Was vom Spiel übrig bleibt

Was vom Spiel übrig bleibt

Michaela Preiner

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29.

Juli 2013

Tanz und Schauspiel, Musik und Sprache, Bilder und Assoziationen, Spannung und Humor – mehr ist in einen Theaterabend nicht zu packen. 110 Minuten Theater pur – leider nur 110 Minuten!

Ivo Dimchev und Wim Vandekeybus – zwei Abende, die unterschiedlicher nicht sein können

Das Impulstanz-Festival in Wien geizt nicht mit unterschiedlichsten Produktionen. Wer Lust dazu hat, kann dabei in Tanzwelten eintauchen, die diametraler nicht sein können. Genau das macht den Reiz des Festivals aus. So konnte man nur innerhalb weniger Tage eine Produktion von Ivo Dimchev und eine andere von Wim Vandekeybus sehen, die nicht nur choreografisch, sondern vor allem auch konzeptionell weit voneinander entfernt angesiedelt sind.

Mit „X-ON“, ein Abend, den die Companie um Ivo Dimchev noch gemeinsam mit dem österreichischen Bildhauer Franz West gestaltete, wurde dem Publikum eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Bildender Kunst präsentiert. Franz Wests „Pass-Stücke“, die dazu gemacht wurden, um nicht auf einem Podest zu verstauben, sondern benutzt zu werden, standen dank einer klugen Choreografie gemeinsam mit Ivo Dimchev im Mittelpunkt des Geschehens. Gleich einleitend wurde anhand eines kurzen Dialoges das Dilemma von zeitgenössischer Kunst im Museum auf den Punkt gebracht. In einer kleinen Szene, gespielt von Yen Yi-Tzu, Veronika Zott und Christian Bakalov, wurde die Ratlosigkeit eines Museumsbesucherpaares sichtbar, das von der Museumsführerin dazu aufgefordert worden war, ein Objekt von Franz West doch ganz nach ihrem Geschmack in die Hand zu nehmen und damit zu spielen. Sogleich wurden von den beiden all jene Argumente thematisiert, die gegen eine solche Aktion sprächen, wobei die größte Sorge dem finanziellen Risiko galt. Kunst als Lustobjekt – diese Etikettierung gab es vor West im musealen Kontext nicht und führt sich letztendlich durch seinen Marktwert auch bei den „Pass-Stücken“ ad absurdum. Ivo Dimchev jedoch reizt die West´sche Aufforderung an diesem Abend bis ins Letzte aus. Selbst Diva vom Scheitel bis zur Sohle, Bauch-rein-Brust-heraus stolzierend, wirbelt er die Kunstwerke über die Bühne, lässt das Publikum am Spiel aktiv teilhaben und nicht zuletzt auch sein auf offener Bühne theatralisch von ihm selbst abgenommenes Blut über die Lehne eines Weststuhls rinnen. Dabei verkörpert er die von ihm kreierte Kunstfigur Lili Handel, deren Hauptmotivation die körperbetont exaltierte Bühnenpräsenz ist, die zwischen den Geschlechtern oszilliert und das Spektrum zwischen Performance und Transenshow weidlich auszreizt. Zott und Yi-Tzu, sowie Bakalov bleibt dabei größtenteils die Rolle des Begleitballettes zugeschrieben. Nur das Schlussbild gibt Veronika Zott genügend Raum, um mit einem großen, rosaroten Pass-Stück vogelgleich das Podest am vorderen Bühnenrand zu erklimmen und mit schrillenVogeltönen das absurde Theater zu seinem Finale zu führen. Die Schwierigkeiten, die das Mikrofon von Dimchev an diesem Abend bereitete, verstärkten den Live-Charakter des Geschehens noch zusätzlich und bescherten dem Publikum einige zusätzliche Lacher. Skulptur goes dance – eine geniale Idee, Wests Arbeiten und Dimchevs Interpretation weltweit ohne musealen Kontext zu präsentieren. Ein Gewinn, der für beide Seiten zu verbuchen ist.

"Booty Looting" beim ImPulsTanz in Wien (Foto: Wim Vandekeybus)

„Booty Looting“ beim ImPulsTanz in Wien (Foto: Wim Vandekeybus)

Mit „Booty looting“, der letzten Arbeit des Choreografen Wim Vanderkeybus, wurde das Publikum nicht nur mit museal-ästhetischen Bilderwelten konfrontiert. Vielmehr präsentierte seine Companie Ultima Vez ein ganzes Feuerwerk an optischen Impressionen, deren Fülle bewusst in die Unübersichtlichkeit gleitet. Neben den sechs HauptprotagonistInnen Jerry Killick, Birgit Walter, Luke Jessop, Kip Johnson, Milan Herich und Hlin Hjalmarsdottir waren auch der Fotograf Danny Willems sowie der Musiker Elko Blijweert live auf der Bühne. Die als „Performance“ bezeichnete Aufführung bietet neben zwei Haupterzählsträngen – einerseits einer Neuinterpretation der Aktion von Josef Beuys „I like Amerika and Amerika likes me“ und andererseits einer komprimierten Medea- Geschichte, die sich auf den Moment des Kindsmordes und die Trauer danach konzentrieren – eine Reihe von anderen Szenen. Vandekeybus gelingt es dabei, das immense Spektrum von Bühnengeschehen, das uns Menschen seit Jahrtausenden zur Verfügung steht, wie im Schnelldurchlauf zu präsentieren. Vom antiken Drama, über eine fulminante Zirkusnummer, von atemberaubend temporeichen und akrobatischen Tanzeinlagen bis hin zu einer grotesken und vor allem höchst humorvollen Performance-Imitation, von Reality-Shows bis hin zu einer Pseudo-Fotodokumentation geht seine Reise quer durch jene Genres, die hauptsächlich eines zum Ziel haben: Das Publikum zu unterhalten. Was bleibt, sind Bilder, die je nach Präferenz unterschiedliche Wertigkeiten erhalten und im Gedächtnis haften bleiben. Ob Medea, die in Kriegsbemalung ihre Kinder zum Kopierer schleppt, um sie dort wie auf einer Schlachtbank zu töten, ob die wilde Kojotenbande, deren einzelne Mitglieder sich permanent in Rangkämpfen das Leben schwer machen – ob der peitschenschwingende Zirkusdirektor, der nach der Pferdenummer ruft oder das junge Model, das in das Mikrofon haucht, dass sie eigentlich nichts zu sagen hätte – Vandekeybus holt akkordartig eine Attraktion nach der anderem aus seinem Zauber-Theater-Koffer. Ihm kongenial zur Seite steht der Musiker Elko Blijweert, der mit seiner E-Gitarre und einem kleinen Mischpult alle Szenen in eine glaubwürdige und spannende Soundwolke hüllt. Tanz und Schauspiel, Musik und Sprache, Bilder und Assoziationen, Spannung und Humor – mehr ist in einen Theaterabend nicht zu packen. 110 Minuten Theater pur – leider nur 110 Minuten!

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