Von Stefan Zweig zur eigenen Unzulänglichkeit

Spielraum“ – das Theater in der Kaiserstraße – macht seinem Namen derzeit alle Ehre. Gezeigt wird „Angst“ nach einer Novelle von Stefan Zweig, in einer beachtenswerten Bearbeitung von Nicole Metzger, welche vom Ensemble vor allem mit viel „Spiellust“ wiedergegeben wird.

Der Inhalt – Ehefrau betrügt Ehemann und durchleidet dann vielerlei Stadien der Angst – ist rasch nacherzählt. Dass diese uralte Beziehungs-Blaupause sich schließlich von ihrer eng begrenzten Erzählstruktur abhebt, ist nicht zuletzt der Regie der Theaterfrau des ehemaligen „Erika-Kinos“ zu verdanken.

Theater Spielraum Stefan Zweig Angst

Das Theater Spielraum in Wien spielt im Moment das Stück Angst von Stefan Zweig (Foto: Barbara Pálffy)

Die Bühne erstreckt sich zwischen den gegenüberliegenden aufgebauten Sesselreihen, hat aber jeweils stirnseitig links und rechts davon auch ihre erhöhten Spielplätze. Einer markiert – wenn auch mit sparsamen Mitteln – das luxuriöse Heim der Hauptperson Irene Wagner. Der andere ist ihrem Geliebten Eduard vorbehalten. Zwischen diesen beiden Orten entwickelt sich ein psychologisches Drama, das Irenes Gefühlsleben beleuchtet. Ihr Seitensprung bereitet ihr rasch ein tiefes Angstgefühl, vor allem weil sie von einer jungen Frau erpresst wird.

Dana Proetsch mimt die Gattin eines Rechtsanwaltes in vielen Facetten. Von zutiefst verliebt über einsam, von Angst gebeutelt bis hin zur Beinahe-Selbstaufgabe gelingt ihr eine plausible Charakterstudie. Christian Kohlhofer als junger Liebhaber und Pianist sprüht im Liebesrausch, explodiert ein wenig später als verschmähter junger Mann und wird von peinlichen Gefühlen geplagt, als seine Ex-Geliebte bei ihm auftaucht und ihn mit einer neuen Frau erwischt. Wie nahe Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit nebeneinanderliegen können beweist Peter Pausz in der Rolle des betrogenen Ehemannes Dr. Wagner. Mehr als selbstgerecht versucht er durch eine Finte seine Frau zurückzuwerben, übersieht dabei aber ganz, dass er keine lauteren Mittel dabei einsetzt. Vielmehr benutzt auch er eine Lüge, ja mehr noch, eine Intrige, für die er eine junge Schauspielerin engagierte, die Irene erpresst. Nathalie Mintert absolviert ihre erste Zusammenarbeit mit dem Theater Spielraum mit Bravour und verkörpert nachvollziehbar die junge Unterschichtfrau, die ihrer vermeintlichen Gegenspielerin gehörig zusetzt und ihr Angstattacken einjagt.

Doch, wie schon angedeutet, ist es nicht so sehr die Handlung an sich, die das Stück so attraktiv macht. Vielmehr gibt es darin eine Schlüsselstelle, in welcher es Irene gelingt, ihrem Mann klar zu machen, dass es nicht das Motiv der Verstocktheit ist, welches sie daran hindert, ihren Seitensprung zu gestehen. In einer kunstvoll arrangierten Nebenerzählung straft ihr Ehemann dabei seine kleine Tochter, die ihm ein kleines Vergehen zu verheimlichen versuchte. An diesem Beispiel macht Irene ihm jedoch klar, dass es gerade die große Liebe und Bewunderung ihrer Tochter ist, die sie daran hindert, dem Vater ihr Vergehen einzugestehen. Sie macht ihm klar, dass zur eigenen Verfehlung auch immer das persönliche Verhältnis zu jenem Menschen kommt, dem die Verfehlung gestanden werden soll. In dieser und der darauf folgenden Szene wird die Komplexität von Schuldgefühlen aufgezeigt und deutlich, dass ein einfaches Schwarz-Weiß-Denken die Motivation der Menschen nicht erklärt, die Verfehlungen begangen haben. Ganz abgesehen davon, dass es zu hinterfragen gilt, wer überhaupt das moralische Recht hat einen Akt als „Verfehlung“ zu titulieren. Oder – wie im Epilog noch aufgezeigt wird – die sogenannte „Verfehlung“ einer ständigen gesellschaftlichen Hinterfragung ausgesetzt sein sollte.

Was auf den ersten Blick nur die Geschichte einer Eheverfehlung ist, entwickelt sich beim Nach-Denken zu einem Thema, welches für alle Menschen eine universelle Bedeutung hat. Schuld oder Unschuld, Angst oder die Überwindung derselben durch die eigene persönliche Entscheidung, die Konsequenzen eines Outings auf sich zu nehmen, um wieder angstfrei die Zukunft bewältigen zu können – all diese Gefühle und ihre daraus resultierenden Handlungen sind es Wert, nicht nur nach einem Theaterabend hinterfragt zu werden.

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