Jössas, do liegt a Leich!

„Kino im Kopf spezial“ nennt sich ein Format von Oliver Hangl. Es ist noch bis 13. Juni im Rahmen des „Wir sind Wien. Festival“ mitzuerleben. Eine Straßenbahnfahrt mit großem Unterhaltungswert.

„Vorsicht, zurücktreten! Achtung, die nächste Straßenbahn ist unsere.“ Eine Gruppe von Menschen steht an der Haltestelle Laurenzgasse und wartet unter Anleitung von Oliver Hangl auf eine besondere Straßenbahn. „Kino im Kopf“ steht als Destination vorne angeschrieben, kein 1er, 2er, 64er oder sonst was. Es ist eine alte „Bim“, eine zu der man hochsteigen muss; warum, das wird sich rasch zeigen.

Ausgestattet sind die Fahrwütigen mit je einem Kopfhörer. Sobald sie ihren Platz in der Straßenbahn eingenommen haben, und das geht ruck-zuck, werden diese aufgesetzt. Noch ein paar kleine Instruktionen und los geht´s auf eine unbekannte Strecke.Quer durch Wien, an keinen Fahrplan und keine vorbestimmte Strecke gebunden, geht die Fahrt bis in die Nähe des Yppenplatzes. Eine ganze Stunde lang.

Der Sound im Ohr kommt von einer Folge der Krimiserie „Kottan ermittelt“. Genauer von Folge 6. „Räuber und Gendarm“ hieß sie und erzählte die Geschichte von zwei Posträubern und allerhand unvorhergesehener Ereignisse rund um ihren Raub.

Oliver Hangl leitet die Produktionsfirma Olliwood Productions, die sich auf Events spezialisiert hat, bei denen sich das Publikum mit Lautsprechern ausgestattet, im urbanen Außen- oder Innenraum bewegt. Das jüngste Format „Silent Cinema in der Straßenbahn“ erlaubt es den Mitfahrenden, nicht nur einen Krimi zu hören, sondern entlang der Strecke auch Menschen zu beobachten, die darin eine Rolle spielen. Von einer erhöhten Sitzposition aus geht das einfach viel besser, als säße man in einer bequemeren Niederfurstraßenbahn.

Aber wer nun ist Teil der Inszenierung und wer ist nur zufällig auf der Straße? Ein Ratespiel, das sich während der ganzen Stunde Fahrzeit nicht erschöpft. Klar, sich an einer Mauer abstützende Männer, im Ohr dazu Ilse Puck, ehemals Vorturnerin der Nation, die gehören dazu. Auch jene Pärchen, die, wie die Geiseln in der überfallenen Postfiliale, vor der TU und am Karlsplatz am Boden liegend, bis 12.400 zählen müssen.

Was für ein Spaß, wenn man sie einmal gesichtet hat und dabei ihren aberwitzigen Zählrhythmus im Ohr hat. Der Mann auf dem Mofa, der die Straßenbahn rechts überholt, soll der einen der Räuber darstellen oder fährt der einfach ungefragt neben uns her? Und die Frau, die lachend in die Straßenbahn blickt, ist sie ob der vielen Kopfhörertragenden erheitert oder hat auch sie eine Rolle inne?

Über 50 Mitwirkende sind entlang der Strecke postiert, erfährt man hinterher. Zählen ist aber ohnehin zwecklos, denn man ist vollauf mit Hören und Schauen beschäftigt. Wo könnte noch jemand zum Spiel gehören, was war jetzt gerade im Plot los? Ist es besser, nicht so angestrengt hin- und herschauen, um die Geschichte besser verfolgen zu können oder wäre es nicht doch gescheiter, intensiver zuzuhören und das Augenmerk nicht so intensiv auf die Suche nach Mitwirkenden zu legen?

Zwischen all den visuellen und auditiven Überforderungen schieben sich immer wieder kleine, musikalisch untermalte Pausen. „Rostige Flügel, aus zweiter Hand“, das kennt man noch aus seiner Jugend oder „Don´t be cruel“, waren das noch Zeiten! Fein, dass man die Fahrt auch einfach so genießen kann. Sich freuen, wenn eine Kurve genommen wird, die man sonst von den Straßenbahnen auf dem Streckennetz der Wiener Linien gar nicht kennt.

Hoppla, da in der Hansenstraße, da liegt doch glatt eine der vielen Türen, die Kottans Dienstautos doch immer wieder verloren. War das damals ein Running-Gag! Und jetzt liegt das Ding einfach so herum. Kein Mensch beachtet es, außer jene in der Straßenbahn, die gerade auf dieser Seite aus dem Fenster schauen können.

Jössas, da vor dem Volkstheater sind zwei junge Männer an einen Laternenpfahl gebunden. Am Boden sitzend imitieren sie einen der Räuber und eine Geisel aus der Post, die sich darum streiten, wer von ihnen, sollte er freikommen, die Polizei holt oder davonläuft. Pribil heißt der Postler, dem es schließlich doch gelingt, sich zu befreien. Und der Zartl, der Oberräuber, das ist doch die Stimme von Michael Schottenberg!

Das Kino im Kopf schaltet beständig zwischen dem Jetzt und Gestern. Nein, Vorvorgestern, aber ist ja auch egal. Vergangenes vermischt sich mit aktuellen Eindrücken und ergibt ein wunderbares Vergnügliches. Osterhasen und ein aufblasbares Krokodil, ein Hürdenläufer, dem die Straßenbahn in der Josefstädterstraße nicht davonfahren kann, all das und noch viel mehr belebt die Szenerie.

Bis es schließlich heißt: „Alles aussteigen!“. Zu Fuß geht es weiter zum wenige Meter entfernten Yppenplatz. Auf dem wird Kottan dann inmitten des Publikums erschossen – oder fast. Von einem Typen, der sich hinter einem grünen Regenschirm verschanzt hat, im letzten Stock eines Hauses in der Brunnengasse.

Der Obdachlose Drballa, einst Carlo Böhm, bei Oliver Hangl eine Frau, auch er respektive sie ist live zu erleben. Samt Hund und einem angeschleppten Schuh. Und gleich daneben, Stebich, einer der Räuber. Leider tot. Ui, das muss ungemütlich sein, so als Toter da herumliegen, im Feuchten noch dazu. Na ein bissl Kanalimitation muss halt schon sein, schließlich trieb der Mann ja im Film in einem solchen.

Übrigens: Komisch schauen wir schon aus, so wie wir da alle im Pulk gehen. Kopf nach rechts, dann nach links, ohne zu sprechen, mit diesen silberfarbenen Kopfhörern auf unseren Häuptern. Auch wenn die Menschen, die uns begegnen, uns nicht anreden, sieht man einigen an, was sie von uns halten.

Egal. Man kann sich so schön in der Menge verstecken und mit ihr treiben lassen. Zum großen Showdown finden sich schließlich alle auf dem Grün des nahen Kinderspielplatzes ein. Der Pribil, der Schremser, der Kottan und wer noch? Hab ich jetzt glatt vergessen. Einer davon hatte jedenfalls Masern! Ah, das war der Hangl, zumindest das weiß ich noch mit Sicherheit. Und die zweite Autotür, auch die ist aufgetaucht. Zum Schluss, im Park. Inmitten von spielenden Kindern, mit einem Osterhasen, natürlich!

Ungefähr 700 Statisten hätten wir gesehen, erzählt der Regisseur noch aufklärend im Live-Abspann und meint damit all jene, die sich zufällig entlang der Strecke befanden. Er dankt den Sponsoren und natürlich den Wiener Linien. Erwähnt namentlich den Straßenbahnfahrer, der trotz verkehrsbehindernder Autos und Fahrradfahrer nicht die Nerven verlor und mit Durchsagen an jeder Haltestelle Zusteigewillige davon abhielt, in die Garnitur zu klettern. „Stress lass nach“, wird sich der gute Mann gedacht haben, als er den Straßenbahnzug menschenleer wieder in die Remise fahren durfte.
Link: Wir sind Wien. Festival 1.-23.Juni 2015

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2 Kommentare

  1. Vielen Dank für das tolle Erlebnis! War mit einer der Höhepunkte meines Wienurlaubes! Ich wünsche Euch mit allen anderen neuen Projekten viel Glück.
    Ps.. Ich bin der mit dem Kottan ermittelt T-shirt.

  2. Hallo Peter,
    uns hat es genauso gefallen. Wir geben dein Feedback gerne an die Veranstalter weiter.

    Beste Grüße aus Wien
    Die Redaktion

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