Viel Kopf, wenig Herz

Viel Kopf, wenig Herz

Michaela Preiner

Foto: ( )

25.

Mai 2022

Bei ‚Un imagen interior‘ der Gruppe El Conde de Torrefiel funktionierte der Griff in die Zauberkiste des post-dramatischen Theaters nur beschränkt.

„Una imagen interior“ des spanischen Theaterduos El Conde de Torrefiel, gezeigt im Rahmen der Wiener Festwochen im Museumsquartier, ist eine jener mittlerweile schon eher rar anzufindenden Inszenierungen im zeitgenössischen off-mainstream-Bühnengeschehen, bei der man sich als Kritikerin wie weiland Hans Moser als Dienstmann fragt: „Wie nemma denn den?“ Denn wie man die Betrachtung dreht und wendet, einfach wird es nicht, dem Stück in der Beurteilung wirklich gerecht zu werden.

Der Inhalt ist rasch nacherzählt. Beim Besuch im Naturhistorischen Museum, der auf der Bühne markiert wird, beschäftigt sich der oder die Ich-Erzählende ausgiebig mit der Reproduktion einer prähistorischen Höhlenmalerei. Der Text, der sich dabei im kunstbetrachtenden Kopf formt, wird mittels Leuchtschrift in Englisch und Deutsch dem Publikum sichtbar gemacht. Die auf der Bühne Agierenden wurden zum Teil aus der Wiener Bevölkerung rekrutiert. Niemand von ihnen, auch nicht das Ensemble selbst, muss etwas sprechen. Auch wird nicht getanzt. Wie Traumfiguren wandeln sie in insgesamt drei Szenen – mit jeweils unterschiedlicher Beleuchtung – über die Bühne und bewegen dabei ab und zu die Lippen.

Zu Beginn wird ein großes Gemälde auf Plastik, bemalt in bester Drip-Painting-Manier à la Jackson Pollock, vom Boden hochgezogen, sodass es bühnenfüllend gut sichtbar wird. Es ist ein symbolhafter Ersatz für jenes prähistorische Artefakt, welches zum Ausgangspunkt der intrinsischen Betrachtungen wird. An der Linienführung ist zu erkennen, dass der Malgrund nach dem Auftrag der Farbe zusammengeklappt wurde, um so ein gespiegeltes Formengebilde zu ergeben. Frauen und Männer gehen betrachtend daran vorüber oder bleiben davor stehen, um es sich genauer anzusehen. Die Soundeinspielung lässt erkennen, dass sie in einem großen, hallenden Raum, wie es jene in den großen Museen am Ring sind, aufgenommen wurde.

Nach einer langen Aufzählung von zeitgenössischen philosophischen Beiträgen zum Thema Realität, sowie deren Wahrnehmung und Infragestellung erfolgt der Wechsel in ein Supermarkt-Ambiente. Dort wandeln die Kaufenden entlang imaginierter Regale und sprechen allenfalls dann miteinander, wenn sie offenbar ein Produkt nicht finden können.

Während dieses Defilees entwickelt sich die Erkenntnis, dass der Mensch nur mehr durch einen Bombenabwurf in sein ursprüngliches Dasein jenseits der technischen Zivilisation zurückgebracht werden kann. Eine Erkenntnis, die am Ende des Stückes hanebüchen in einer idealisierten Rousseau´schen Glücksidee gipfeln wird. Zurück zur Natur bedeutet für Tanya Beyeler und Pablo Gisbert, die Masterminds von El Conde de Torrefiel, offenbar zurück zu einem Menschsein, in dem es sich wieder lohnt, in einer glücklichen Gemeinschaft zu leben.

Bis dieses Heilsversprechen dem Publikum jedoch klar wird, werden in einer dystopisch-szenischen Anordnung laute Soundeinspielungen mit derart rhythmischen Bassvibrationen eingespielt, dass diese Schwingungen, die sich auf die Sitzränge übertragen, körperlich spürbar werden. Das Scheppern und Krachen, das Dröhnen und Stampfen imitiert einen apokalyptischen Moment, der dem wiedererlangten Glück auf Erden vorangeht. Er wird mit einem grellen Scheinwerfer verstärkt, der ins Publikum blendet, sodass während der Soundcollage kein visueller Reiz das auditive Monster-Geschehen stören kann.

Vorbei sind danach jedoch die Zeiten, in welchen der Konsummensch für sich allein dem Kaufrausch frönte. Schien schon die supermarkt-wagenschiebende Szene zuvor endlos lang, verhält es sich mit der post-apokalyptischen danach ähnlich. Die Überlebenden des GAUs finden sich entweder in einer kleinen Gruppe zusammen, um miteinander zu sprechen oder sich minimalen, tanzenden Bewegungen hinzugeben, oder sie lagern um eine artifizielle, elektrifizierte Feuerstelle. Alles zurück zum Anfang sozusagen. Einzig ein angedeuteter „Tanz um ein goldenes Kalb“ – in Form eines großen Goldklumpens, zeigt auf, dass sich auch nach einem Beinahe-Ausrottungsprozess die Begierden des Menschen nicht verändern werden.

Dass der Schluss der Inszenierung mit einer Bemalung einer weißen Plastikplane enden würde, war in jenem Moment klar, als diese auf dem Boden ausgebreitet wurde. Das farbige auf-die-Leinwand-Tropfen wird zu einem Gemeinschaftserlebnis, bei welchem durch Handzeichen Anweisungen gegeben werden oder durch Kopfnicken Zustimmung erfolgt. Auch das Zusammenklappen, um jenen Spiegelungseffekt zu erzeugen, der das erste präsentierte Bild aufwies, durfte dabei nicht fehlen.

Soweit der nacherzählende Teil von „Und imagen interior“ – dem Bild ins Innere.

Die Inszenierung erweckte den Eindruck, dass der Griff in die Zauberkiste des post-dramatischen Theaters bei dieser Stückentwicklung mit Regionalbezug, nur beschränkt funktionierte. Zu sehr war die Bemühung spürbar, alle Erfolgszutaten, die ein solches Format ausmachen, krampfhaft unterbringen zu wollen. Es entstand das Gefühl, dass hier ganz nach der Manier einer abzuarbeitenden Strichliste vorgegangen wurde, als da wären: Lokale Publikumsbeteiligung – haben wir; Einbeziehung einer bekannten Kulturinstitution vor Ort – haben wir; Einbettung unserer Ideen in einen pseudowissenschaftlichen Rahmen – haben wir; Grenzgang zwischen theatralischen Geschehen und musikalischer Performance – haben wir; Publikumsirritation (Anmerkung: vermeintliche Publikumsirritation) durch Gegenlicht – haben wir. Bei all dem wurde aber schlichtweg auf das vergessen, was gutes Theater wirklich ausmacht: Eine Geschichte oder auch Ideen an das Publikum so zu vermitteln, dass dieses dabei emotional berührt wird. Fazit: Mehr Herz und weniger Kopf hätten der Aufführung genauso gut getan, wie das Weglassen einer klischeehaften, kindlichen Vorstellungen eines glücklichen Zusammenlebens auf dieser Welt, in einem vermeintlichen Naturzustand.

Dass im Publikumsflyer unter dem Motto ‚papierfrei weiterlesen!‘ kein Text, sondern nur ein QR-Code abgedruckt ist, von dem aus man einen Text, ein Portrait über die Gruppe, sowie ein kurzes Videointerview findet, ist hoffentlich die Ausnahme und nicht die Regel für künftige Programmzettel.

 

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch Englisch Italienisch

Pin It on Pinterest