Vom Olymp auf den Laufsteg

Das Theater an der Wien hat mit „Platée“ von Jean-Philippe Rameau mit Sicherheit einen Publikumstreffer gelandet. Das machte die Applauskulisse auch noch am zweiten Abend der Koproduktion mit der Opéra Comique Paris deutlich. Der Erfolg hat in diesem Fall viele Väter – aber auch einige Mütter.

Allen voran ist es der gefragte Opernregisseur Robert Carsen, der dieses Ballet-bouffon in ein Feuerwerk aus witzig-spritzigen Ideen umwandelte. Mit Hilfe von Gideon Davey, der die Ausstattung übernahm, lässt er das Liebes-Verwirrspiel um die hässliche Platée, in welches sich die olympischen Götter kräftig einmischen, ganz prosaisch auf unserer Erde vonstattengehen. Und zwar in jenem Umfeld, das für viele Menschen ohnehin den Himmel auf Erden bedeutet: In der Pariser Modeszene. Und was sich da tummelt, lässt so manche BesucherIn sich vor Lachen schütteln.


Der Prolog in welchem die Götter und Thespis– der Begründer des Dramas und der Tragödie – nach einem durchzechten Gelage übereinkommen, Jupiters eifersüchtige Frau Juno eine Lektion zu erteilen, ist die einzige Schwäche der Produktion. Die Diskoschritte, die auf lange Strecken zur Musik getanzt werden, nützen sich rasch ab und was bleibt, ist ein allgemeines Herumgehüpfe von mit Leintüchern behängten, sichtlich abgehalfterten Göttern. Der Transfer ins 21. Jahrhundert funktioniert dabei nur sehr hölzern, da sich aufgrund des strengen barocken Metrums die TänzerInnen überhaupt nicht von der musikalischen Vorgabe lösen können. Disco sah – auch in seinen Anfängen der 60er und 70er Jahre anders aus. Den Götterbeschluss, zugleich auch eine neue Art von Schauspiel zu erfinden, versteht man nur aus der Geschichte der Barockoper heraus, wofür das Team allerdings nicht verantwortlich zeichnet. Platée war immerhin die erste Oper aus dem komischen Fach am französischen Hof und damit auch ein Wagnis für Rameau selbst, das ihm leicht als unerwünschte Systemkritik ausgelegt werden hätte können. Der für die Nymphe Platée selbst alles andere als komische Schluss – ganz gegen unser heutiges Komödienverständnis, wonach es keine radikalen Verlierer geben darf – lässt Rameaus Hochseilakt, seinen gottgleichen Adelsauftraggebern ein ihnen würdiges Werk abzuliefern, gut erkennen. Der Götterhimmel wird bei Carson in kaltem Discosilber gezeigt, bei dem er auch die restliche Inszenierung über bleibt. Allerdings gibt es in diesem Unsterblichenhain bis auf einen langen Tisch keine weitere Ausstattung – der Rest wird als allgemeine Tanzfläche genützt. In letzter Konsequenz gedacht also ein Tänzerhimmel par excellence.

Carsens erster Akt findet im Speisesaal eines feudalen Hotels statt, an dessen Tischen sich eine bunte Bussi-Bussi-Gesellschaft eingefunden hat. Mit dem Auftritt einer permanent telefonierenden rothaarigen Dame mit Bubihaarschnitt gelingt ihm ein erster Verweis auf Kommendes. Keine Geringere als Anna Wintour, die Chefin der Modezeitschrift Vogue, ist es, die hier mit Vehemenz den Platz an einem solitären Tisch für sich reklamiert. Platée erscheint in ihrem wunderbaren ersten Auftritt umhüllt von einem Badetuch, Frottee-behütet und beschuht mit Badeschlapfen, noch mit einer giftgrünen Schönheitsmaske im Gesicht. Ein subtiler Verweis auf ihre nymphische Herkunft. Die Rolle, die immer schon im Countertenören oder Tenören besetzt wurde, scheint dem Niederländer Marcel Beekman wie auf den Leib geschnitten. Nicht nur, dass es stimmlich keinen einzigen Moment gibt, der von ihm nicht wie selbstverständlich gemeistert wird. Sein spielerisches Können manifestiert sich auch in der allerkleinsten Mimik. Sein sängerisches Selbstverständnis scheint außerhalb der Norm und lässt Vergleiche – zumindest in diesem speziellen Fach – kaum zu. Angesiedelt zwischen der schrillen Figur eines Travestiten und jener einer tollpatschigen Landpomeranze bemerkt Platée nicht, wie sehr sie sich permanent zum Gespött aller anderen macht. Ihre nymphische Entourage besteht aus MasseurInnen und einer Kosmetikerin, die sie von Kopf bis Fuß auf das Eintreffen von Jupiter vorbereiten, dessen angekündigte Liebe sie sehnsüchtig erwartet. Cyril Auvity wird ihm als Thespis, später auch als Mercure, zur Seite gestellt und beeindruckt mit seinem stimmlichen Ausdruck ebenfalls. Die von Jupiter vorausgesandten Geschenke, allesamt in großen weißen Einkaufstaschen mit einem Verschnitt des Chanel-Logos versehen, lassen einen weiteren Rückschluss auf Jupiters zeitgemäße Interpretation zu.

Im zweiten Akt kommt es dann zu seinem ersten großen Auftritt. Auf der beinbrecherisch hohen verspiegelten Showtreppe erscheint – unter aufbrausendem Publikumsgelächter – niemand geringerer als seine Mode-Heiligkeit Karl Lagerfeld. Edwin Crossley-Mercer, perfekt als Modezar mit silbernem Pferdeschwanz gestylt, steht mit seinem tiefen Bariton krass im Gegensatz zum lebenden Vorbild. Dessen dünnes Stimmchen mit den leichten Lispelanfällen ist allseits bekannt, was den karikierenden Moment in der Oper noch stärker hervorhebt. Wer sich in der Modewelt ein wenig auskennt, kann Carsens himmlischen Querverweis auf die Lagerfeld´schen Göttlichkeit auch in Zusammenhang mit einem Film bringen, der im vergangenen Jahr im Fernsehen gezeigt wurde. „Karl Lagerfeld – Mode als Religion“ nannte sich eine Dokumentation, die den Couturier von Chanel bei einem Fotoshooting begleitete, das er für die Sommerausgabe der Vogue schoss. So schließt sich der Kreis zwischen Himmel und Erde nicht nur in der Fantasie von Robert Carsen, sondern, ganz platt – auch wieder im Hier und Jetzt unserer modeverrückten und jugendbesessenen westlichen Gesellschaft. Gideon Davey hat in diesem Akt seinen großen Auftritt. Der Ausstattungszauberer, der 2005 von der Zeitschrift Opernwelt zum Kostümbildner des Jahres gekürt worden war, macht seinem Titel alle Ehre. In wunderbar komischen Defilees, die Jupiters Verwandlungen in einen Esel, eine Eule und Wolken wiedergeben, lässt er athletische Tänzer auf einem imaginären Cat-Walk stolzieren. Ihr Gehabe aber vor allem ihre fantasievollen und zugleich wahnwitzig komischen Kostüme werden bei jedem neuen Auftritt mit Lachsalven quittiert. Dabei hält er sich auch noch dramaturgisch an die Vorgaben der internationalen Modeschauen, an deren Schluss immer der Auftritt von Models in einem Brautkleid steht.

Die Musik, die zu diesen Auftritten geboten wird, gehört zum Markantesten, was sich Rameau in dieser Oper einfallen ließ. Vor allem in jenen Passagen, in welchen er Natur zum Erklingen bringt, seien es Vögel oder Donnergrollen, tritt das Ensemble „Les Arts Florissants“ unter der Leitung von Paul Agnew auffällig in den Mittelpunkt des Geschehens. Der historischen Aufführungspraxis verpflichtet überzeugt der Klangkörper vor allem mit seinen trockenen Streichern und einem wunderbar gestimmten Cembalo, das dem musikalischen Geschehen seinen Basso continuo, im Gegensatz zu vielen anderen Ensembles, niemals mit scharfen Tönen unterfüttert. Dass Paul Agnew sehr kurzfristig für William Christie am Pult einspringen musste, ist, dem Können des Dirigenten sei Dank, überhaupt nicht hörbar.

Der letzte Akt, ganz der vermeintlich bevorstehenden Vermählung Platées mit Jupiter gewidmet, findet in einem prunkvollen, mit Spiegeln und einem überdimensionierten Bett ausgestatteten Schlafzimmer statt. Dass Platée in ihrem weißen Hochzeitskleid, figurbedingt, anders aussieht als zuvor das jugendliche Model mit Traummaßen, zeigt überdeutlich, wie sehr Wunsch und Wirklichkeit bei den Trägerinnen von Designermode auseinanderklaffen kann. Die lange Tanzszene, die sich zu einem großen Teil in orgiastischen Konstellationen im Bett abspielt, erweist sich unter der Choreografie von Nicolas Paul als perfekte zeitgenössische Ballettinterpretation. Schon zuvor waren Rameaus Zwischenstücke, explizit als Tanzstücke komponiert, mit unterschiedlichen Tanzstilen belegt worden. Vom schon eingangs erwähnten Discoschwung, über wesentlich gelungenere Break-Dance-Nummern bis hin zum zeitgenössischen Ausdruckstanz in der Nachfolge von Pia Pausch und Co. zeigt Nicolas Paul ein breites Spektrum des Tanzes des 20. Jahrhunderts. Simone Kermes als „La Folie“, hat mannigfaltige Auftritte in immer wieder neuen, überraschenden Kostümen. Die Stärke ihrer Interpretation liegt darin, die Satire und Parodie des Geschehens in ihren Arien hörbar zu machen. Ihre gesangliche Übertreibung ist das adäquate Mittel, die extravagante Rolle der Torheit mit all den darin implizit angelegten negativen Eigenschaften wie Überheblichkeit bis hin zur Menschenverachtung, auszudrücken.

Carsen folgt in seiner Regie dem vorgegebenen Libretto bis hin zu seinem unbarmherzigen Schluss. Er lässt Platée, nachdem Juno den Spuk der falschen Eheschließung mit Jupiter aufdeckte, schließlich verspottet in hartem Scheinwerferlicht, beinahe nackt, auf der Bühne zurück. Die völlige Dekonstruktion des zuvor mühsam aufgebauten Schein-Wesens, das seine körperliche Unvollkommenheit nun knallhart dem Publikum vor Augen führt, wird nur durch das Aufkommen der Wut- und Rachegefühle, welche Marcel Beekman furios über die Bühne bringt, emotional gemildert.

Der Arnold Schönberg Chor, der diesen Abend in bunten Outfits begleitet, ist am Gelingen der Produktion maßgeblich beteiligt. Weit mehr als nur stimmlich brillant agieren alle Beteiligten auch schauspielerisch bis hin in die letzten Bühnenpositionen perfekt. Ein Opernerlebnis, das sich Freunde von zeitgenössischen Interpretationen historischer Stücke keinesfalls entgehen lassen sollen. Geeignet aber in hohem Maße auch für all jene, die vielleicht sogar zum ersten Mal Opernluft schnuppern möchten.

Links

Theater an der Wien
Robert Carsen bei European Cultural News

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