Von meditativ bis explosiv – zeitgenössische Musik auf der Hochschaubahn

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Im Semperdepot trat am 4.11. das Ensemble musikFabrik mit einem Programm auf, dass sich zwischen den beiden Polen der Meditation und höchster Spannung bewegte.
Eines gleich vorweg: An diesem Abend erlebte das Publikum zeitgenössische Musik wie sie besser nicht präsentiert werden kann. Die Performance des aus Köln stammenden Ensembles ließ keinerlei Wünsche übrig, vielmehr zeigten die Damen und Herren, dass es möglich ist ganz ohne Qualitätsverlust auch ohne Dirigat auszukommen. Auf der Homepage ist zu lesen: „Anders freilich als es der Name suggeriert, hat das maßgeblich vom Land Nordrhein-Westfalen unterstützte Ensemble musikFabrik keinen Chef. Das basisdemokratische Ensemble verwaltet sich selbst und fällt alle wichtigen Entscheidungen in den eigenen Reihen“. Dies geht soweit, dass auch die einzelnen Konzerte, die zur Aufführung gelangen, vom Ensemble alleine getragen werden, was jeder und jedem einzelnen in der Gruppe ein Höchstmaß an Verantwortung abverlangt.

Den Auftakt machte Harrison Birtwistles „Cortege, a ceremony in memory of Michael Vyner für 14 Musiker“. Ganz entgegen seinem Titel, der auf eine Trauermusik hinweist, die Birtwistle seinem früh verstorbenen Freund widmete, entwickelte sich schon nach ganz kurzer Zeit eine spannende Darbietung. Nach einer feierlichen Paukeneröffnung traten die Musikerinnen und Musiker  nacheinander  in den Bühnenvordergrund um ihren Solopart zu spielen um danach überganslos von einem weiteren Instrument abgelöst zu werden. Dabei agierten die Solistinnen und Solisten beinahe wie Schauspieler, traten in einen Wettstreit miteinander oder verließen auch schon beinahe unwillig das Rampenlicht um dem nächsten Platz zu machen. In Erinnerung blieb der wunderbare Wettstreit zwischen Trompete und Klarinette, aber vor allem auch das Flötensolo, bei welchem die Flötistin ein Instrument nach dem anderen anspielte, um von diesen eine Antwort zu bekommen. Eine Darbietung, die, obwohl das dunkel eingefärbtes Stück am Schluss noch lange verhallend nachwirkte, dennoch mit Witz und Pfiff ausgestattet war. Der Charakter der Gleichberechtigung, mit der jede einzelne Stimme ausgestattet war, entspricht ganz der Grundintention des Ensembles. Eine hervorragende Stückwahl, welche die musikFabrik nicht besser hätte treffen können. Die danach folgenden Stücke „Stirring Still II“ von Rebecca Saunders und „Round the Star and Back“ von Jonathan Harvey tauchten den Konzertraum in eine meditative Grundstimmung. Vor allem Saunders Werk beeindruckte durch seine vordergründige Einfachheit, die mit wenigen Klangsensationen   auskam und gerade deswegen die Seele beim Zuhören so weit weg fliegen ließ. Die Überleitung „Climbing Frame“ von Harvey, die als Zwickelstück zu Wolfgang Mitterers Schlusskonzert agierte, knüpfte thematisch an Birtwistle an, hatte aber mit dem Nachteil zu kämpfen, dass das Publikum schon ungeduldig auf das letzte Stück des Abends wartete. Und das nicht zu Unrecht.

Wolfgang Mitterer © julia

Wolfgang Mitterer © julia Stix

Wolfgang Mitterers Ausnahmekomposition „Little Smile für Ensemble und live-Elektronik“ entstanden 2011, bot eine Klangdramaturgie der ganz besonderen Art. Innerhalb weniger Sekunden gelang ihm eine Raumbeschreibung, in welcher er von einer Fern- hin zu einer Nahsicht gelangte. So als ob eine Kamera sich langsam an einer Mauer entlang bewegte und diese immer stärker und stärker vergrößert, bis hin in den Mikrobereich, in welchem ersichtlich wird, dass das, was sich dort abspielt, alles andere als kalt und grau ist. Belebte Materie wurde hörbar, eine riesige Anzahl an Lebewesen vorstellbar, die über- unter- und nebeneinander leben, uns umgeben, und dennoch im Alltag unsichtbar bleiben. Mitterer erzählte eine Geschichte, angesiedelt zwischen  Märchen  und Traum. Ein Geschehen, das wir aber alle im Wachzustand erleben konnten während wir seiner Musik lauschten.

Es erklang ein Schnattern, Flattern und Rauschen. Ein Schaben, Kratzen und Raunen, das mit jeder neuen Szene sich noch furioser steigerte. Ein Zirpen, Knacken und Wispern, ein Gefistel, Gequake und Gewoge das den Konzertraum so erfüllte, dass man das Geschehen förmlich körperlich wahrnehmen konnte. Und man hätte sich, wäre man blind gewesen oder hätte  man die Augen geschlossen fragen können: Wo sind die Instrumente geblieben? Dieses virile, dichte Klangszenario konnte doch nicht von klassischen Instrumenten erzeugt werden, oder doch? Dazwischen ertönten immer wieder einige Glockenschläge,  dann plötzlich zwei deutlich wahrnehmbare Frauenseufzer und eine kleine Klarinettenmelodie. Der Ort, die Zeit war damit präzisiert. Nacht, altes Gemäuer und Traumszenen, die sich weiterentwickelten. Ein Geschepper und Gekratze, ein Flirren und Schwirren, unterbrochen von koboldähnlichen Wisperstimmchen und den vereinzelten Klängen eines verstimmten Klavieres – von Ferne, so als ob sich mit diesen Klängen eine vergangene Zeit ins Bewusstsein zurückdrängen wollte, erfüllte den Saal und drang ein in unsere Fantasie. In unser Vorstellungsvermögen, das sich dank Mitterers Erzählung eine gespenstische Szenerie imaginierte.   Immer wieder ebbte das Geschehen leicht ab, doch schon nach wenigen Momenten wartete man noch gespannter auf das, was nach der vermeintlichen Beruhigung noch kommen würde. Und tatsächlich lebten die Kreaturen wieder auf, wurden wieder sichtbar: Wirbelnd, wimmelnd, kreuchend und fleuchend präsentierten sie  uns ihr übervolles Leben, das die Menschenspezies wahrscheinlich lange überdauern wird. Kleine, miniaturhafte Märchenwesen, aber auch Asseln und Käfer, Würmer und Fliegen bis hin zu winzigen Ein- und Mehrzellern. Und wie in einem erzählten Märchen üblich, verschwanden sie in dem Moment, in dem eine Reihe von Glockenschlägen den Morgen verkündete. Und genau in diesem Moment der Stille, der auf das Stück folgte, kam die Erinnerung: Das, was wir hier im Konzertsaal gehört hatten, die Emotionen, die dieses Stück weckte, haben wir vor langer Zeit schon erlebt. Damals, als wir klein waren und Schaudergeschichten vorgelesen bekamen. Später dann als wir selbst begannen zu lesen; Geschichten, von denen wir zitternd nicht mehr lassen konnten bis wir auf der letzten Seite angelangt waren. So fühlten wir uns, als wir uns fröstelnd vor Schauer die Decke über den Kopf zogen um nur ja in einem geschützten Raum zu sein, in den nach unserer Vorstellung niemand eindringen konnte. Der einzige Unterschied zum Konzertabend bestand darin, dass es unser kindlicher Schlaf war, der uns wie der darauf folgende Morgen von unseren imaginären Bildern befreite, sodass alles wieder vergessen war. Lange vergessen.

Mitterers Komposition ist unverwechselbar und grandios, beeindruckend und meisterlich, gelang ihm nicht nur eine faszinierende Zeit- und Raumbeschreibung sondern mehr noch, ein Erinnern unserer eigenen Gefühle, die wir vor langer Zeit erlebt haben und die über Jahre hinweg zugeschüttet gewesen waren.

So großartig wie die Komposition selbst, war aber auch die Interpretation durch die musikFabrik – dieses Mal aber doch unter einem Dirigat. Enno Poppe, der mit seinen zackigen Bewegungen selbst wie eine gesteuerte Gliederpuppe wirkte,  beeindruckte am Pult genauso wie die Ausführenden, unter denen Wolfgang Mitterer am Laptop mitwirkte. Eine Aufführung, die sich wunderbar in das Ambiente des Semperdepots schmiegte, wenngleich die hinteren Reihen trotz aufwendiger elektronischer Mischung viele Klangfeinheiten leider nicht mehr wahrnehmen konnten.

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