Die lange Nacht der Museen in Hamburg 2007

Denn von Beginn an hatten wir die Qual der Wahl, nicht nur was das Ausstellungsangebot betraf, sondern auch das Begleitprogramm. Dieses war so abwechslungsreich, dass wir Mühe hatten, zwischen den zahlreichen Events und den Lockungen der Ausstellungen auszuwählen. Gleich um 18 Uhr starteten wir in der Kunsthalle mit dem „Schwarzen Quadrat – eine Hommage an Malewitsch“.

Hommage an Malewitsch

Hommage an Malewitsch II

Eine Schau, die viele Überraschungen enthielt und den abendlichen Museumsgang alleine schon rechtfertigte. Lesen Sie davon aber im Artikel „Das schwarze Quadrat – eine Hommage an Malewitsch“ mehr. Als wir dabei waren, das Gebäude zu verlassen, vernahmen wir singende Kinderstimmen, denen wir neugierig folgten. Die Darbietung, die wir daraufhin im Makartsaal der Hamburger Kunsthalleerlebten, war sehr berührend, weil unglaublich authentisch. „15 alte Koffer und ein Land“ war der Titel der musikalischen Revue des Kindermusiktheaters aus St. Petersburg, in Abstimmung auf die MalewitschausstellungUm es kurz zu halten: wir waren ergriffen und begeistert vom Auftritt der russischen Jugenttruppe. Mit minimalen Requisiten – alten Koffern, einer Laternenattrappe und zum Teil aufgeklebten Schnauzbärten schafften es die Youngsters, russische Stimmung der besonderen Art zu verbreiten. Nur von einem Keyboard begleitet, sangen sie von Emigration, Heimweh und einer neuen Liebe. Es war das erste Mal, dass ich eine Ausstellung mit einem so wohltuenden, klingenden Nachhall verlassen habe. Die musikalische Sinnesergänzung hatte das Gesehene noch eindrücklich verstärkt und, ich bin mir dessen ziemlich sicher,auch nachhaltig in meinem Gedächtnis verankert. Was den alten Lehrsatz, dass der am besten lernt, der mit allen Sinnen lernt, ausdrücklich bestätigt.

Daniel Richter in der Kunsthalle Hamburg

Daniel Richter in der Kunsthalle Hamburg

Noch voll der russischen Impressionen ging es über den Hof zwischen den Gebäuden der Kunsthalle zur nächsten Ausstellung. Die Galerie der Gegenwart lockte mit einer Präsentation von Daniel Richters Arbeiten. Oder vielmehr die Eintrittskarte, die für alle gebotenen Ausstellungen an diesem Abend Gültigkeit hat, hatte mich dazu veranlasst, diese Schau zu besuchen. Schließlich wollte ich meine Vorurteile über Richters Kunstschaffen loswerden. Ich habe schon viel über ihn gelesen und viele von seinen Bildern in Artikeln und im Netz gesehen und wollte nun wissen, ob ich mein negatives Urteil im Angesicht der Originale revidieren könnte. Um es auf den Punkt zu bringen und nicht um den heißen Brei herumreden zu müssen: ich habe nichts revidiert, ganz im Gegenteil. Daniel Richters Arbeiten sind zeitgeistig geschmäcklerisch und bedienen einerseits Heere von Kunstrezensenten, die sich – wie übrigens auch mit den Arbeiten von Neo Rauch – darin gefallen können, ihr erworbenes kunsthistorisches Wissen anhand der Beschreibung von zeitgenössischen Bildern und deren Inkonographie auf die Menschheit loszulassen. Andererseits kurbeln sie den derzeitigen Hype am Kunstmarkt mit Produkten an, die sich der betuchte Käufer und die betuchte Käuferin als Statussymbole aufhängen können oder in ein Depot verbringen, im guten Glauben, eine steigende Aktie erworben zu haben. Um mich nicht eines reaktionären Kunstgeschmackes anklagen zu lassen, wird in einem der nächsten Artikel das Phänomen Rauch und Richter gesondert und ausführlicher behandelt. Was mich mehr erstaunte als die Bilder selbst, war die große Anzahl von Menschen, die sich andächtig und teilweise sichtlich angestrengt der Herausforderung stellten, diese Kunst einzuordnen und zu bewerten. Tatsächlich war ich versucht, wie im Märchen von des Kaisers neue Kleider auszurufen, ob den niemand sähe, dass der Kaiser gar keine Kleider anhabe! Ich gebe aber zu, die Feigheit vor den unabsehbaren Folgen hat mich davor zurückgehalten.

Erwin Wurm - One Minute Sculpture

Erwin Wurm - One Minute Sculpture

Nach Malewitsch, musikalischer Revue und Daniel Rauch war ein Abendessen abseits des kulturellen Gebrodels angesagt, was sich als mehr als klug erwies. In knapp eineinhalb Stunden tankten wir unsere Energiereserven wieder auf, um uns danach umso intensiver ins Ausstellungsgetümmel zu stürzen. Erwin Wurm in den Deichtorhallen wurde von uns als nächster beehrt. Wurm – so gering die Assoziationen sein mögen, die sein Namen auslöst, so groß erweist sich jedoch im Gegensatz dazu seine Kunst – ist immer wieder ein Erlebnis für sich. An dieser Stelle folgt hier keine Rezension über die Schau; wenn Sie darüber mehr lesen möchten, empfehle ich den Blogeintrag „In den Deichtorhallen ist der Wurm drin!“ Vielmehr waren es wieder die Aktionen und Reaktionen der Ausstellungsbesucher selber, die Anlass zur Freude und Verwunderung gaben. Wurms vordergründiger, plakativer Witz und in weiterer Folge seine subtil nachgeschobenen Irritationen, so möchte ein ausgeglichenes Menschenwesen meinen, würden wohl Freude und Lachen auf die Gesichter der Besucher zaubern. So wie eben immer auf das eigene. Aber das Gegenteil ist bei den meisten Besuchern der Fall! Das Gros der Betrachter und Kunstkonsumentinnen hält Kunst eben für eine äußerst ernste Sache. Und da droht ein Lachen offenbar kulturblasphemische und somit unerwünschte Gefühle auszulösen und ist deshalb dringend zu vermeiden! Es scheint so, als würden die meisten Besucher sich, egal in welcher Ausstellung sie sich nun befinden, tunlichst kulturpolitisch erwünscht verhalten und der obersten, ungeschriebenen Ausstellungsregel folgen, die da lautet: Um dem Ernst der Ausstellung gerecht zu werden, kneifen Sie auf alle Fälle IhrenMund zusammen und legen Ihre Stirn in Falten! Das ergibt den allseits anerkannten Gesichtsausdruck des intensiv nachdenkenden Ausstellungsbesuchers, der sich essentielle Fragen nach Sinn und Interpretation des Kunstwerkes stellt. Und denken Sie immer daran, Kunst ist nicht lustig! Mit diesem ehernen Gesetz im Kopf folgen denn nur die ganz Vorwitzigen den „one-minute-sculpture“ – Anweisungen von Wurm wortgetreu. Was wiederum bedeutet, dass es allerhand zu sehen gibt, bleibt man etwas abseits vom Geschehen beobachtend stehen: wie zum Beispiel junge Damen, die sich auf unbequeme Holzbalken legen, honorige Herren, dieihren Kopf in Löcher von ausrangierten Waschmaschinen stecken und Pärchen, die sich, auf dem Bauch liegend, in einer Hundehütte mit zwei Ausgängen, in ihre verliebten Augen blicken. Zu deren Ehrenrettung sei gesagt, dass dem einen oder der anderen während dieser Aktionen schließlich doch noch ein Lächeln über die Lippen huschte; ja, ja, Vorsicht! Österreichische Kunst kann eben subversiv sein und direkt auf das Lachorgan wirken! Den Wenigsten ist dabei wahrscheinlich bewusst, dass es Wurm nicht um die Körpererfahrung geht, die im Zentrum der Besucheraktionen steht, sondern dass es ganz andere künstlerische Positionen sind, die er in seinen Zeitskulpturen ausdrücken möchte. Macht aber nichts, dachte ich mir bei diesem Anblick. Demokratische Kunst ist ja für alle da, und es schadet Wurms Arbeiten ja nicht, wenn sie falsch interpretiert werden. Also nur zu und immer lustig drauf losgeblödelt. Was bleibt, ist bei den Akteuren zumindest das Gefühl, einmal wieder richtig kindisch gewesen zu sein, und das ist ja wahrscheinlich schon viel, in ihrer Replik von mehreren besuchten Ausstellungen in einer Nacht. Es bedurfte schließlich eines Ruckes, sich von der Wurm-Show zu verabschieden. Begleitet vom Trommelwirbel des vor der Halle agierenden “Basler Top Secret Drum Corps“ ging es weiter zum nächsten Publikumsmagneten: Den Präsentationen „Visualleader 2007“ und „Was ist wichtig? Eine fotografische Recherche zu europäischen Werten“.Fotokunst also. Was gibt es davon zu berichten? Zwei Ausstellungen, die quantitativ so stark bestückt sind, dass das Erfassen bei einem Durchgang unmöglich wird. Eine Bilderflut, vor der man beinahe zurückschreckt. Erinnerungen an das fotografisch festgehaltene Fußballjahr 2006 mit seiner Weltmeisterschaft und beeindruckende Fotos von Pepa Hristova. „Fremde im eigenen Land“ heißt ihre Fotoserie, mit der sie Muslime in Bulgarien aufgenommen hat. Der Junge, der mit geschlossenen Augen im Eminem-T-Shirt in einem ärmlichen Wohnzimmer steht, oder das Mädchen in der bunten Tracht, die vor dem offenen Hausdurchgang abgelichtet ist, der zu einem alten Traktor führt, der vor dem Haus parkt. Das sind zwei Bilder, die sich einprägen, ob man will oder nicht. Die Fotografin entließ uns reichlich nachdenklich in die noch immer laue Nacht.

Es war kurz vor Eins, als wir nach einem kleinen Fußmarsch in der Kirche St. Jakob ankamen. Eine Stunde blieb uns hier noch, um einige Buxtehude Stücke zu hören, die auf der Orgel von verschiedenen Interpreten gespielt wurden. Ein wohl gewählter Ausklang. Rund zwei Dutzend Menschen hatten sich hier noch eingefunden und lauschten andächtig den Präludien, Canzones und Chören des barocken Komponisten. Die Musik ließ uns ausklinken aus der Überfülle des Gesehenen. Ließ uns wieder ganz zu uns kommen und leitete über in den Rest der Nacht.

Und den verbrachten wir, da erst am nächsten Morgen unser Zug nach Würzburg losfuhr, mangels besserer Orts- bzw. Lokalkenntnis, auf der Reeperbahn. Dass es auch dort ein zivilisiertes Café gibt, in denen sich Nachtschwärmer treffen, die entweder zu spät oder zu früh für etwaige Unternehmungen unterwegs sind, erwies sich als Glück. Zwei Espressi und ein Bitter Lemon erbrachten genügend Zeit umResumée zu ziehen und sich an jugendliche Zeiten zu erinnern, in denen durchwachte Nächte keine Herausforderung für uns darstellten. Was blieb uns nun rückblickend von der Langen Nacht der Museen in Hamburg?

Erstens das geniale, da aufputschende Gefühl, Kunst in einer Dichte konsumiert zu haben, wie noch nie zuvor.Zweitens der daraus sich ergebender Gesprächsstoff für viele Stunden und Abende. Diese sind auch notwendig, um das zu verarbeiten, was auf uns eingestürmt war. Und drittens unsere eingangs angedeutete neue Erfahrung, dass intensive Gefühle dieser Art süchtig machen. Jetzt wissen wir, warum die Langen Nächte der Museen so erfolgreich sind.

(c) Michaela Preiner

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