Kommt ein Fischlein geflogen!

Nicht nur Menschen, sondern auch Fische reisen um die Welt!

Ein wunderbarer schlanker Branzino – zu Deutsch Wolfsbarsch – liegt vor mir auf dem Teller. Zwar lacht er mich nicht mehr an, das wäre von dem guten Tier wirklich zu viel verlangt, aber gerade in seinem letzten Stadium, frisch in Olivenöl gebraten, bereitet er mir allergrößte Freude. Dass ich ihn im Herzen von Österreich genießen kann, weitab von seiner Heimat, daran denke ich, während mir sein zartes und saftiges Fleisch auf der Zunge zergeht nur, weil ich bei seinem Erhalt wenige Stunden zuvor erfahren habe, wo er tatsächlich herkommt. Könnte er sprechen, er würde mir wahrscheinlich καλησπέρα! zurufen, so sagt man in Griechenland „Guten Abend!“ Denn die Gewässer vor dem sonnigen Land, in dem die Oliven reifen, waren seine Heimat. In seinen kühnsten Träumen hätte er nicht gedacht, einmal in Wien auf einem Teller zu landen; genauso wenig wie seine Kollegen aus dem Atlantik, dem Pazifischen oder Indischen Ozean, aus Vietnam, Spanien, Holland, Italien, Kanada usw. usw. Sie alle sind dank moderner Fangmethoden und einer ausgeklügelten Transportkette heute bei uns beinahe fangfrisch auch in einem Binnenland wie Österreich erhältlich. Was für unsere Großeltern noch schier undenkbar war, ist für Feinschmecker heute eine Selbstverständlichkeit geworden.

wolfsbarsch

Frische Fische aus dem Ausland schwimmen bei den Fischimporteuren in Wien auf Eis

Dafür sorgen Unternehmen wie „Royal Fisch“ mit Sitz am Grüngroßmarkt. Es sind erst wenige Jahre seit der Gründung der Firma vergangen und wohl der ausgezeichneten Qualität der Fische zuzuschreiben, dass das Unternehmen bereits nach so kurzer Zeit eine weitere Filiale, nämlich in Salzburg, eröffnen konnte. Am Standort in Wien betreten wir das Gebäude durch einen kleinen, fast unscheinbaren Eingang. Dass wir bei einem Fischgroßhändler gelandet sind, erkennen wir nur daran, dass in dem schmalen Gang, von welchem links und rechts einige Büros weggehen, große Karten hängen, auf denen wohl das gesamte Meeresgetier aufscheint, welches auf dieser Welt durch die Ozeane schwimmt. Nachdem wir uns durch eine in den menschenleeren Gang gerufene Begrüßung bemerkbar gemacht haben kommt auch schon ein junger Herr angelaufen, der uns staunend fragt, was wir denn eigentlich wollten. Da haben wir verstanden: Fische schauen, unsere ursprüngliche Idee, ist hier wohl nicht üblich. Und so erklären wir kurz und bündig, dass wir einen Bericht über einzelne Unternehmen des Großgrünmarktes schreiben wollen, um gleich darauf von einer lebhaften Dame in Empfang genommen zu werden. „Wenn der Fisch nicht schwimmen würde, hätten wir es leichter!“, mit diesen einleitenden, launigen Worten umschreibt „ Frau Uschi“ kurz und bündig den Problemkreis rund um den Fang. Ihr Familienname ist Itterspurger „aber meine Kunden kennen meist nur meinen Vornamen“ erklärt sie die in Österreich so gängige Namenskommunikation im Geschäftsleben. „Sie möchten sich sicher ein paar Notizen machen“ hat sie blitzschnell erfasst und begleitet uns in ihr Büro. Als ich noch einmal zaghaft nachfrage, ob wir denn in die Fischhalle selbst dürften, fällt sofort der Begriff HACCP – eine europaweit eingeführte Lebensmittelverordnung – die vom Erzeuger und Verarbeiter größtmögliche Transparenz im Umgang mit den Produkten vorschreibt, um jegliche Gesundheitsgefährdung auszuschließen. Diese Verordnung ist nicht nur schwer auszusprechen, sondern auch dafür verantwortlich, dass wir bei unserem Interviewtermin nicht, wie erhofft, in der großen Halle zwischen den frischen Fischen wandeln dürfen. „Dafür müssten Sie speziell ausgestattet und desinfiziert werden! Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, aber das sind die Vorschriften!“ werden wir von der Vollblutverkäuferin belehrt. Was bleibt uns anderes übrig, als einzusehen, dass unsere Schaulust im Dienste der allgemein zuträglichen Hygiene geopfert werden muss. Ein Fischgroßhandel ist schließlich nicht mit einem ruck zuck aufgestellten Marktstand im Hafen zu vergleichen, der schon nach wenigen Stunden abgebaut wird und so nicht der Gefahr ausgesetzt ist, verderblichen Fisch an seine Kunden zu verkaufen. Und so bleiben wir artig und brav im funktionell ausgestatteten Büro von Frau Uschi, bei dem wir auch die ein- oder andere Bestellung am Telefon live miterleben und mitbekommen, dass sie ihre Kunden schon nach den ersten gesprochenen Worten wiedererkennt und dementsprechend individuell begrüßt. „Manche Firmen arbeiten im Verkauf nur nach Zeit, das ist für mich nicht machbar. Meine Kunden wollen die persönliche Ansprache und erzählen mir schon das ein-oder andere Mal auch etwas Persönliches. Aber dabei fällt ihnen gleichzeitig auch ein, dass sie noch vergaßen, 1kg Krabben oder die eine oder andere Dose Kaviar mitzubestellen“ macht die energiegeladene Fischspezialistin klar, was ihre Kunden an ihr schätzen – und umgekehrt! Und dann bekommen wir auch erklärt, dass Ihre Kunden auch nicht vor Ort auf den Grüngroßmarkt kommen, um ihre Ware auszusuchen. „Ein Branzino bleibt ein Branzino, eine Forelle, eine Forelle. Was zählt, ist die gute Qualität und die Frische und die ist bei uns selbstverständlich. Deswegen kommen die Küchenchefs nicht zu uns, um die Ware auszusuchen, sondern bestellen ganz einfach per Telefon. Einmal wöchentlich erhalten unsere Kunden Listen mit den frischen Fängen, nach denen sie das Angebot auswählen können. Es kann schon einmal vorkommen, dass eine bestellte Lieferung ausfällt, wenn zum Beispiel ein Sturm das Auslaufen der Boote unmöglich gemacht hat.“ zeigt sie den „worst case“ auf, der zwar selten, aber dennoch vorkommt. Dann weiß zumindest der Küchenchef, der seine Order einige Tage zuvor aufgegeben hat, dass in gewissen Bereichen die Natur noch immer die Oberhand über seine Kochtöpfe hat. „Wir bestellen zweimal wöchentlich und erwarten dann die Lieferungen bei uns meist spät in der Nacht. Dann geht es für unsere Arbeiter in der Halle richtig los, denn wir richten die Fische genauso zu, wie es unsere Kunden möchten. Sie werden geschuppt und ausgenommen und auf Wunsch selbstverständlich auch filetiert“. Ein großes Service, das klarerweise kostet, die Köche aber von viel, viel Arbeit entlastet und somit gerne angenommen wird. Als wir im Unternehmen eintrudelten, waren nur mehr wenige Arbeiter in der Halle, die meisten von ihnen schon zuhause, kein Wunder, wenn ihr Arbeitsbeginn schon 10 Stunden zurück lag!
Frau Uschi, die den Verkauf bei Royal Fisch leitet, ist eine jener Insiderinnen, die schon eine Woche oder noch länger im Vorhinein wissen, was auf den Speisekarten der eleganten Wiener Restaurants aufscheinen wird. Ab wann es wieder Muscheln gibt und ab wann damit zu rechnen ist, dass die frische Scholle wieder vom Menüplan verschwindet. Was wenige wissen – Fisch unterliegt ebenfalls einem saisonalen Angebot, das gewährleistet, dass die Jungbestände sich auswachsen können und deswegen gewisse Sorten nicht ganzjährig erhältlich sind, außer die Köchinnen und Köche greifen auf Tiefkühlware zurück. Wir erfahren, dass Österreicherinnen und Österreicher Garnelen, Makrelen und Lachs bevorzugen. Das erste und letztere wegen der leichten Zubereitung, währenddessen Makrelen vor allem an schönen Sommertagen als „Steckerlfisch“ an den Imbissbuden entlang der Donau und ihren Kanälen reißenden Absatz findet.
Aber nicht nur die Launen der Natur halten für Fischgroßhändler Herausforderungen bereit. „Das Rauchverbot hat uns tatsächlich getroffen, denn Raucher sind gewöhnlich auch kulinarische Genießer und die sitzen länger am Tisch. Fischesser sind ebenfalls Genießer und so machen vor allem Lokale, die einen Raucherbereich haben, weiterhin guten Umsatz mit unseren Produkten, während bei anderen ein Einbruch merkbar war“. Dass das Gesetz des Rauchverbotes in den Gaststätten auch direkte Auswirkungen auf den Fischkonsum der Österreicherinnen und Österreicher hat – wer hätte das gedacht?! Aber Frau Uschi ist ein wahrer Informationsquell, was den Verkauf dieses edlen Produktes anbelangt. Fukushima, aber auch Umweltkatastrophen wie brennende Bohrinseln, bei denen tonnenweise Öl in die Meere strömte, ließen den Umsatz vor allem von heimischem Fisch in die Höhe schnellen. „Hier wissen die Kunden, was sie auf dem Teller haben und können sich hundertprozentig sicher sein, nicht mit Umweltbelastungen konfrontiert zu werden“ erklärt uns die Fachfrau weiter: „Viele Küchenchefs haben deswegen auch Fische aus dem Pazifischen oder Atlantischen Ozean ganz aus dem Programm genommen, da ersparen sie sich einfach viel an Erklärung und Überzeugungsarbeit“. So sieht man: Was des einen Leid ist des anderen Freud. Und so sind in Zeiten der allgemeinen Umweltverschmutzungen heimische Züchtungen wie Welse, Saiblinge, Forellen, Huchen, Hecht und Karpfen gefragt wie nie zuvor. Gut für inländische Fischhändler und für die Fischesserinnen und Fischesser, denn frischer als aus Österreich direkt kann kein anderer Fisch angeliefert werden.
Obwohl das Unternehmen an eine große Zahl namhafter Restaurants frischen Fisch ausliefert – die Abnehmer erstrecken sich immerhin bis Budapest – wird dennoch auch dem allgemeinen Trend Rechnung getragen, der sich immer stärker an Conveniance-Produkten ausrichtet. Conveniance bedeutet schließlich nicht nur Bequemlichkeit für den Endkonsumenten, sondern auch für den Küchenchef selbst. Egal ob Fisch, Fleisch, Wurst, Gemüse oder Obst. Heutzutage gibt es kaum mehr einen Lebensmittelsektor, der von der Industrie nicht mit vorgefertigten Produkten beliefert wird.

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Alles was die See und das Meer so hergibt - Fischlegenden bei Royal Fisch (Foto: Susanna Eckhart)

Bei Royal Fisch kann man zwischen geräucherten und marinierten Fischen bis hin zu Kaviar alles bestellen, was der fischlüsterne Gaumen so wünscht, ohne zuvor stundenlang in der Küche stehen zu müssen. Obwohl es ein großer Irrtum ist, dass Fischzubereitung mit einer langen Kochzeit einhergehen würde. Ganz im Gegenteil – es gibt kaum ein anderes Lebensmittel, das sich so unkompliziert und schnell auf den Tisch bringen lässt wie frischer Fisch. „Nur leider können viele jüngere Leute heute gar nicht mehr kochen“ fügt Frau Uschi unserer Unterhaltung hinzu, die längst in die Feinheiten der Fischzubereitung abgeglitten ist. Wenn man nicht gerade mit so ausgefallenen Exoten wie einem Papageienfisch, einem Barramundi, Barracuda oder einem Mahi Mahi seine ersten Kocherfahrungen mit Fisch auslebt – steht einem stressfreien Koch- und anschließenden Verzehrgenuss überhaupt nichts im Wege. Und selbst bei den angegebenen Exoten benötigt man nicht mehr Kochkenntnisse; allerdings tut es den Nerven gut, wenn man schon das ein oder andere günstige Fischlein in der Pfanne herumgeschubst hat und weiß, wie sie zu behandeln sind, ohne dass man ständig an den eventuellen finanziellen Einsatz denken muss, der sich bei unsachgemäßer Behandlung der exklusiveren Ware plötzlich als eine Fehlinvestition herausstellen könnte.
Da wir aber zum Glück über ausreichende Erfahrungen in der Fischzubereitung verfügen, war der uns nach dem Interview offerierte Branzino schließlich am Teller zuhause bei einer eingehenden Verkostung genauso umwerfend wie die Goldbrasse. Kurz in einem Butter-Ölgemisch auf beiden Seiten angebraten, zuvor hauchfein mit griffigem Mehl bestäubt – gerade soviel, dass sich ein feiner Schleier über die Fische gelegt hat, mundeten sie köstlich. Dazu gab es frischen Petersil und fein geschnittenen Knoblauch, nur kurz gemeinsam in Olivenöl angeschwitzt, und über die am Tisch filetierten Fische gegossen. Welch ein Genuss! Herzlichen Dank noch im Nachhinein! Die lebensfrohe Art von Frau Ittenspurger und ihr schier nicht enden wollender Informationsschatz hat uns sehr beeindruckt und Lust auf noch viel mehr Fisch gemacht. Vielleicht geht ja Frau Uschi demnächst auf Promotion-Tour, um den Fischkonsum in Österreich kräftig anzukurbeln. Gelingen würde es ihr auf Anhieb! 

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1 Kommentar

  1. Raucher sind „Genießer“ und bleiben länger am Tisch? Ersteres mag sein, nur können Raucher auch ohne Zigarette geniessen, schrecken mit Zigarette aber andere vom genießen ab. Wer bezahlt schon gerne für Fisch und Wein inkl. Rauch? Ansonsten sitzt der Raucher länger, nur ohne in der Zeit zu konsumieren – und vom Rauch in der Luft hat der Wirt nun wirklich garnichts.

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