Viel Einsatz, wenig Ehre

Viel Einsatz, wenig Ehre

Michaela Preiner

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6.

Mai 2022

Die Uraufführung von „Linda“, der britischen Autorin Penelope Skinner, wird im Schauspielhaus stark akklamiert. Das Stück über die Herausforderungen, eine erfolgreiche Frau zu sein, changiert kräftigst zwischen humorigen und berührenden Szenen. Wie das auch das richtige Leben so mit sich bringt.

„Ich hätte es doch nur anders machen wollen!“ Es ist einer der letzten Sätze, die Linda verzweifelt ausspricht. In einer ausweglosen Situation, am Ende ihrer beruflichen Karriere, die so lange eine traumhafte war, bis ihr die jüngere Generation den Rang abgelaufen hat.

Im Schauspielhaus in Graz brilliert Beatrix Doderer in der Rolle einer Powerfrau, die mit 55 erkennen muss, dass sie die in jeder Hinsicht attraktiven Jahre hinter sich hat. Dennoch ist es ihr gelungen, neben dem Job auch eine Familie aufzubauen – eine Patchworkfamilie mit zwei Töchtern und einem – wie sie ihn selbst nennt – Durchschnittsmann – der für sie jedoch ein Fels in der Brandung des Lebens war. Bis sie ihn schließlich bei einem Seitensprung erwischte. Genau zu der Zeit, als sie in ihrem Beruf ihre ersten großen Rückschläge erleben musste.

Die britische Autorin Penelope Skinner schuf mit „Linda“ eine Tragik-Komödie, die psychologisch äußerst präzise aufgestellte Charaktere wiedergibt. Wie nebenbei gelingt ihr dabei das Kunststück, die Schwierigkeiten von drei Frauengenerationen aufzuzeigen, ohne dabei jedoch in eine depressive Weltuntergangsstimmung zu verfallen. Wenngleich jedoch das große Happy End der Geschichte ausbleibt.

Da ist Linda selbst, deren Mutter sich umbrachte, als sie noch ein Kind war und die, schon früh auf sich gestellt, und einige Jahre auch Alleinerzieherin, ihr Schicksal in die Hand genommen hat. Durch enormen Fleiß und Disziplin, bis hin zur Selbstaufgabe, hat sie es in die obere Führungsebene eines Kosmetikunternehmens geschafft. Auf der Strecke blieben dabei jedoch so manche Emotion, aber auch Empathie, die ihr hauptsächlich bei der Erziehung ihrer Töchter helfen hätte können.

Alice, die Ältere, ist tief depressiv und verlässt so gut wie nicht mehr das Haus. Von einer traumatischen Situation, die sie in der Schule erlebte, gefangen, verharrt die Mittzwanzigerin als geschlechtsloses Wesen in einem Tier-Jumpsuit in der elterlichen Wohnung. Zwar wissen ihre Eltern, was das Mädchen so verletzt hat, sich aber in sie einzufühlen und ihr zu helfen, schaffen sie nicht wirklich. Daria von Loewenich hat mit einem Monolog in diesem Stück einen wahrlich großen Auftritt. In einer für sie gänzlich unerwarteten Situation beginnt sie hochemotional über jene Schmach zu erzählen, die ihr widerfahren ist. Dabei thematisiert sie auch Situationen, die so gut wie jede Frau ein- oder mehrfach ungut erlebt hat, wie das von fremden Männern mit-Blicken-gemessen-Werden. Diese Suada ist ein Höhepunkt des Abends, nicht nur, weil sie stark gespielt vom Bühnenraum ins Publikum übergreift. Es ist der Text, die schonungslose Offenlegung der Emotionen einer jungen Frau, die sich der Übersexualisierung, der sie sich ausgesetzt fühlt, nicht gewachsen ist.

Die Schwester von Alice ist hingegen ein anderes Kaliber. Sie ist im Begriff, sich für eine Schauspielprüfung vorzubereiten und kämpft damit, dass die Rollen für Frauen nicht nur weniger als für Männer, sondern deren Monologe auch wesentlich kürzer sind. Immer wieder spricht sie über dieses Dilemma, ohne jedoch weder von ihrem Vater, noch von ihrer Stiefmutter dabei richtig wahrgenommen zu werden. Auch ihre Lehrer und Lehrerinnen sind ihr keine Hilfe, stecken sie doch in Rollenbildern fest, die dem Mädchen völlig gegen den Strich gehen. Wie empathisch Bridget ist, zeigt sich in einer Szene, in welcher sie ihrer Mutter sagt, wie lieb sie sie hat, wohl wissend, dass diese noch am selben Tag von ihrer älteren Tochter sehr enttäuscht werden wird. Auch ihre Tränen, die sie vergießt, nachdem sie einen Wutausbruch von Linda miterlebt hat, den sie sich nicht wirklich erklären kann, zeigen, wie sehr das Kind auch unter dem Stress der Erwachsenen leidet und nicht damit umgehen kann. Iman Tekle verkörpert extrem glaubwürdig diesen Teen, der zugleich aufzeigt, was den Erwachsenen völlig abhandengekommen ist. Mitgefühl sowie die Fähigkeit des Zuhören-Könnens. Obwohl die Jüngste, könnten alle von ihr lernen.

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„Linda“ (Foto: Lex Karelly)

Neil, Lindas Ehemann, erlebt mit der jungen Sängerin (Natalja Joselewitsch) seiner Band, die seine Tochter sein könnte, eine zweite Jugend. Gerry Landschauer und Bernhard Neumaier agieren als Schlagzeuger und Bassist. Ein One-afternoon-stand wird Neil zum Verhängnis und obwohl er dieses kurze Verhältnis ausgezeichnet analysieren kann, und seiner Frau beteuert, dass dies nichts mit Liebe zu tun habe, muss er die Konsequenzen aus seinem Tun ziehen und wird von Linda aus dem Haus geworfen. Franz Solar ist der Inbegriff eines begossenen Pudels, während er, aus der Dusche gekommen und nur mit einem Handtuch um die Hüften, mit triefend nassen Haaren die volle Wut-Wucht seiner Frau über sich ergehen lassen muss.

Amy, Lindas jüngere Rivalin im Büro, zeigt sich alsbald als eines jener Charakterschweine, dem viele im richtigen Leben in ihrem Arbeitsalltag begegnen, ohne sie aufgrund von Machtgefällen, in ihre Schranken weisen zu können. Sarah Sophia Meyer verkörpert jenen jungen Karrieretyp, der fühlt, dass das Leben, das sie gerne führen wird, im Grunde nicht machbar ist. Karriere und Familie stehen sich diametral gegenüber. Anders als Linda hat sie die Problematik zwar schon frühzeitig erkannt, einen Ausweg aus dem Dilemma hat aber auch sie nicht. Penelope Skinner zeigt auch auf, dass es noch immer einen Unterschied macht, ob eine Frau oder ein Mann ein kurzes, sexuelles Abenteuer eingehen, das nicht publik werden soll. Für eine Frau ist die Chance, schlecht aus der Geschichte auszusteigen, wesentlich größer als für einen Mann. Lindas Chef (Franz Xaver Zach), fällt ihr in der brenzligsten Situation ihres Berufslebens gnadenlos in den Rücken, anstatt ihr zu helfen, wie sie es einmal getan hat.

In diesem Spiel gibt es nur einen Einzigen, der sich gegen das Diktat des erfolgreich-und-jugendlich-sein-Müssens stellt. Luke, ein junger Praktikant. Er lebt nur „in der Gegenwart“ und bereitet sich auf seine Reise nach Bali vor, wo er auf Gleichgesinnte stoßen wird, die wie er überzeugt sind, dass das, was uns umgibt, reine Fiktion ist. Lukas Walcher nimmt man tatsächlich ab, dass seine Naivität und sein jugendlicher Größenwahnsinn ihn davor bewahren, sich vom Strudel eines stupiden Büroalltags aufsaugen zu lassen und sich ganz von den auf ihn einströmenden Ereignissen leiten zu lassen.

Dominique Schnizer inszenierte das Stück auf einer Drehbühne (Christian Treuner, verantwortlich auch für die Kostüme), ausgestattet mit den Büro- und Wohnräumlichkeiten von Linda. Ob Kinderzimmer oder Sitzungsraum, Wohnküche oder Büro mit Aussicht auf die darunterliegende Stadt, ob Band-Probenraum oder WC – dies alles geht sich auf der 360-Grad-Bühne locker aus. Was sich zu Beginn ein wenig zögerlich entwickelt, bis alle beteiligten Figuren vorgestellt sind, nimmt im Laufe des Geschehens zusehends Fahrt auf, bis es im großen Finale endet, in welchem Linda in einer Rückblende noch einmal ihren beruflichen Höhepunkt erlebt. Die Verleihung eines Marketing-Preises und ihre vor 10 Jahren gehaltene Rede dazu. Darin hat die Autorin jene bittere Tatsachen-Pille verpackt, dass alles, was Linda für sich, aber auch andere Frauen und ihre Töchter erreichen wollte, nicht eingetreten ist. Frauensolidarität ist weit und breit nicht zu sehen, das Diktat der ewigen Schönheit und Jugend hat schon die 25-Jährigen erreicht. Der Spagat zwischen Haushalt, Kindern und Beruf ist nicht zu schaffen. Etwas davon, bleibt zwangsläufig immer auf der Strecke.

Wie schon bei „Gott“ von Ferdinand von Schirach, ist es dem Schauspielhaus und seinem Ensemble gelungen, ein unterhaltsames Stück mit hohem Nachdenk- und Diskussionspotential auf die Bühne zu bringen. „Linda“ ist nicht nur ein Stück zum Anschauen, sondern vor allem eines, um darüber zu reden. Mit Freundinnen und Freunden, in der Familie oder auch darüber hinaus – in Umgebungen, die über die Gleichstellung von Frauen nachdenken. Es ist nicht nur ein Stück für Frauen ab dem fünften Lebensjahrzehnt. Es ist auch ein Stück für junge Frauen, die aus dem, was war und ist, ihre Schlüsse ziehen und ihr eigenes Leben vielleicht einmal ganz anders ausrichten wollen, als hier gezeigt.

 

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