So schön, so lustig, so traurig

Im Brick-5 ist ein Theaterleckerbissen der besonderen Art zu sehen. Der Salon5 präsentiert dort eine szenische Lesung eines Textes von Erwin Riess. Schöner kann man in die Gefühlslage zweier ganz unterschiedlicher Personen nicht eintauchen!

Es gibt Theaterabende, die etwas Außergewöhnliches in sich tragen. Etwas, das einen schweben lässt, das Gefühl von Leichtigkeit vermittelt. Etwas, das von Poesie getragen wird, und die Fantasie anregt, sich vom Alltag zu erheben. Damit so etwas entstehen kann, braucht es einige wichtige Zutaten, aber kein großes Brimborium. Es braucht eine Geschichte, die berührt, Schauspielerinnen und Schauspieler, die mit ihrer Rolle verwachsen sind und eine Regie, die diese Leichtigkeit vermitteln kann. Wenn dann auch noch ein Bühnenbild hinzukommt, das die Schwerkraft der Objekte aufhebt, dann darf sich das Publikum tatsächlich an einem außergewöhnlichen Abend erfreuen.

Ein solcher wird im Salon5 mit der derzeitigen Produktion „Herr Grillparzer fasst sich ein Herz und fährt mit einem Donaudampfer ans Schwarze Meer“ angeboten. Und dieses Angebot sollte man nützen.

Hinter dem elendslangen Titel verbirgt sich ein poetisches Kleinod. Jérôme Junod hat die Textvorlage in Szene gesetzt. Horst Schily gibt darin den alternden Grillparzer, der sich mit einem Dampfschiff auf eine 3-monatige Reise begibt, Saskia Klar spielt die junge, knapp 17-jährige Csilla, seine Kabinenbetreuerin. Das Format der szenischen Lesungen, die mit einem Bühnenbild und Kostümen reichlich Atmosphäre eingehaucht bekommen, stammt von der Leiterin des Salon5 Anna Maria Krassnigg. Alle, die schon einmal eine Aufführung dieser Art besucht haben, kommen bei Neuproduktionen wieder. Denn diese Abende bieten genau das, was vielen noch so bemühten Literatursendungen oft abgeht: Abgesehen von einem intimen Theatererlebnis machen sie richtig Lust aufs Weiterlesen von Büchern des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin.

Die Inszenierung der Grillparzergeschichte erfolgt in einem Setting von Lydia Hofmann, wie immer unglaublich kreativ. Ein altes Holzbett, einige Biedermeiersessel und ein kleines Tischchen reichen schon, um sich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt zu fühlen. Dass die meisten Möbel auf Stricken montiert in der Luft baumeln, vermittelt jenes Gefühl, das man auf einer Schiffsreise hat. Das Schwanken des Schiffes auf den Wellen und der damit gefühlte instabile Seinszustand kann dadurch wunderbar nachvollzogen werden. Schily trägt eine Mischung von Zeitgenössischem, schwarze Jeans, ein weißes Gilet über einem Hemd mit aufgestelltem Kragen und eine große, grüne, stets verrutschte und inkorrekt gebundene Masche um den Hals. Klar über ihrem Hemd und ihrer Hose eine Jeans-Schürze. Alleine diese wunderbaren Andeutungen, die Historisches nachhallen lassen, aber nichts Altbackenes in sich tragen, machen viel von der Stimmung der Produktion aus. Abseits davon sitzt Junod, der auch ausgebildeter Pianist ist, an einem Flügel und spielt Eric Satie. Dessen „Gnossiennes“ bieten eine stimmige Untermalung, wenn es darum geht, den Abschied aus Wien, die langsame Reise auf dem Fluss und das Kennenlernen der beiden Menschen zu untermalen. „Je te veux“, ein leichter Walzer, verführt die von Stand und Bildung so Unterschiedlichen an einer Stelle zu einem kurzen Tänzchen.

Horst Schily zeigt einen meist grantelnden und fiebernden Grillparzer, der an einer Stelle mit einer beinahe schon Bernhard-gleichen Suada über die Zustände in Wien im Vormärz aufhorchen lässt. Das, was Riess hier seinem Protagonisten in den Mund legt, hört sich sehr, sehr zeitgeistig an. Herrlich, wie Schily im Fieberwahn der Stewardess, nachdem sie ihm hektisch mehrere Geschichten erzählte, um ihn wach zu halten, nur mit einer Handbewegung und den Worten „Aufschreiben und der Kathi geben!“ nicht nur seine Genesung ankündigt. Vielmehr ist dieser Ausruf der Anstoß dafür, dass sich Csilla von nun ab in den Kopf setzt, den Dichter zu überreden, ihn begleiten zu dürfen. Mit Kathi ist Grillparzers „ewige Braut“ Katharina Fröhlich gemeint, der im Stück von Riess für das Charakterverständnis des Autors keine unbedeutende Rolle zukommt. Ebenso erheiternd auch Schilys Turnübungen, um nicht einzurosten und die häufigen Bonmots wie „ich kränkel viel, hab aber eine Rossnatur“ oder „ich bin eine Instanz, was unglückliche Liebe angeht.“ Diese und viele andere geben dem Abend richtig Würze.

Saskia Klar, die erst in diesem Jahr ihr Studium am Max Reinhardt Seminar abgeschlossen hat, besticht in jeder einzelnen Minute. Die Vielfalt ihrer Ausdrucksmöglichkeiten scheint schier unbegrenzt. Sie spielt das derbe Mädel, das einen unanständigen Witz erzählt mit anschließendem Schenkelklopfen und Gejohle genauso beeindruckend wie die junge Frau, die enttäuscht den Ausflüchten Grillparzers zuhört. Ihr Mienenspiel ist in Sekundenbruchteilen wandelbar, sodass man keinen Augenblick das Gefühl hat, dass sie eine Rolle spielt. Sie IST das ungarische, junge Mädchen ohne Bildung, aber mit viel Intelligenz. Man möchte aufstehen und Schily, respektive Grillparzer wachrütteln, um ihr zu helfen. Der Text von Riess verleiht ihr ein unglaublich facettiertes Seelenleben, das es erst einmal so auf die Bühne zu bringen gilt. Respekt!!!

Der intelligente Dialog, der Altersweisheiten mit Bauernschläue genauso vereint wie literarische Höhenflüge mit Mutterwitz, kurz die Sprachgewalt von Riess ist atemberaubend. Die „Generalflucht“, auf der sich Grillparzer befindet, eine Flucht speziell vor dem Österreichischen, ja Wienerischen an sich, lässt sich letztlich mit der Flucht des Landmädels aus ihrem kleinen Heimatort nicht vergleichen. Steht der eine fast am Ende seines Lebens, hat die andere dieses noch vor sich. Und dennoch ist es kaum zu glauben, wie sehr sich die beiden auf Augenhöhe begegnen können.

Das Ende der Geschichte sei hier nicht verraten, nur so viel: Wer sich diese Aufführung entgehen lässt, ist selbst schuld!

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Weitere Infos auf der Website des Salon5

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