breiteren Interpretationsspielraum zulässt. Es ist eine aus dem Leben gegriffene Konstruktion, in der bei der Choreografin die wahre Liebe am Ende jedoch auf der Strecke bleibt. De Keersmaeker lässt ihr Liebespaar zu Beginn kurz ohne Musik tanzen. Zeigt ihren Gleichklang, aber auch ihre Disharmonie, wenn am Szenenende ihre Tänzerin den Halt verliert und fällt.

Immer wieder wird ihr das in dem Stück passieren, auch mit dem zweiten Mann, der, schon von der Länge seines Auftrittes her, eine untergeordnete Rolle spielt. Ein Vertrauensbruch in der Liebe hat aber nichts mit der Länge einer Beziehung zu tun. Das lässt sie auch ihre Tänzerin schmerzlich erfahren, die sich dann über eine lange Strecke darum bemühen muss, ihre große Liebe wieder zu erlangen. Einsam, dem Publikum abgewandt, steht der Mann im dunklen Anzug im hinteren Teil der Bühne. Immer wieder kommt seine Partnerin ganz nahe an ihn heran, beschnuppert ihn im Nacken, muss sich abwenden, davonlaufen, fallen, ein ums andere Mal.

Die Choreografie ist dabei herausfordernd. Ungezählte Male stürzt die Zurückgewiesene auf den Boden, mit oder ohne Anlauf, sich dann abrollend oder einfach auf der Stelle liegen bleibend. Es ist eine Choreografie des kunstvollen Fallens, in der die Einsamkeit und Verzweiflung der jungen Frau zum Ausdruck gebracht wird. Die Wiedervereinigung, so innig sie sich in Sprüngen zueinander und in gegenseitigen Haltepositionen zeigt, ist nicht von Dauer. Und auch der Versuch, mit dem zweiten Mann in Harmonie zu agieren, scheitert. Höchst subtil schreibt De Keersmaeker dem zweiten Mann eine ganz ähnliche Choreografie wie seinem Widersacher ein. Der Funke, der in der großen Liebe auch im Tanz überspringt, bleibt bei ihm jedoch aus.

Der Fluss der Choreografie, die Gesten der Ablehnung und jene der größten Harmonie sind es, die diesen Abend bestimmen. Der Tanz um Liebe und ihr Ende, der seit der Erfindung des Balletts zu einem der Haupttopoi gehört, wurde von Keersmaeker hier ins 20. Jahrhundert übersetzt. Interessant ist, wie sehr der Inszenierung trotz Neuaufstellung ihr Alter anzumerken ist. „Verklärte Nacht“ wollte De Keersmaeker eigentlich mit einem anderen Titel in die Nähe von Pina Bausch rücken. Und damit hat sie nicht unrecht. Auch sie ein Meilenstein des Tanzes im 20. Jahrhundert, ist heute Geschichte, ihre Arbeiten Klassiker. Dass Keersmaeker im Laufe der letzten Jahrzehnte am tanztechnischen Zeitpuls geblieben ist, zeigte sie, auch im Rahmen des ImpulsTanz Festivals, mit ihrer neueren Arbeit „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. Schön, dass es die Programmierung des Festivals erlaubte, zwei Arbeiten der Künstlerin zu sehen. Darin konnte man sowohl Gemeinsames aber auch eine weitere Entwicklung von De Keersmaeker entdecken.

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