Zeitgenössische Kunst vom Feinsten

Das fulminante Abschlusskonzert des Festivals Musica in Strasbourg bestritt das Ensemble intercontemporain gemeinsam mit Unterstützung des accentus – axe 21 unter der Leitung der finnischen Dirigentin Susanna Mälkki.

Susanna Mälkki, Alain Billard - Foto: © Aymeric Warmé-Janville

Susanna Mälkki, Alain Billard - Foto: © Aymeric Warmé-Janville

Das Konzert war nicht nur von der Besetzung her vom Feinsten, sondern auch das Programm war so gut gewählt, dass es schon Vorfreude auf die nächste Saison weckte. Werke vom japanischen Komponisten Dai Fujikura (geb. 1977) sowie vom Australier Yann Robin (geb. 1974) standen auf dem Programm, dessen Abschluss von Luciano Berios (1925-2003) Laborintus II zelebriert wurde.

Alle Werke verdienen die Bezeichnung zeitgenössische Musik tatsächlich, denn sie stehen in keiner Weise nachahmend und epigonenhaft in Traditionen, deren tief eingefahrenen Ackerwege nur mühsam entkommen werden kann. Ganz im Gegenteil. Lucianos Werk, entstanden 1965, in welchem er sich auf Dante bezieht, dessen Texte in einer Bearbeitung von Edoardo Sanguineti zum Einsatz kamen, hat von seiner ursprünglichen Frische überhaupt nichts eingebüßt und kann heute noch als Meilenstein auf dem Weg vorwärts in eine neue musikalische Epoche gelten. Nicht umsonst ist es bewusst als Finale des gesamten Festivals ausgewählt worden. Die Vermischung zwischen dem szenischen Spiel des Erzählers, der sich zwischen den Musikern des Orchesters und den Sängern bewegt, die neuartige Stimmverwendung von rasendem Geschrei bis hin zu gezischelten und dennoch gut verständlichen Textpassagen, sowie der respektlose Umgang mit den Instrumenten, die sich weit von ihrem herkömmlichen, symphonischen Einsatz entfernen, verleiht diesem Werk zurecht Kultstatus. Beeindruckend waren die solistischen Leistungen von Fosco Perinti sowie Valérie Philippin, Laurence Favier Durand und Valérie Rio, die auch mit ihrer Spielfreude dazu beitrugen, dass die Grenze zwischen Kunst und Realität nur mehr durch eine hauchfeine, unsichtbare Membran getrennt war. Sein ungestilltes Verlangen nach dieser Frau, das in Raserei und schließlich endgültiger Aufgabe umschlägt, berührte und wühlte auf, seine Läuterung erweckte Mitleid und als er schließlich sich neben das Dirigentenpult auf den Boden legte und seine Augen schloss, hatte man das Bedürfnis diesen verletzten Menschen zu beschützen – besser können Emotionen musikalisch ausgedrückt, nicht auf die Bühne gebracht werden.

Dai Fujikura ist ganz ein Kind seiner Zeit, die von visuellen, elektronischen Medien geprägt ist. Er präsentierte „secret forest“ ein Werk aus dem Jahr 2008, in welchem er eine musikalische Natur erschafft, die er nach seinen Wünschen gestaltet.  „Wenn ich im Wald bin, würde ich den Vögeln am liebsten sagen, dass sie nicht so einen Krach machen sollen und ihre Gesänge mehr abwandeln könnten“ meint der Komponist. Er teilt das Orchester in zwei Gruppen, einerseits den Streichern auf der Bühne und andererseits den Bläsern und Percussionisten, die er neben dem Publikum Aufstellung nehmen lässt und verbindet diese beiden Teile durch den Fagottisten, der inmitten des Publikums leicht erhöht thront. Ihm ist die Rolle des Mannes zugeschrieben, der durch den Wald schreitet und die beiden Elemente – die die Streicher, die sich durch die Dirigentin in Fujikuras Welt wie Marionetten leiten lassen und die Bläser – die das unbändigbare Getier des Waldes imitieren, verbindet. Besonders schön gelang ihm der Schluss seines Werkes, in welchem er Wind- und Wasserrauschen imitiert und in die polyphone Partitur einarbeitet – bis hin zum allmählichen Ausklingen, dem man noch lange in die Stille seines künstlichen Waldes nachlauschte.

Als eine Überraschung und einen Höhepunkt zugleich muss das Konzert von Yann Robin bezeichnet werden. Die orchestralen Schläge im Fortissimo, die schon von der ersten Note weg Schneisen in die Saalluft schnitten und ihre ständige Wiederaufnahme, lassen zwar Einflüsse gerade von Berio erkennen, sind aber so eigenständig verarbeitet, dass nicht der leiseste Gedanke an Eklektizismus aufkommen kann. Das Werk „Metal III“ ist der letzte Teil einer Serie, in welcher sich der Komponist mit der Kontrabassklarinette besonders auseinandergesetzt hat. Die Kraft, Macht, Brillanz, Energie und das Leuchten des Metalls standen laut seinen eigenen Aussagen Pate für die Arbeit. Was man hingegen tatsächlich hört, sind Urschreie, Gebrüll, Gewinsel, Aufbegehren und Raserei von einer undefinierten Mensch-Tier-Gattung, die vor allem durch das Soloinstrument, gespielt von Alain Billard, ausgedrückt wird. Die Verfremdung und Einspielung über die Lautsprecherboxen, kurz zuvor vernommener Töne und Laute, lässt das Publikum sich nicht nur inmitten dieses beinahe schon körperlich greifbaren, akustischen Geschehens befinden, sondern es verursacht dumpfe Gefühle von Bedrohung und Irritation. Immer wieder schwappen die klanglichen Eruptionen des Orchesters in Soloparts der Kontrabassklarinette über, in welcher alle Möglichkeiten, das Instrument zu verwenden, ausgeschöpft werden. Rein aspirierende, rhythmische Klänge wechseln mit solchen, in welchen Billard seine Stimme zugleich mit einsetzt, oder zeigen in aberwitzigen, sprunghaften Passagen, wie virtuos er sein Instrument beherrscht. Eine Komposition, die deutlich macht, dass Yann Robin eine Möglichkeit gefunden hat, dem instrumentalen, orchestralen Klangkörper eine neue Bedeutung zu verleihen. Er hat sich damit eine Türe geöffnet, durch die er auf einem strahlenden Weg in seine persönliche, künstlerische Entwicklung schreiten kann.

Dass der Abend so gelungen war, weil sich das Ensemble intercontemporain und accentus – axe 21 hier von seinen absoluten besten Seiten gezeigt hat, kommt schon einem Nebensatz gleich, der aber keinesfalls nebensächlich aufzufassen ist. Susann Mälkki, die 40 Jahre junge Dirigentin mit dem knabenhaften Aussehen, sprengte alles, was landläufig an Schemata des Weiblichen in den Köpfen geistert. Ihre Zartheit ist mit einer Kraft und Musizierfreude gepaart, die auch unter Männern schwer zu finden ist. Ihre präzisen, mit feiner Gestik ihrer Hände unterstützten, für alle gut sichtbaren Einsätze, erinnern an Haltungen des klassischen Thai-Tanzes. Die schwierigen, zeitgenössischen Partituren scheinen keinerlei Herausforderung für sie darzustellen, wirken vielmehr so, als hätte sie diese schon hundertfach vorher interpretiert. Susann Mälkki ist eine absolute Ausnahmeerscheinung, der man wünscht, sich in die Reihe der Unsterblichen Dirigenten emporzuarbeiten. Wer jedoch einen Abend wie diesen erlebt hat, für den oder die wird sie sowieso unvergesslich bleiben.

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1 Kommentar

  1. Ci-joint l’article du Festival Musica en allemand pour le faire traduire s’il vous plaît.
    Merci
    Mireille Robin

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