Der Jaguar und die Schlange

Der Jaguar und die Schlange

Der Jaguar und die Schlange

Der Jaguar und die Schlange

„The Jaguar and the Snake“ (Foto: Marc Domage )
Amanda Piña agiert in der neuen nadaproduction-Show „The jaguar and the snake“ als Wissensvermittlerin. Das ist zumindest ihr Anliegen. Denn sie möchte kontinentübergreifend der westlichen Vorstellung von unterschiedlichen Entwicklungsstufen – frei nach Darwin – jene der indigenen Völker Amerikas gegenüberstellen. Piña nennt diese selbst „amerindian people“.

Das Volk der Wixárika, in Mexiko ansässig, ist nicht der Meinung, dass der Mensch vom Tier abstammt, sondern vielmehr, dass auch Tiere ehemalige Menschen sind. Oder, präziser ausgedrückt, humanoide Lebewesen, die sich nur in einer anderen „Haut“ befinden.

In einem Interview erklärte die Tänzerin und Choreografin, die in Wien lebt und chilenisch-mexikanische Eltern hat, dass die Menschheit dringend das alte Wissen der Ureinwohner jeglicher verwestlichter Länder benötigt. Deren anderer Zugang zu Tieren und Pflanzen ist für sie ein Schlüssel zu einem anderen Umgang mit unserer Umwelt.

Um dies zu illustrieren, schlüpfte sie selbst, sowie Lina Maria Venegas und Yoan Sorin im Tanzquartier in verschiedene Tiergestalten, Hybrid- und Fabelwesen – wie wir in Österreich sie benennen würden. In Südamerika selbst wären es Lebewesen mit Zügen von Menschen. Meist solchen von Ahnen, zu welchen der jeweilige Schamane die Verbindung herstellen kann. So kommt es, dass sich Piñas am Boden windende Schlangen lachen können und ihre Panther, während sie ruhig von einem Fuß auf den anderen das Gewicht verlagern, sehr ernst ausssehen.

In ihrer kontemplativen Choreografie – bis auf wenige, ganz kurze Augenblicke am Schluss – verbindet sie verschiedene Kunstgattungen übergreifend miteinander. Die Fertigung von Plastikperlenschmuck wird von Tulama Ramirez Muñoz in bunter Tracht am Rande der Aufführung – für das Publikum sichtbar – hergestellt. Kleine Skulpturen, die wie Mischwesen aus Konsumabfall und organischen Stoffen wie Federn und Knochen aussehen und von Yoan Sorin stammen, stehen einer großen, runden und silbrig glänzenden Wolke gegenüber, die sich während der Vorstellung langsam senkt. Im letzten Bild hüllt sie Piña und Venegas völlig ein und lässt von ihnen eine zeitlang nur die Beine noch sichtbar. (Bühne Daniel Zimmermann)

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„The Jaguar and the Snake“ (Foto: Marc Domage )
Dramaturgisch agiert Venegas zu Beginn als eine Art Zeremonienmeisterin. Mit Schaumstoffhörnern ausstaffiert, wandert sie langsam über die Bühne, die Arme oft seitlich ausgestreckt, die Hände geöffnet, so als würde sie Energien aus einer anderen Welt auffangen und weiterleiten können. Die um den Bühnenkreis ausgelegten Sitzkissen strahlen in den gleichen bunten Farben wie es die traditionellen Gewänder der mexikanischen Bevölkerung tuen und verbinden damit symbolisch die Zusehenden mit jenen Ländern, die tausende Kilometer weit entfernt sind.

In ihrer Produktion führt die Choreografin eine neue Art von „Kostümierung“ ein, nämlich jene der Zungen der Tanzenden. Auf diese werden Federn, Plastikschlangen, Stoffe und Blätter aufgesteckt, die den Menschen mit diesen „Zungenkostümen“ ad hoc ein extremes tierisches Aussehen und Gehabe verleihen.

Ein elektronischer Sound, der einen beinahe unmerklichen, rhythmischen Puls aufweist, verändert sich während der Vorstellung nur marginal. Er steht in direktem Kontrast zum Auftritt von José Luis „Katira” Ramirez, der mit einer volkstümlichen, kleinen, 2-saitigen Geige aufspielt und ein kurzes Lied aus seiner Heimat intoniert.

Kunsthandwerk dieses Volkes kann das Publikum nach der Vorstellung zu selbst gewählten Preisen kaufen. Das daraus erzielte Geld geht direkt an die Wixárikas, dessen Vertreterpaar auch in den Lectures und Workshops ihr Wissen an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer weitergaben. Dieses Angebot rundete die Tanzproduktion ab und ermöglichte vielen Interessierten, in deren Gedankenwelt und Piñas choreografische Umsetzung einzutauchen.

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„The Jaguar and the Snake“ (Foto: Marc Domage )
„The Jaguar and the Snake“ reiht sich in jene Art von Kunstproduktion, die zeitgenössische Ästhetik – in diesem Fall jene des Tanzes – mit Aufklärung koppelt. Sie bedient sich einer historisch gewachsenen, westlichen Kulturvermittlung, um mit ihrer Hilfe auf Phänomene aufmerksam zu machen, die damit vom Rand der wissenschaftlichen Betrachtung ins Zentrum eines Publikumsinteresses gerückt werden können und dabei weit weg vom Phänomen l´art pour l´art angesiedelt sind.
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Das Tanzquartier meldet sich zurück

Das Tanzquartier meldet sich zurück

Das Tanzquartier meldet sich zurück

Von Michaela Preiner

Doris Uhlich: „Every Body Electric“ (Foto: Ulrich A. Reiterer)
29.
Jänner

Mit einem dreitägigen Eröffnungsfestival meldete sich das Tanzquartier in Wien unter der neuen Leitung von Bettina Kogler zurück.

Die vergangenen Monate wurden im Tanzquartier nicht nur dazu genützt, ein dichtes Programm auf die Beine zu stellen. Es wurden im Haus selbst, nach Publikumsbefragungen, auch einige Umbauten vorgenommen. Nicht nur die „Schaubibliothek“ gleich im Eingangsbereich gibt einen Hinweis auf die große Sammlung an Fachliteratur, die das Tanzquartier sein Eigen nennt. Der Empfangsdesk ist neu, unübersehbar genau gegenüber dem Eingang platziert und auch die Garderobe im ersten Stock wurde großzügiger gestaltet.

Mit dem Erföffnungsprogramm – gezählten 18 Veranstaltungen – wurde auch eine Taktung vorgelegt, die in der Fülle beeindruckte. Dabei wurde bewusst auf eine Mischung von heimischen und internationalen Tanz- und Performanceschaffenden Wert gelegt.

Doris Uhlichs „Everybody electric“ – die eine Fortführung ihrer bereits gezeigten Arbeiten mit bewegungseingeschränkten Menschen darstellt, machte den Auftakt. Dabei griff sie auf bisher bewährte Elemente ihrer Choreografien zurück und ermutigte einige Ensemblemitglieder auch, nackt aufzutreten. In einer Mischung aus Soli – bei welchen auch der jeweils benutzte Rollstuhl einen zentralen Part zugewiesen bekam – Paar- aber auch Gruppenauftritten wurde das Publikum mit den körperlichen Beeinträchtigungen der Menschen auf der Bühne genauso konfrontiert wie mit der Überwindung ihrer eingeübten Bewegungsmuster. Die Produktion stellt einen wichtigen Beitrag zur Inklusion von Menschen im Bereich des zeitgenössischen Tanzes dar und spiegelt damit auch den Wunsch der neuen Intendantin, das Tanzquartier in diese Richtung stärker zu öffnen.

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Doris Uhlich: „Every Body Electric“ (Foto: Ulrich A. Reiterer)
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Franko B: „I’m Thinking of You“ (Foto: Hugo Glendinning)

Julius Deutschbauer stärkte im Anschluss in einer nährenden Performance die Tanzquartier-Gemeinde mit Würsteln und selbst geriebenem Kren. Andrea Maurer nahm sich das Stiegenhaus als Kreativraum vor und bestückte es mit bewegten und unbewegten Objekten und Franko B. ließ das Publikum am Eröffnungsabend mit der Performance „I´m thinking of you“ nicht nur seine Ganzkörpertätowierung bestaunen.

Nackt auf einer Schaukel wippend, unterstützt von Helen Ottaways romantischen Klängen am Klavier, betrachtete er die Menschen im Raum aufmerksam, aber wortlos. Assoziationsketten jeglicher Art konnten dadurch hervorgerufen werden, aber zwei junge Frauen fühlten sich auch aufgerufen, durch ihr paarweises Umkreisen von Franko Bs Schaukel aktiv am Geschehen teilzunehmen. Die Performances aber auch die Stiegenhaus-Installation können auch als Hinweise darauf verstanden werden, dass sich das Tanzquartier, wie schon bisher, dem erweiterten Begriff des zeitgenössischen Tanzes mit seinen genreübergreifenden Arbeiten nicht verschließt.

Dies wird auch in einem einzigartigen Mammutprojekt sichtbar. Der schwedische Choreograf Alexander Gottfarb hat dafür ein ganzes Jahr lang ein angemietetes Lokal in der Neustiftgasse 31 in Beschlag genommen. Dort wird täglich getanzt und das interessierte Publikum, aber auch Passanten, sind eingeladen, täglich zwischen 10 und 18 Uhr die „Negotiations“ zu besuchen. Der Eintritt ist frei und ermöglicht somit auch ein mehrmaliges Begleiten des spannenden Langzeit-Projektes, das jedoch von den Besuchenden nur ausschnitthaft wahrgenommen werden kann. Zugleich bietet diese Arbeit auch eine wunderbare Gelegenheit zeitgenössischen Tanz auch einmal außerhalb der geschützten Museumsquartier-Mauern kennenzulernen. 

 

 

 

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Die Erinnerung steckt im Körper

Die Erinnerung steckt im Körper

Die Bühne – eine Mischung aus praktischen Hilfsmitteln für den Tanz und skulpturaler Inszenierung. Die Performance – zum Teil Tanz- zum Teil Sprechtheater. Die Ausführende – Meg Stuart, Amerikanerin, die in Berlin und Brüssel lebt und mit ihrer Gruppe Damaged Goods arbeitet, ist dieses Mal alleine auf der Bühne.

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Meg Stuart war mit „Hunter“ im Tanzquartier Wien zu sehen- Foto: Iris Janke

„Hunter“ ist der Titel ihrer Soloperformance, in der sie ihren eigenen Erinnerungen nachspürt, sich vielleicht im übertragenen Sinn sogar wie ein Jäger auf deren Spur macht. Erinnerungen, die sowohl subjektiv, zugleich aber auch zumindest teilweise im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Familienfotos mit Kindern, Eltern, Freunden, wer hat sie nicht zuhause? Wer möchte nicht den einen oder die andere aus dieser visualisierten Erinnerung wieder auslöschen? Stuart greift zu drastischen Mitteln. Am Ende ihrer selbst gebastelten Collage, die das Publikum via Projektion miterlebte, noch während es seine Plätze suchte, wird ein Foto angezündet. „Zuhause bastle ich keine Collagen“, wird Stuart später erklären und damit einen Verweis auch die Bühnenkünstlichkeit geben. Aber sie wird mit diesem kleinen Satz zugleich auch vermeintlich Privates zurücknehmen, den voyeuristischen Blick ihres Publikums auf diese Weise neutralisieren.

Meg Stuart animiert zum Fragen

Es ist nur ein Bruch von mehreren, der in diesem Solo das Publikum mehr oder weniger sanft zum Hinterfragen der Arbeit von Meg Stuart anleitet. Muss ein Tanzsolo tatsächlich ohne Sprache auskommen? Warum kann man evozierte Gefühle nicht auch im Handumdrehen ins Gegenteil verkehren – nämlich dann, wenn`s gerade so schön ist. So geschehen mit ihrer Yoko-Ono-Hommage, in welcher sie das Lied „revelations“ vorträgt, unterstützt von zwei von der Decke hängenden, und sich wie Karussellsitze drehenden, roten, runden Lautsprechern. Gerade als der Text der John-Lennon-Witwe das eigene Ego zu streicheln beginnt, fängt Stuart zu brüllen an. Gegen oder besser mit jenen Filmaufnahmen, in welchen, auf allen nur möglichen Projektionsflächen auf der Bühne, kriegerische Handlungen gezeigt werden.

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Meg Stuart – Hunter im Tanzquartier Wien Foto: Maarten Vanden Abeele

Immer wieder unterhält sie nicht nur akustische, sondern visuelle Unterstützung, Projektionen von Bildern, von Videos, Privatfilmen. Lang gerollte und zurechtgeschnittene Fellimitationen sind dafür als Projektionsflächen geeignet, eine hüfthohe, leicht gebogene, nach vorne geöffnete Skulptur, aber auch Bildschirme oder kleine Leinwände erfüllen denselben Zweck.

Beredte Arme und Hände

Zu Beginn schafft Meg Stuart das Kunststück, eine Beziehungsgeschichte nur mit ihren Armen und Hände zu erzählen. Ein sich Anklammern, Festhalten, innige Umarmungen aber auch rohe Zurückweisungen – das alles enthält ihr Bewegungsvokabular. Momente wie diese, wenngleich auch verkürzt und drastisch abstrahiert, finden dennoch Widerhall beim Zusehen. Ein weiterer Bewegungspart erinnert an die Protagonisten von Computerspielen – verfolgt, gebeutelt, zu Boden gestreckt und immer wieder von Neuem traktiert. Die Szene endet schließlich durch die Verzerrung des dazu eingespielten Sounds, durch ein plötzliches Rückwärtslaufen der Künstlerin. So als befände sie sich in diesem Moment außerhalb jeder real erfahrbaren Zeit. Um kurz darauf via eingespielter Männerstimme zu verlautbaren: Every second is real!

Wie ist das mit unseren Erinnerungen eigentlich? Wie kommen diese, wie gehen diese, in welchem Zeitmodus werden sie von uns empfunden? Stuart evoziert permanent Fragen, ohne jedoch auf Antworten zu warten. In rasantem Tempo lösen sich Szenen rasch hintereinander ab, kippen, verkehren sich ins Gegenteil von ihrem Ausgangspunkt. Ein Kostümwechsel verändert ihr Aussehen komplett. Das bunte, in alle Richtungen ausufernde Kleid, das sie sich überzieht, passt ihr nicht; wird zu einem Objekt, das mehr behindert als nützt. So farbenfroh es auch ist, seine Trägerin verschwindet darin komplett, wird von ihm verschluckt. Der Schluss, in welchem sie auf allen Vieren den Raum verlässt, täuscht. Denn ihm folgt ein zweiter Teil, in dem Stuart wie eine Conferencière ihre Gedanken mit dem Publikum teilt: In Shirt, wattierter Jacke, Hose und Fellstiefeln – „man weiß nie, welches Wetter in Wien im April herrscht“ – ein höchst vergnüglicher Verweis auf das in der Stadt am Tag zuvor tatsächlich stattgefundene Schneechaos. In diesem zweiten Teil erfährt man von ihrem Vater, der mit Laienschauspielern arbeitete, von einer Freundin, die sich die hüftlangen Haare abschneiden ließ, um sie Meg anschließend zu schenken. Sie nutzt diesen Auftritt aber auch dazu, das Publikum aufzurufen, in einer gemeinsamen Aktion Ikea-stuff zu verschrotten, oder den öffentlichen Raum zu besetzen.

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Meg Stuart – Hunter im Tanzquartier Wien Foto: Maarten Vanden Abeele

Am Schluss steht das Verschwinden

Dass die Künstlerin im letzten Teil von Augenblick zu Augenblick an visueller Präsenz verliert, nicht einmal mehr Schwarz-Weiß-Projektionen das Dunkel der Bühne aufhellen können, kippt die Performance abermals komplett. Die Auslöschung des eigenen Ichs, die hier zelebriert wird, ist mehr als eine Vorausschau der eigenen Endlichkeit. Die multiplen Interpretationen, die Stuart ihrem Stück hinterlegt, die vielen Ebenen, mit denen es ausgestattet ist, die Behauptungen und das Aufzeigen ihres Gegenteils – all das hält die Tänzerin und Choreografin bis zum Schluss aufrecht. Es sind die einzigen Konstanten, die schlussendlich all den Ideen einen Halt und Rahmen geben.

„Hunter“ ist eine der lebendigsten, intelligentesten und berührendsten Performances, die in letzter Zeit im Tanzquartier gezeigt wurden. Meg Stuart eröffnet damit eine ganze Reihe von Gedankenräumen, die selbst gefüllt werden müssen. Aber sie präsentiert auch ein höchst kreatives Kompendium, eine Rückschau auf das bisherige Leben einer Generation, die jetzt zwischen 50 und 60 Jahre alt ist und sich darin wiederfinden kann.

Zeitgenössischer Tanz muss unzeitgemäß sein

Zeitgenössischer Tanz muss unzeitgemäß sein

Walter Heun ist eine Institution in Sachen zeitgenössischer Tanz. Seit der Spielzeit 2009/10 leitet er mit einem, wie er sagt, „wunderbaren Team“ das Tanzquartier, das nun nach insgesamt 15 Jahren im Museumsquartier dort selbst nun endlich auch mit einem Logo sichtbar geworden ist. „Kennen Sie den Buchbinder Wanninger?“, stellt er im Gespräch diesbezüglich die Frage in den Raum, womit klar ist, dass die Bemühungen um die Anbringung eines sichtbaren Logos im Museumsquartier nicht nur eine unendliche Geschichte, sondern eine absurde Langzeitepisode in seinem beruflichen Werdegang darstellt.

Man müsste meinen, dass Walter Heun sich bereits mitten in seiner Umorientierungsphase befindet. Verlässt er doch mit Ende der Saison das Haus, das zeitgenössischen Tanz vor allem auch mit einem theoretischen Unterbau bedenkt und abbildet.

Walter Heun (c) Sabine Hauswirh

Walter Heun (c) Sabine Hauswirh

Eigentlich habe ich mir gedacht, ich kann das letzte Jahr auschillen lassen. Aber das Gegenteil ist der Fall!

Das hat auch damit zu tun, dass Heun die Präsidentschaft des European Dance House Network (EDHN) übernommen hat, in der Meinung, es handle sich dort um einen Repräsentationsjob. Zumindest erzählt er diese Variante im Interview. Wer ihn aber näher kennt, weiß, dass das so nicht ganz stimmen kann, denn Heun ist einer, der erstens in jedem Job, den er bisher innehatte, intensiv über seine Aufgaben nachdachte und zweitens etwas bewegen will. Nur einfach repräsentieren geht bei ihm nicht.

Das Netzwerk hat vor drei Jahren eine EU-Förderung bekommen, nun muss der Antrag für die nächsten drei Jahre eingereicht werden. „Brutal viel Arbeit“ heißt das im Heun-Diktum. Aber selbstreflektierend wie er ist, weiß er, dass er sich den Präsidialjob selbst erschwert hat, denn anstelle eines 2-seitigen Positionspapieres gab er ein 7-seitiges Konzept ab, wie das Netzwerk als politische Kraft in Europa positioniert werden könne.

Dass diese Aufgabe neben viel Arbeit aber auch schöne Seiten hat, wird deutlich, als er, sichtlich dankbar, über seine Besuche in den Bürgermeisterämtern von Marseille oder Helsinki berichtet.

Jean-Claude Gaudin ist seit 22 Jahren als Bürgermeister in Marseille im Amt. Er ist sozusagen der Michael Häupl von Marseille. So jemandem einmal nahe zu sein, mit ihm auf Augenhöhe sprechen zu dürfen, war sehr schön. Oder auch das Gespräch mit der Vizebürgermeisterin in Helsinki in ihrem Büro, das stattfand, um ihr nahezubringen, dass sie für das dortige Tanzhaus doppelt so viel braucht, als sie bislang etatisiert hatte, war toll. Dabei hat sie mir die Pläne für das neue Guggenheim-Museum gezeigt und die Baustelle von ihrem Fenster aus erklärt. Das sind Momente, in denen man sich denkt: Da darf man schon ein privilegiertes Leben führen.

Heun gelang in den letzten Monaten auch der Coup, bei „Creative Europe“, dem Rahmenprogramm der Europäischen Kommission für die Unterstützung der Kulturbranche und des audiovisuellen Sektors mit zehn Mitgliedern des EDHN vorstellig zu werden und den Verantwortlichen die Realität, Sorgen und Nöte der europäischen Tanzszene vorzustellen.
Das zeigt nicht nur seinen hohen Vernetzungsgrad, sondern auch die internationale Anerkennung, die er im Bereich des zeitgenössischen Tanzes genießt.

Die Arbeit und Aufgaben im Tanzquartier erklärt er wider Erwarten gar nicht aus einer philosophischen Meta-Ebene, sondern sehr pragmatisch.

Wir positionieren uns im Tanzquartier politisch eher in grundsätzlichen Fragen. Wie kann unser Zusammenleben funktionieren? Wie können wir zusammen sein? Wenn man die 10 Gebote der christlichen Religion oder auch anderer hernimmt, oder die Grundgesetze, dann steht immer dasselbe drin: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Da steht drin, dass man dem anderen nicht etwas wegnehmen soll und die Freiheit des einen auch immer die Freiheit des anderen ist. Diese grundlegenden Prinzipien sollte man, wenn man in Frieden leben will, tunlichst einhalten, egal welcher politischen Couleur man angehört. Wenn man sich das Geschehen in Amerika ansieht, dann bemerkt man, dass man zwar eine Wahl gewinnen kann, sein Volk gewinnt man damit aber noch lange nicht, wenn man mit Mitteln agiert, die zutiefst undemokratisch und unmenschlich sind.

Mit dem Format „scores“ wurde unter seiner Ägide ein weit über die Grenzen Österreichs hinaus beachtetes Festival geschaffen, das in diesem Jahr den Titel „Out of border, out of order“ trug und so etwas wie eine Zusammenfassung der vergangenen Jahre im Tanzquartier bedeutete. Dabei waren internationale Künstlerinnen und Künstler in Wien zu Gast, die, zum Angreifen nahe, dem Wiener Publikum ein Kennenlernen „des Fremden, des Anderen“ ermöglichten.

Wenn Menschen, die sich immer über „die Anderen, die Fremden“ aufregen, vielleicht einmal ein paar von den “Anderen“, den „Fremden“ kennenlernen würden, dann würden sie feststellen, dass es unheimlich viele Gemeinsamkeiten gibt. Unsere ganze westliche Kultur ist aus dem Nahen Osten, über das persische Reich nach Griechenland, über Alexandria in den Mittelmeerraum gekommen. Wie kann man so vergesslich sein, sich jetzt hinstellen und sagen: Die wollen wir nicht haben?

Obwohl Heun nur mehr einige Monate im Haus bleibt, hat er Visionen, was er hier in Zukunft machen würde.

Mit einer längeren Perspektive hätte ich vielleicht dafür gesorgt, dass der Tanz in die Regionen geht, in Orte, die sich scheinbar von der Globalisierung ausgegrenzt fühlen, in denen die Menschen unbestimmte Ängste vor dem Fremden haben, obwohl sie es eigentlich nicht kennen. Deswegen können sie auch solche Ängste haben. Wenn sie einmal miterleben würden, was ich im März oder April bei der Vorbereitung unserer letzten scores-Ausgabe in Beirut erlebt habe, würde das anders aussehen. Da saßen wir abends in einem Cafe und einer der arabischen Musiker packte sein Schlaginstrument aus, der nächste nahm seine Oud (arabische Kurzhalslaute), eine iranische Tänzerin kam dazu und plötzlich tanzten Menschen aus 50 Nationen miteinander. Da stellte ich mir die Frage: „Wo ist eigentlich das Problem?“ Wenn so etwas oder so etwas Ähnliches mehr Menschen miterleben könnten, dann würden sich die Ängste vielleicht mehr legen. Deswegen würde ich zukünftige Tanzaktivitäten auch in die Regionen verlagern. Man könnte dort mit verschiedenen Formen der Tanzvermittlung arbeiten, damit da die Leute einfach die Qualität von Begegnungen mit den anderen, die im Tanzen liegt, mitbekommen.

Und da das Tanzquartier, wie Heun sagt, dann doch ein wenig subversiv ist, würde er dem Publikum dort den ein oder anderen Künstler aus einem anderen Kulturkreis unterjubeln, den er sehr fremd findet. Die Brücke würde er über ortsansässige Künstler schlagen.

Dann ist halt da einer dabei, den sie nicht kennen, aber ganz nett finden und hinterher im Gespräch vielleicht rausfinden: „Ach, der ist ja gar nicht von da!“ Man muss irgendwie die Brücke schlagen. Es fühlen sich wahnsinnig viele Menschen von dem politischen System ausgegrenzt, das hat man in Amerika ganz deutlich gemerkt. Die gesellschaftliche Spaltung erinnert an die Zeit vor den großen Kriegen. Und das ohne wirkliche Not. In den 20er Jahren war Weltwirtschaftskrise, die Gesellschaft polarisiert. Damals hatten die Leute wirkliche Not, Hunger gelitten. Da sind wir weit davon entfernt. Aber vielleicht ist es jetzt so, weil wir in den sozialen Medien nur mehr mit den Leuten kommunizieren, die ohnehin der gleichen Meinung wie wir sind. Dadurch verfestigt sich diese Meinung und es gibt keinen journalistischen Filter, keine ausgewogene Berichterstattung mehr.

Das erste Mission-Statement des Tanzquartier-Chefs und seinem Team betraf die Gastfreundschaft, der sich der Intendant bis heute verpflichtet fühlt. Auf die Frage, worauf der Kurator, Tanzproduzent und -veranstalter, Institutsleiter, Networker eigentlich stolz sei, führt er neben dem Vorantreiben der künstlerischen Forschung und Theorie am Haus, zu dem sich auch ein gesellschafspolitischer Aspekt gesellte, das Feeling an. Jenes Gefühl, welches das Publikum des Tanzquartiers immer wieder einmal feststellen lässt: „Bei euch ist es wahnsinnig nett.“ Womit sich der Bogen zur Idee der gelebten Gastfreundschaft wieder schließt.

Ein Tanzhaus kann als Idee für eine offene Gesellschaft gesehen werden. Wenn ich mir vorstelle, eine Gesellschaft würde so arbeiten wie wir es im Tanzquartier tun, dann gäbe es weniger Probleme mit der Integration und Inklusion von anderen. Darauf bin ich stolz. Aber ich weiß auch um die Verantwortung um das Haus. Was das Tanzquartier macht, wird auf der ganzen Welt wahrgenommen. Wenn Politiker nachdenken: „Was machen wir mit dem Haus in Zukunft?“, müssen sie wissen: Das ist nicht nur ein lokales Bespieltheater, für ein lokales Publikum, das man im Grätzel befriedigen muss. Das TQW ist ein international positioniertes Haus, für das man Verantwortung trägt, die weit über Wien hinaus geht. Es wurde über 15 Jahre aufgebaut, dementsprechend weitsichtig muss man damit auch umgehen.

Wir haben ja seit 2001 eine ganz neue Generation von Choreografen national und international mit aufgebaut. Ian Kaler, den wir in allen Produktionen von sehr frühem Beginn an koproduziert haben. Deutinger/Navaridas, Loose Collective, Nadaproductions, Jefta van Dinther, Noé Soulier, Mette Ingvartsen, Laurent Chetouane uvm. Dann kommen noch die strukturbildenen Maßnahmen dazu, die auch der Szene die Möglichkeit boten, sich weiterzuentwickeln. Dazu gehört das Format „FEEDBACK“, als Plattform für internationale Veranstalter, die sich über die hiesige Szene informieren wollen, die heute großen Zuspruch hat und international wahrgenommen wird. Der Aufbau der Mediathek, die Digitalisierung sämtlicher Aufzeichnungen, die seit 2001 im TQW gemacht wurden, die Plattform für österreichische Künstler – Open Space Austria, dann INTPA, die Vermittlungsplattform und natürlich die Mitgründung und Tätigkeit im European Dancehouse Network.

Walter Heun ist ein überzeugter Anhänger von life long learning.

Ich begreife meine Rolle im Tanz als ein permanentes Forschen und Erweitern meines eigenen Wahrnehmungsspektrums oder der Möglichkeiten, wie ich mich mit Kunst und der Welt auseinandersetzen kann. Der Tanz ist da ein extrem gutes Medium, um mit sich voranzukommen. Insofern habe ich das Gefühl, ich lerne ständig was dazu.

Und als ob die Leitung eines Hauses nicht Denksport genug wäre, gelingt ihm auch noch eine Neudefinition des zeitgenössischen Tanzes.

Die Philosophie der Zukunft muss in ihrer Zeit immer unzeitgemäß sein, sagte Nietzsche in seinen „unzeitgemäßen Betrachtungen“. Das gilt genauso für den zeitgenössischen Tanz. Auch er muss in seiner Zeit immer unzeitgemäß sein. Er ist nicht zeitgenössisch, weil er den Trend der Zeit aufgreift, sondern er ist unzeitgemäß, weil er sich mit den zukünftigen Möglichkeiten von Tanz beschäftigt. Wenn man konsequent sein will, müsste man immer von dem unzeitgemäßen Tanz sprechen, statt von zeitgenössischem.

Walter Heun (c) Regine Hendrich

Walter Heun (c) Regine Hendrich

Noch ist seine eigene berufliche Zukunft im Moment ungewiss, aber ein Wunsch steht ganz oben auf seiner Liste:

Ich wünsche mir einfach mehr Zeit. Ich habe mich für keine anderen Häuser beworben, die ausgeschrieben waren. Sie haben mich nicht gereizt. Ich möchte in Ruhe auch wieder mehr lesen. Ich war überrascht, als mich einige Kollegen in der Leitung der Stadsschouwburg in Amsterdam gesehen haben. Eine der wenigen Sachen, die mich gereizt hätten, wenn es nicht schon an Sasha Waltz vergeben wäre, wäre das Staatsballett Berlin gewesen. So ein Ballettensemble mit 90 bis 100 Tänzern zu nehmen und verschiedene Ensemblearbeit zu machen und voranzutreiben, hätte mich gereizt. Ich habe fünf Jahre als Spartenchef am Luzerner Theater gearbeitet und habe die Position eines Ballett-Direktors bezogen und die Sparte in ein Choreographisches Zentrum umgewandelt. Und den Etat, der fürs Ballett da war, habe ich genutzt, um in Koproduktion mit Residence-Modellen mit zeitgenössischen Choreografen zu arbeiten und sie kozuproduzieren. Das wäre ein Modell, das würde ich gerne noch einmal als Intendant probieren. Vielleicht auch für andere Sparten. Was mir auch Spaß macht, ist, Performance im Kunstkontext zu kuratieren.

Um dann ganz sportlich abschließend hinzuzufügen:

„Schaun mer mal!“, wie der Franz Beckenbauer immer so schön gesagt hat.

Von der Poesie der Alltagsobjekte

Von der Poesie der Alltagsobjekte

Teil 1 „Allege“

Unter dem Titel „Public in Private“ wurden gleich zwei Arbeiten des französischen Choreografen Clément Layes im Tanzquartier Wien an einem einzigen Abend gezeigt. „Allege“ – vor fünf Jahren entstanden und das allerneueste Werk „Title“ machten deutlich, dass Layes ein Großmeister der Poesie von Alltagsgegenständen ist. Da wir fanden, dass beide Perfomances einen eigenen Artikel wert sind, lesen Sie hier erst einmal unsere Rezension über „Allege“.

Auf der Bühne ist im Stockdunkel nur ein kleines rotes Lämpchen zu sehen. Als es im Raum heller wird, erkennt man, dass es zu einem ganz gewöhnlichen Wasserkocher gehört, der eingeschaltet ist. Ein Tisch steht auf der Bühne, darauf ein grüner Eimer, eine Schreibtafel, das scheint auch schon die ganze Ausstattung zu sein, die der Choreograf Clément Layes für sein Stück „Allege“ benötigt. Es war seine allererste Arbeit für deren Choreografie er verantwortlich ist. Vergangene Woche erlebte sie ihre Premiere im Tanzquartier in Wien.

Vincent Weber hat sie performt. Nach einigen Augenblicken, in denen der Wasserkocher alleine alle Aufmerksam auf sich gezogen hat, kommt er auf die Bühne, gebückt. Ein kleines Glas steht auf seinem Nacken, der Grund, warum der Mann nicht erhobenen Hauptes marschiert. Und er wird bis auf wenige Ausnahmen die Performance in dieser Haltung bestreiten. Schnell wird klar: Das, was er hier mit sich trägt, bedeutet Einschränkung. Einschränkung im körperlichen Sinn, aber darüber hinaus auch eine gedankliche Einschränkung. Denn das ist es, was Layes dem Publikum zeigen will. „Die Idee zu dieser Performance kam mir, als ich meiner Tochter zusah, als sie noch klein war. Sie spielte mit einem Wasserglas und verwendete es ganz anders, als wir dies normalerweise tun“, erklärte Layes in einem Interview. Diese Detextualisierung, diese Verwendung eines alltäglichen Gegenstandes in einer ganz anderen Art und Weise wie wir sie gewohnt sind, regte den Choreografen an, darüber nachzudenken, wie das denn eigentlich so ist mit den Gegenständen, die für uns selbstverständlich sind und über deren Gebrauch wir normalerweise überhaupt nicht nachdenken müssen.

Vincent Weber steigert die Absurdität seines Tuns auf der Bühne. Nicht nur, dass er gebückt schreitet, er entnimmt dem Kübel mehrere Gläser und Flaschen und eine kleine grüne Pflanze und beginnt, letztere zu gießen und die Gläser mit Wasser zu füllen. Auch jenes, das auf seinem Kopf steht. Unausweichlich, dass er sich dabei nass macht und das Wasser auf den Boden rinnt. Bald schon haben sich dort multiple Wasserlachen gebildet und man sitzt und sieht erstaunt dem ungewöhnlichen Treiben zu. Was geschieht hier denn eigentlich? Was macht dieser Mann, was soll das denn bedeuten? Fragen über Fragen, die einem durch den Kopf schießen, ohne in diesem Moment beantwortet werden zu können. Eine kleine akrobatische Einlage – Weber balanciert das Wasserglas ohne es zu berühren auf eine seiner Schläfen – verändert das bis dahin schon gewohnte Bewegungsrepertoire und langsam wird eine Binsenweisheit klar: Es ist alles nur eine Frage der eigenen Betrachtung. So wie man sich diese zurechtlegt, so agiert man auch. Im schlimmsten Falle mit einem gewaltigen Defizit. „Ich habe mich zu Beginn meiner Arbeit auch mit Zirkusakrobatik beschäftig“ – auch das fühlt man, wenn man Layes` Choreografie länger zusieht.

Nachdem sein Tänzer mit einem Putztuch unwirsch die Lachen auf dem Boden aufsaugte und das Tuch dann über dem Kübel auswrang, beginnt er damit, den Technikern hinter dem Regiepult Zeichen zu geben. Rechte Hand erheben bedeutet Musik an oder aus, linke Hand Licht aus und an. So dirigiert er das Geschehen direkt von der Bühne. Dazwischen zeichnet er immer wieder auf die Tafel Gläser oder Pflanzen mit verschiedenen Bewegungspfeilen. Was Gläser, Wasser, Flaschen, Tafeln und Pflanzen sind, wissen wir alle. Dass sie in einem Erzählzusammenhang auf der Bühne auch Stellvertreterrollen einnehmen können, wissen erfahrene Kulturkonsumentinnen und –konsumenten auch. Wenn aber die Metaphern, wie im Fall von „Allege“ sich nicht und nicht erraten lassen, dann muss eine Erklärung her. Und diese liefert Vincent Weber tatsächlich.

„This is the mechanism“ – macht er klar, während er auf das Glas in seinem Nacken zeigt. „This is the energy“ – benennt er das Wasser und „this is the limitation“ – ist die Erklärung für den Kübel. Das Putztuch symbolisiert den Traum, derselbe Fetzen in einer Wasserlache, dem Ozean liegend, ist Poesie, die Pflanze steht für das Leben und die immer kurz eingespielte Musik, ein Chanson, das man immer nur wenige Takte lang zu hören bekommt, ist die Zeit. Das einzige, das seinen symbolischen Gehalt nicht verändert, ist der Tisch. Und so ist man ab nun krampfhaft bemüht, den Erklärungen von Weber, die er in Englisch mit einem sympathischen französischen Akzent von sich gibt, zu folgen. Was nicht ganz einfach ist.

Die Beschränkung, das wird rasch klar, ist durch die Festlegung der Bedeutungszusammenhänge der Objekte in unseren Köpfen gegeben. Es fällt schwer, diese aufzuheben, immer und immer wieder stehen die bestehenden Fixierungen der Alltagsobjekte einem freien, unüblichen Zugang zu denselben im Weg. Und doch macht das Zusehen nach diesen Erklärungen nun noch mehr Spaß. Der Geist ist ständig bemüht, sich logische Zusammenhänge zu bauen, auch wenn die Handlungen, denen wir zusehen, noch so absurd erscheinen. Das Absurde ist auch einer jener Bausteine, die Layes sich aus der Kunst- und Literaturgeschichte ausborgt. Es sind die Dadaisten, aber noch mehr die Surrealisten, die es ihm angetan haben. Auch das kann man in dieser Arbeit gut nachvollziehen. Dass eine Pfeife keine Pfeife ist, wenn sich nur ihr Abbildhaftes auf einer Leinwand befindet, diese semantische Feinheit stammt ja schließlich auch von keinem Geringeren als dem Surrealisten René Magritte. Sein Bild „La trahision des images“ wurde zur surrealistischen Ikone. Layes setzt dieser Idee noch eins drauf und begnügt sich nicht, die Objekte in einen anderen Sinnzusammenhang zu stellen sondern er firmiert um, was das Zeug hält. So entsteht ein schier undurchwirrbares Handlungskonstrukt, das stellvertretend für die Komplexität unserer Welt angesehen werden kann. Das, was wir vermeintlich zu verstehen glauben, ist ja nur ein Ausschnitt von marginalen Wirklichkeiten. Tatsächlich setzt sich unsere Welt aus einer unüberschaubaren Fülle von Menschen und Handlungen, Wirklichkeiten und Imaginationen zusammen, dass niemand auf dieser Welt auch nur im Geringsten behaupten kann, darüber einen Überblick zu haben.

Die furiose Handlungssteigerung, in der Weber am Schluss des Stückes brilliert, lässt keinerlei Möglichkeit einer logischen Schlussfolgerung des Geschehens mehr zu. Vielmehr darf man sich zu diesem Zeitpunkt getrost zurücklehnen und sich über das Scheitern der eigenen Reflexionsfähigkeit köstlich amüsieren. So man die Welt nicht allzu ernst nimmt.

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