Wühl nicht in den Seelen herum Betty!

Ein überdimensionaler römischer Jünglingskopf. Eine Filmleuchte. Abgenutztes Gartenmobiliar aus den 50er Jahren. Einige Töpfe mit grünen Plastiksträuchern und ein mit einem Vorhang geschlossenes Tor. Das ist da Bühnenbild (Johannes Weckl) von „Hunde Gottes“, dem dritten Stück von Thiemo Strutzenberger, das am Schauspielhaus in Wien Premiere hatte.

Seicht und philosophisch zugleich

Der Autor, der zugleich auch dem Ensemble des Hauses als Schauspieler angehört, untersucht darin die Gattung des Filmmelodrams der 50er Jahre. Zugleich aber stellt er sich dabei philosophische Fragen, die er hauptsächlich den Schriften von Gilles Deleuze entnommen haben dürfte, der sich auch als Filmtheoretiker einen Namen machte. Mit dieser Verquickung begibt sich Strutzenberger auf ein sehr glattes Parkett. Was in der Übersetzung eines melodramatischen Filmstoffes auf die Bühne noch gut funktioniert – weil hier vor allem der Humor jene Triebkraft ist, welche auf das Publikum wirkt – hinkt in jenen Stellen heftig, in welchen der Autor seine Figuren philosophieren lässt. Und das leider im Philosophiesprech des 20. Jahrhunderts. Einer Kunstsprache also, die an sich schon erlernt werden muss, um verstanden zu werden. Einer Sprache, die sich als höchst theateruntauglich erweist.

Ein Seitensprung gebiert Unfrieden

Der Plot der Geschichte ist in wenigen Sätzen umrissen. Die Frau eines Architekten, Betty Alighieri, selbst Schauspielerin, hat einen Sohn, der aus einem Seitensprung mit dem Gärtner hervorging. Katja Jungs Betty-Verkörperung gelingt schauspielerisch perfekt. Trotz ihrer zum Teil noch so emotional überzogen eingesetzten Phrasen wird sie zu einer Sympathieträgerin des Abends. Nur Simon Zagermann als Gärtner gelingt es auch, das Publikum ganz für sich einzunehmen und von seiner Naivität und Grundehrlichkeit zu überzeugen. Als unverbogener Charakter legt ihm Strutzenberger einen Text in den Mund, der sich leicht und flüssig gibt und dessen Kommunikationsziel einwandfrei nachvollziehbar bleibt. Steffen Höld als Ehemann hat es da schon etwas schwerer. „Wühl nicht in den Seelen herum, Betty!“ gibt er seiner Ehefrau zu verstehen, die sich unter anderem über die Abhängigkeit ihres Mannes von dessen Auftraggeber – Francesco Petrarca – Gedanken macht. Nach der Seitensprung-Offenbarung darf Höld lachwirksam in weiblichen Trauerkleidern auf der Bühne agieren und dabei jenen Akzeptanzspagat vollführen, der ihm bis dahin aufgrund seiner tiefsinnigen philosophischen Überlegungen verwehrt blieb. Sein Chef, Francesco Petrarca, wird von Florian Manteuffel als potenter Westernhut tragender Lässig-Macho verkörpert, dessen blitzblaues Hemd Auskunft über seine stilistischen Fehlgriffe gibt. Er bietet Laura, der Tochter des Gärtners, die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs, holt er sie doch aus ihrem Prostituiertenmilieu – „einleuchtend“ visualisiert durch eine Straßenlaterne im Lili-Marleen-Stil. Nicola Kirsch interpretiert die junge Frau als selbstbewusst, intelligent und freiheitsliebend und redet ihren „Retter“ wider ihres Willens in Grund und Boden. Dem Showdown, bei welchem Betty ihrem Sohn Leonardo (Gideon Maoz will jugendlich-trotzig nichts von seinem unstandesgemäßen Vater wissen) zuliebe den Gärtner ermordet, folgt ein kleiner, surreal angelegter Abgesang. Darin verwandelt sich der ermordete Liebhaber in ein Reh, das sich als Hund benimmt. Am Ende des Stückes ist es nicht ein Mensch, sondern das Tier, das Alighieri die wichtigsten Fragen seines Lebens stellen wird.

Alighieri und Petrarca als Menschen beinahe wie du und ich

Strutzenberger hat seine Akteure und Akteurinnen in höchst prominente Namen gekleidet. Dies – wie er im Begleitheft ausführt einerseits, als „Umbiegung der großen Geister, die der mittelalterlichen Hochkultur angehören, in die kleinbürgerliche, amerikanische Wohnzimmergröße des Wohlstandsmelodrams der 1950er Jahre“. Andererseits hat ihn die Zeit der Frührenaissance in Florenz besonders interessiert. Wenngleich – und das steht am Ende seiner Ausführungen hierzu – „die bürgerlichen 1950er-Jahre Nordamerikas und die italienische Frührenaissance nun wirklich nichts miteinander zu tun haben“.

Barbara Weber, die für die Regie verantwortlich ist, Elke Gattinger (Kostüme) und Arvild Baud (Musik) ist es zu verdanken, dass der anspruchsvolle Text von Thiemo Strutzenberger auch noch vergnüglich- bühnentauglich wird.

Was in der Erinnerung an diesen Abend bleibt, ist die bewusste Gegenüberstellung von artifiziellen, hoch komplexen Textpassagen zu jenen banalen Sätzen, die den Agierenden hundertfach in Melodramen in den Mund gelegt werden. Was bleibt, ist aber auch das Gefühl, dem Stück nur dann gerecht werden zu können, wenn man es auch gelesen hat. Eine zusätzliche Hausaufgabe des Autors also, die – soviel sei gefahrlos prophezeit – nur einige wenige Menschen aus dem Publikum tatsächlich auch erfüllen werden.

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