Wem gehört unser Leben?

Wem gehört unser Leben?

Michaela Preiner

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6.

Februar 2022

Im Theaterstück „Gott“ widmet sich Ferdinand von Schirach dem Thema des selbstbestimmten Sterbens. Hat der Mensch das Recht, sein Lebensende selbst zu wählen und Hilfe dafür in Anspruch zu nehmen?

Der Autor und Jurist Ferdinand von Schirach ist dafür bekannt, dass ihn zeitgeistige Themen, die sich nicht in Schwarz-Weiß-Schemata pressen lassen, intellektuell herausfordern. Nach „Terror“, einem Stück, in dem die Frage nach Recht oder Unrecht eines Passagierflugzeugabschusses gestellt wird, widmet er sich in dem 2020 fertig gestellten Theaterstück „Gott“, das auch verfilmt wurde, dem Thema des selbstbestimmten Sterbens. Hat der Mensch das Recht, sein Lebensende selbst zu wählen und Hilfe dafür in Anspruch zu nehmen? In Österreich wurde der Film im September 2020 vom ORF ausgestrahlt und erreichte hierzulande ein breites Publikum.

Auf einer speziell eingerichteten Internetseite der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH kann man sie schwarz auf weiß nachlesen: Die Ergebnisse der Publikumsbefragung, die am Ende der Vorführung des Stückes „Gott“ in diversen Theatern erzielt wurden. Bei bislang 266 Aufführungen an 15 Theatern im deutschsprachigen Raum im Zeitraum vom 10.09.2020 bis 04.02.2022 befürworteten 59,6% des Publikums die Beihilfe zu einem Suizid.

Die Besucherinnen und Besucher im Schauspielhaus in Graz blieben mit 57%, die für die Sterbehilfe votierten, nicht weit unter diesem Durchschnitt und bewiesen, dass die Mehrheit, die sich für eine Suizid-Beihilfe ausspricht, zwar gegeben, aber nicht überwältigend ist. Dieses Ergebnis war jenes, das am Ende des Stückes abgefragt wurde. Bei einem ersten Voting, das gleich zu Beginn der Vorstellung stattgefunden hatte, noch bevor man mit der persönlichen Geschichte eines Herrn Gärtner konfrontiert worden war, waren die Zahlen noch anders. Obwohl gesund, besteht der Mann darauf, mithilfe eines todbringenden Medikamentes selbstbestimmt seinem Leben ein Ende zu setzen.

Von Schirach konstruierte das Setting seines Stückes im Rahmen einer Befragung von verschiedenen Expertinnen und Experten, aber auch des Betroffenen und seines Rechtsanwaltes durch eine Ethikkommission. Diese ist vom Bundeskanzleramt dazu aufgerufen, die verschiedenen Aspekte zu diesem Thema aufzuzeigen und danach auch das Publikum nach seiner Meinung zu befragen.Das Theaterstück wird – je nachdem in welchem Land es aufgeführt wird – an die jeweilige Rechtslage angepasst.

Mit zwei klug aufgesetzten Charakteren, formiert der Autor jenen Pol, der eine positive legislative Entscheidung zur selbstbestimmten Sterbehilfe erreichen will. Der eine ist der todessehnsüchtige End-Siebziger Gärtner (Gerhard Balluch), der ohne seine verstorbene Frau nicht mehr leben möchte, der andere sein befreundeter Anwalt Biegler (Mathias Lodd), der keine gedanklichen Volten auslässt, um diesen Wunsch gegenüber der Kommission zu verteidigen.

Gärtner wird, entgegen seiner anfänglich zur Schau gestellten Lethargie, überraschenderweise in einer Szene extrem emotional und muss gleich von mehreren Seiten beruhigt werden. Mathias Lodd glänzt in der Rolle seines Rechtsanwaltes, der sich seiner intellektuellen Fähigkeiten bewusst ist und deswegen locker aus der Hüfte alle Argumente der Gegenparteien gekonnt pariert. Schon seine Körpersprache, sein sportlich-elegantes Hüpfen über die Bühne, sein Ausflug ins Publikum oder seine zum Teil joviale Umgangsart mit seinen „Gegnern“ machen klar, dass ihn nicht so schnell jemand von seinem Credo abbringen kann. Dieses lautet: Die Selbstbestimmung ist des Menschen höchstes Gut und er allein darf über sich selbst und sein Ende bestimmen.

Den entgegengesetzten Pol der Thematik bilden sowohl ein Mediziner als auch ein Theologe. Fredrik Jan Hofmann übernimmt die Rolle des Onkologen Prof. Sperling. Als medizinischer Sachverständiger verteidigt er das Credo der Ärzteschaft nach Kräften zu heilen und zu helfen. Solange, bis der Antragsteller, Herr Gärtner, seine Contenance verliert und ihm gottgleiches Gehabe unterstellt und ihn fragt, wie er sich anmaßen könne, seine Meinung für die einzig Richtige zu halten.

Birte Leest tritt als Verfassungsjuristin auf und erklärt die Logik des österreichischen Gesetzes zur Suizid-Beihilfe mit rechtlichen Argumenten. Ins Kreuzfeuer genommen wird sie – wie auch die anderen, Auskunft gebenden Personen, von Frau Prof. Keller, einem Mitglied der Ethik-Kommission. Verkörpert wird diese von Evamaria Salcher. Die Argumentation der Juristin geht in Richtung Selbstbestimmung – wie es das österreichische Gesetz nun auch vorsieht – wenngleich dieses für den verhandelten Fall auf der Bühne nicht zum Tragen kommt. Denn nur Menschen, die an einer schweren Krankheit leiden, bei der es keine Heilungschancen gibt, dürfen sich bei einem Suizid mit einem speziellen Medikament, das sie jedoch selbst einnehmen müssen, helfen lassen.

Die Hausärztin von Herrn Gärtner – Steffi Krautz – versteht zwar dessen Wunsch, sieht sich aber außerstande, ihn dabei zu unterstützen. Ihr sieht man die emotionale Betroffenheit immer wieder an, zeitweise kann sie ihre Tränen schwer zurückhalten. Ganz anders agiert hingegen Bischofsvikar Thiel, ein junger Mann, der die Rolle der Kirche vertritt. Der Dialog, der sich zwischen ihm und Rechtsanwalt Biegler entwickelt, gehört zu den geistreichsten des Abends. Zerpflückt der Jurist doch das christlich-katholische Glaubensgebäude und seziert es, bis nicht mehr als ein in sich unstimmiges und verwirrendes, moralisches Konstrukt übrigbleibt, das den Menschen seiner Sicht nach mehr schadet als nützt.   Clemens Maria Riegler besticht – als Thiel – nicht nur mit einer uneitel vorgetragenen theologischen Sattelfestigkeit, sondern vor allem mit der schonungslosen Offenbarung, dass der christliche Glaube auf dem Fundament des Leidens ruhe. Seine eigene Ergriffenheit darüber löst, als einzige von allen Befragten, eine starke emotionale Betroffenheit bei Biegler aus. Muss er doch erkennen, dass kein auch noch so rationales Argument einen Menschen von dessen Glauben abbringen kann, wenn dieser ihn als unumstößlichen Wert in seinem Leben ansieht.

Susanne Konstanze Weber als Vorsitzende der Ethikkommission moderiert nicht nur die Kommissionsbefragung, sondern das Geschehen auch zum Publikum hin und erklärt die Handhabung der elektronischen Abstimmungsmodule, die beim Eintritt in den Zuschauerraum ausgehändigt werden.

Dem Regisseur Bernd Mattl gelingt es, die einzelnen Vertreterinnen und Vertreter ihrer jeweiligen Standeszunft auch als Menschen spürbar zu machen. Dennoch wird deutlich, wie jede und jeder im eigenen Gedankengebäude festhängt und sich mit der Akzeptanz der Gegenargumente schwertut. Friedrich Eggert (Bühne) und Daniela Selig (Kostüme) lassen die Diskussionsrunde, ausstaffiert in noblen Business-Outfits, in einer beinahe OP-sterilen Umgebung agieren.

Der Unterschied der Bühnenfassung zur Verfilmung liegt in der Einbeziehung des Publikums, das bei der Premiere das Haus bis zum dritten Rang füllte. Interessant war, dass trotz eines dramaturgisch gut eingebauten und sehr berührenden Vergleiches mit einem Doppelsuizid eines französischen Ehepaares, die Menschen im Saal Herrn Gärtner dennoch 20% weniger Zustimmung zur Suizid-Beihilfe erteilten als sie es noch in der ersten Befragung taten. Dass dabei die Ausgangslage anders war, mag eine Rolle gespielt haben, aber auch, dass einige Argumente, die gegen diese Art von Beihilfe sprechen, den einen oder die andere emotional berührt haben mag. Was „Gott“ eindeutig aufzeigt, ist, dass es keine allgemeingültige Antwort auf dieses ethisch-juristische Problemfeld gibt und die Rechtssprechung individuell anders gearteten Fällen nicht gerecht werden kann.

Egal, ob man für oder gegen die Beihilfe zum Suizid ist, das Stück ist prädestiniert, Gedanken- und Kommunikationsprozesse in Gang zu setzten und tiefer in eine Materie einzutauchen, die uns letztlich alle betrifft. Dieser Umstand hinterließ das Gefühl, einen lohnenswerten Theaterabend erlebt zu haben, der die Menschen trotz Pandemie-Einschränkungen zahlreich zur Premiere ins Schauspielhaus lockte. Die Inszenierung ist ein Beispiel dafür, dass kluges, gesellschaftsrelevantes Theater heute, wie auch schon in der Vergangenheit, das Publikum immer anspricht.

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