Zeitgenössisches mit versteckten historischen Wurzeln

Das Odeon bot den idealen Rahmen für die Aufführung der Komposition „Construction in space“ für 4 Solistinnen, 4 Ensemblegruppen und Live-Elektronik von Olga Neuwirth. Die Dirigentin Sian Edwards leitete das wie immer beeindruckende Klangforum Wien, das diesmal in einer Aufstellung rund um das Publikum neue Klangerlebnisse ermöglichte.

Klangforum Wien im Odeon anlässlich von Wien Modern

Das Klangforum Wien unter Leitung von Sian Edwards bot ein Stück von Olga Neuwirth im Odeon anlässlich von Wien Modern ((c) Facebook Fanpage Wien Modern)

Ursprünglich als Filmmusik komponiert, modifizierte Neuwirth ihr Werk geringfügig und versah es mit einem neuen Titel, der auch eine ganze Werkserie von Naum Gabo bezeichnet. Ausgehend von Gabos Skulpturen, die in ihrer Entstehungszeit mit völlig neuen Materialen wie z.B. Plexiglas ausgestattet waren und oftmals das Element der Bewegung eingebaut hatten, erscheint das Werk bei Neuwirth als eines, das zuallererst den Raum akustisch neu definiert.

Dabei wechseln 2 ganz unterschiedliche Klangstrukturen beständig einander ab. Das Werk beginnt im Fortissimo und entwickelt einen deutlich hörbaren stampfenden und peitschenden 4/4 Rhythmus, der, so hat es den Anschein, von allen MusikerInnen gleichzeitig performt wird. Abgewechselt wird dieser furiose Einstieg schließlich von einer Art Schwebezustand, der vom Mischpult eingespielt wird, welches inmitten des Raumes – und somit auch inmitten des Publikums aufgestellt ist. 3 Tontechniker sind dort am Werk und erzeugen an ihren Reglern schon nach kurzer Zeit einen fast meditativen Klangraum, der in scharfem Kontrast zum Beginn des Stückes steht. Fast unmerklich schleicht sich jedoch wieder der hastende, energiegeladene Rhythmus ein, der anfangs zu hören war, um danach wieder von dem ruhig gegliederten Teil abgelöst zu werden. Was Neuwirth bei dieser Kompositionstechnik gelingt, ist, dass sie damit unseren Hörsinn – komplett hinters Licht führt. Denn es ist für das Publikum nur schwer, bis gar nicht zu erkennen, ob es gerade einer elektronischen Einspielung oder dem Liveact folgt – hätte es die Augen geschlossen. Allein die Bewegungen der Dirigentin sind ein untrügliches Zeichen für den Einsatz der Elektronik – dann nämlich hat sie nicht zu dirigieren, sondern nur den nächsten Einsatz abzuwarten und das tut sie bewegungslos. Der nächste Coup gelingt Neuwirth mit einer Wiederholung, die verblüffend zur Kenntnis genommen wird. In ihr wird deutlich, wie rasch unser Hören und unser Denken auf bereits einmal erfasste Klangeindrücke aber auch Geräuschszenarien reagiert, diese wiedererkennt und im Wiedererkennen auch neu bewertet. Zugleich aber drängt sich auch die Verbindung an historische Sonatensatzfolgen auf. Diese Form hätte man bis dahin nicht in Zusammenhang mit der dargebotenen Klangkulisse gebracht, was umso mehr überrascht. Ein langer Schlussteil, in welchem durch aufsteigende Tonreihen, die durch das ganze Ensemble laufen, gänzlich neue Klangfärbungen erzeugt werden, lässt das Stück beruhigend ausklingen.

Neuwirth schuf mit „Construction in space“ ein Werk, das Kopf und Emotion in sehr ausgewogener Weise anspricht und sicherlich nach mehrmaligem Hören noch weiterreichende Erkenntnisse verspricht. Sian Edwards führte bei der Wien Modern Aufführung nicht nur die MusikerInnen, sondern auch das Publikum gekonnt durch den Klangkosmos und beeindruckte mit ihrer fast schon beredten Performance, bei der man erkennen konnte, dass sie selbst tief in das Werk eingetaucht war.

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