Leider nicht nur ewig Gestriges

Elisabeth Ritonja

 

„Chikago“ wortwiege wien (Foto: Christian Mair)

29.

Oktober 2018

EEs ist eine kunstvolle Geschichte, die Theodora Bauer da geschrieben hat. So kunstvoll, dass einem das Kunstvolle daran auf den ersten Blick gar nicht auffällt. „Schuld“ daran ist vor allem auch die Sprache, die ganz wider Erwarten Vergangenes, wie in der Hochliteratur üblich, nicht im Praeterium, sondern im Perfekt wiedergibt. Jener Zeitform also, die in Österreich im täglichen Sprachgebrauch verwendet wird, wenn von Zurückliegendem gesprochen wird.

Mit „Chikago“ – wohl gemerkt mit „k“ – einer Familiengeschichte, die im Burgenland beginnt, dann nach Amerika wechselt, um schließlich wieder im burgenländischen Ausgangsort zu enden, ist ihr dieses Kunststück gelungen. Mittlerweile wurde der Roman auch für zwei Preise nominiert. (Literaturpreis Alpha, Burgenland Buchpreis)

Die Wortwiege wien unter der Leitung von Anna Maria Krassnigg, die schon Bauers „Am Vorabend“ in diesem Sommer in der Thalhof wortwiege inszenierte, nahm sich des Romans an und präsentierte ihn nun in einem äußerst stimmigen Ambiente – der „Alten Bibliothek“ in der Grünangergasse 4, dem Sitz des Verbandes des Österreichischen Buchhandels. Die Premiere wurde am 26. Oktober – dem Österreichischen Nationalfeiertag – gespielt.

Als „szenische Lesung“ wird dieser Abend tituliert. Es ist eine eher trockene Bezeichnung, die nicht im Geringsten wiedergibt, was man dabei erlebt. Am ehesten könnte man diese spezielle theatrale Form als Zwitterwesen zwischen einer Theateraufführung und einer inszenierten Buchvorstellung beschreiben. Eine Buchvorstellung jedoch, in der nicht nur angeteasert, sondern der Plot bis zum Ende erzählt wird.

Anna Maria Krassnigg hat schon mehrfach dieses subtile Format mit Suchtfaktor gezeigt, das Theaterfreaks genauso begeistert wie Leserinnen und Leser mit geringerem Theaterbesuchswillen. Krassniggs Spezialität sind Abende in nicht-theatralen Räumen. Es sind gerade diese oftmals selten, oder bislang nicht bespielten Locations, die diesen Vorführungen ihren Reiz verleihen. Dabei sitzt das Publikum sehr nahe am Geschehen, manches Mal sogar mittendrin.

Krassnigg und Luka Vlatkovic schlüpfen in unterschiedliche Rollen und begleiten Nina C. Gabriel als „Anica“ durch ihre dramatische Familiengeschichte. Auf dem Holztisch, der die Bibliothek der Länge nach beinahe zur Gänze ausfüllt, sind alte Fotoalben ausgebreitet. Schnaps, Schwarzbrot, Äpfel und Kletzen (getrocknete Birnen) laden zu einem gemütlichen, familiären Beisammensein ein.

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„Chikago“ Luka Vlatkovic (Foto: Christian Mair)

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Theodora Baur (Foto: Paul Feuersänger)

Bauer erzählt, intelligent aufgebaut, von einer burgenländischen Familie mit zwei ungleichen Schwestern, von der eine bei der Geburt ihres Kindes stirbt. So, wie schon ihre Mutter zuvor an ihrer Geburt starb. Sie berichtet auch von einem zweiten Geschwisterpaar in Amerika, das – wie sich herausstellt – gar kein Geschwisterpaar ist und ebenso auf dramatische Weise getrennt wird. Und sie erzählt von einem jungen Mann, der mit seiner Tante von Amerika wieder ins Burgenland zurückkehrt und dort zu einem der ersten brutalen Nazis mutiert.

Dabei verwendet sie eine einfache Sprache mit starken Bildkomponenten, die einem das Gefühl vermitteln, bei allen Szenen unmittelbar dabei zu sein. Auf diese Weise wird man zu einer Art „erweiterter Familie“, die teilhaben darf an der Geschichte, die doch weit über eine simple Familienerzählung hinaus geht.

Wenn das Ensemble unprätentiös kleine, von innen beleuchtete Pumpkins auf den Tisch stellt und Vlatkovic auf dem Hackbrett „The Stars-Spangled Banner“ anspielt, weiß man, dass man die Überfahrt nach Amerika geschafft hat. Und als das Horst-Wessel-Lied erklingt, wenngleich auch nur zart auf den Hackbrettsaiten angetippt, wird klar, dass die Zeit des Nationalsozialismus im Burgenland angebrochen ist und großes Unheil über die Familie bringen wird.

Neben den familiären Verstrickungen, in denen sich zeigt, wie sehr sich die Geschichte von Blutsverwandten in den nachfolgenden Generationen wiederholen kann, erklärt sie am Beispiel des jungen Jo – Josip oder Josef – wie es skrupellosen Regieschergen gelingt, junge Männer zu rekrutieren und sie zur Unmenschlichkeit umzupolen.

Von ersten, unbeholfenen Liebesanbahnungen bis hin zu hoch emotionalen Ausbrüchen darf Vlatkovic die ganze Bandbreite an menschlichen Emotionen darstellen und dabei seine große Klasse zeigen. Gabriel agiert als Bindeglied zwischen den Generationen.

Dabei reicht ihre unglaublich beredte Mimik völlig aus, den Charakter der Anica in allen Höhen und Tiefen plausibel zu verkörpern. Dass die Regisseurin und Theatermacherin Anna Maria Krassnigg selbst als Schauspielerin in drei unterschiedlichen Rollen agiert, ist nicht ganz ein Novum. Nur wenige dürften wissen, dass sie vor ihrer Ausbildung und Karriere als Regisseurin und Professorin am Max Reinhardt Seminar spielte.

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„Chikago“ – Nina Gabriel, Anna Maria Krassnigg, Luka Vlatkovic (Fotos: Christian Mair)

Dass der Abend dem Publikum extrem unter die Haut geht mag wohl auch damit zusammenhängen, dass er so viele Parallelen zur Gegenwart aufweist, dass einem dabei schwindelig werden könnte. Das Erkennen, dass Bauers Roman nicht nur von ewig Gestrigem berichtet, ist harter Tobak.

Mit der ersten Produktion der Reihe „Szene Österreich“, in der Krassnigg junge Autorinnen und Autoren präsentieren möchte, hat sie sich die Latte sehr hoch gelegt.

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