Goldene Monster im Kunstraum

In einem Wiener Hinterhof im zweiten Bezirk, unweit des Karmelitermarktes, liegen sie derzeit auf der Lauer. Gemeint sind die „Digital Monsters“ der Künstlerin Sylvia Eckermann, die eine beachtenswerte Installation im Kunstraum Bernsteiner zeigt. Genau genommen heißt ihre jüngste künstlerische Arbeit – die Dritte, die in diesem wandelbaren Raum von ihr bestritten wird, „Digital Monsters Don`t Bleed“. Damit spielt sie auf jene Entwicklung an, die sich derzeit faktisch unbemerkt von der Öffentlichkeit im Netz mit der Erarbeitung unterschiedlichster geheimer Algorithmen vollzieht. Ziel dieser Algorithmen-Implementierung ist klarerweise die Installierung eines neuartigen Machtregimes, welche abseits von national begrenzten Realitäten uneingeschränkt weltweit auf die digitalen Fußabdrücke der Menschen zugreifen können.

Kabelkanäle und goldene Wesen

Eckermann setzte diese allgegenwärtige Bedrohung künstlerisch anschaulich um. Einerseits durch eine Konstruktion, die in unterschiedlichen Ebenen und unterschiedlich gefärbt quer durch den Raum verläuft. An bestimmten Stellen brechen die überdimensionierten Kabelkanäle auf, um goldenen, menschähnlichen Gebilden, Raum zu geben. Andererseits werden diese Objekt-Subjekt-Gebilde in einem Video widergespiegelt. Basierend auf dem 1968 entstandenen Film „Fando & Lis“ des Regisseurs Alejandro Jodrowsky hat die Künstlerin eine Sequenz desselben überarbeitet, golden eingefärbt und verfremdet. Darin erwachsen ununterbrochen aus einer brodelnden, goldenen Masse Menschleiber, die sich daraus lösen, einige Bewegungen vollführen, um alsbald wieder darin zu verschwinden. In Kombination mit den statischen kleinen Wesen der Installation bietet sie damit eine Menge Assoziationsspielraum, der sich weit über die missbräuchliche Verwendung von Informationsmaterial erstreckt.

Sylvia Eckermann "Digital Monsters Don't Bleed" (Foto:  Wolfgang Thaler)

Sylvia Eckermann „Digital Monsters Don’t Bleed“ (Foto: Wolfgang Thaler)

Big data

Wer sich die Installation ohne Erklärung ansieht, mag den Eindruck gewinnen, vor einem sperrigen Kunstwerk zu stehen. Wer jedoch die Möglichkeit hat, sich Eckermanns dahinterliegende Ideen dazu anzuhören, wird sogartig in die Materie hineingezogen. Genau das ist es, was die Künstlerin erreichen möchte. „Zu Beginn der 90er Jahre, als ich mich mit Medienkunst auseinandersetzte, hatten wir die naive Idee, dass die moderne Technologie des Internets sich positiv auf die Gesellschaft auswirken würde. Heute erleben wir jedoch die absolute Ökonomisierung desselben. Das Internet ist kein freier Raum mehr, sondern ein Raum der Ökonomie. Mit ihm haben sich Parallelwelten, ja ganze Paralleluniversen gebildet und es ist vor allem jene Welt, in der sich unser Geld befindet. Das große Projekt – big data – an dem derzeit gearbeitet wird, hat zum Ziel, die gesamten Daten der Menschheit zu sammeln. Dabei geht es nicht um Qualität, sondern um die datenmäßige Erfassung des Gesamtverhaltens. Wenn man es so sehen möchte, könnte man mit der Auswertung dieser Informationen auch in die Zukunft blicken, sozusagen ein neues Orakel von Delphi kreieren.“ Eckermann möchte mit ihrer Arbeit auf die Bedrohung dieser allumfassenden Datensammlung aufmerksam machen und einen Prozess in Gang setzen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Was passiert mit unseren Daten? Wie arbeiten Entscheidungsträger damit? Wie bedient sich die Politik daran? Fragen über Fragen, die so brisant sind, dass sie nicht nur Spezialisten überlassen werden sollten. Eckermann ist sich bewusst, dass wir uns bereits mitten in einem Science-fiction Szenario befinden, das wir gar nicht richtig erfassen können, weil es sich in einem völlig abstrakten Raum abspielt.

Eine unsichtbare Bedrohung sinnlich erfahrbar machen

„Wir sind heute bereits Gefangene des digitalen Systems. Ein Ausbrechen daraus ist nicht mehr möglich, die Sozialisation darin bereits viel zu weit fortgeschritten. Und die Entwicklung geht mit einer unglaublichen Geschwindigkeit weiter.“ Die geheim gehaltenen Algorithmen sind für Eckermann Nachfahren von Dracula und Frankenstein. Nachfahren von zwei literarischen Figuren, die von Stoker und Shelley erfunden wurden, welche beide finanzielle Not kannten. „Die Monsterthematik taucht immer in Zeiten der Krise auf und es ist beachtlich, dass sich Dracula in die Finanzmetropole London aufmachte.“ So lassen die multiplen Krisen unserer Tage Eckermann gleichfalls zum Monstervergleich greifen. Heute sind die Finanzmetropolen durch die Algorithmen des High-Speed-Tradings ersetzt worden. Die Geldmonster unserer Tage sitzen nicht mehr zwangsläufig in den großen Metropolen dieser Erde, vielmehr sind sie fest im digitalen Raum verankert, zu dem nur wenige Zugang haben. Aber auch die goldene Fratze des Kapitalismus und der damit suggerierte schöne Schein – sie werden in „Digital Monsters Don´t Bleed“ sichtbar. Der Raum, den Eckermann kreierte, ist ein von Kanälen, digitalen Bildern und goldenen Figuren besetzter, der die Besuchenden beinahe verdrängt. Der Mensch, der darin steht, staunt ungläubig ob des gigantischen Ausmaßes dieser Installation und kann doch nur schwer begreifen, dass der Umfang der digitalen Erfassung um ein Millionenfaches größer sein muss, als es diese Visualisierung zeigt. Eckermanns Arbeit ist ein zutiefst systemkritisches Werk mit hohem Diskussionspotential.

Am 22. Oktober wird im Kunstraum Bernsteiner Syliva Eckermanns Buch „Algorithmisiert“ vorgestellt. Info unter: https://www.friendsandart.at/

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