Sein oder Nichtsein – das ist hier nicht die Frage

Sein oder Nichtsein – das ist hier nicht die Frage

Florian Lebek und sein Hamletprojekt im „FensterNachMorgen“, der Nachwuchsschiene des Salon5 – im Brick5

Eine ausgesucht schöne Stimme vom Band rezitiert aus der Offenbarung des Johannes. Erzählt vom Untergang der Welt mit all seinen Gräueln und Monstern, die einst den Planeten beherrschen werden. Im Hintergrund dazu spinnt ein zarter Choral seine sakralen Fäden. Im weißen, metallenen Gitterbett liegt ein junger Mann. Graue Jogginghose, ein Feinrippleibchen, darüber ein offenes, elegantes Smokinghemd – nackte Füße. Nichts deutet darauf hin, dass dieser Mann Hamlet, der Prinz von Dänemark ist. Oder seine späte Reinkarnation, oder eine imaginäre Gehirnfestsetzung, die Besitz ergriffen hat von einem, der sich nun in einer prekären Situation befindet. Im Irrenhaus. „Der Rest ist Schweigen“ – mit diesen Worten, den letzten aus Shakespeares Drama endet die Passage aus der Apokalypse, die Johannes so wort- und bildreich beschrieben hat. Und zugleich beginnt damit ein Parforceritt durch die Gedanken Hamlets alias Florian Lebek – jenem Autoren-Schauspieler, der waghalsig seine eigene Hamletidee auf die Bühne brachte.

Florian Lebek ist Hamlet ist Florian Lebek

„Hamlet habe ich schon seit Jahren im Kopf. Aber die Rolle ist mir noch nie angetragen worden. So habe ich beschlossen, selbst meinen Hamlet aufzuführen“ – O-Ton Lebek. Und was das für ein Hamlet geworden ist! Einer, der keines Widerparts bedarf, um den eigenen Wahn anschaulich zu machen. Einer, der sich mit seinem Embonpoint an kein Hamlet´sches Schönheitsideal anschmiegt. Ein Bein, das steif ist, ein hellwirrer Geist, eine energetische Kraftmaschine und ein Unbeugsamer, der nicht auf den Tod einer anderen Hand angewiesen ist – Lebeks Hamlet ist wahrlich nicht von gestern. Er steht direkt vor uns, beschimpft die eine oder den anderen aus dem Publikum schonungslos, jammert über seine eigene Schwäche und redet sich in Rage, um sein eigenes Ende schließlich selbst herbeiführen zu können. Hamlet räsoniert nicht über Sein oder Nicht-Sein. Nein, nein, das wäre zu einfach, zu platt, zu abgedroschen. Sondern er stellt fest: Ich darf nicht sein! – womit er sein Ende vorwegnimmt. Eingesperrt in seine eigenen, ihn permanent plagenden Gedanken lässt er das Publikum wissen, dass er nicht weiß, „was schiefgelaufen ist“, aber dass das Gefühl weg sei. Weg, das hätte er wohl gerne, weg ist das Gefühl aber nicht. Das zeigen seine emotionalen Ausbrüche, in denen er gegen eine brüllende Musik noch brüllender ankämpft. Ganz im Gegenteil: Seine emotionalen Verstrickungen, die in ihm wüten, werden deutlich, wenn er in einem umwerfend witzigen und zugleich beklemmend-atemberaubenden Daumenkino den Tod seines Vaters vorführt. Weg ist das Gefühl nicht, denn die Angst, die ihm ins Gesicht geschrieben steht, als er darum kämpft, seines Vaters Geist nicht als des Teufels Verführung auszulegen, spricht eine andere Sprache als eine, die keine Gefühle mehr kennt. Die Stimme des ermordeten Königs dringt in dieser Inszenierung, die sich Lebek ebenfalls selbst gönnte, aus einem Kurzwellenempfänger an sein Ohr, in sein Herz und in sein Hirn. Ob er es hören will, oder nicht. Amüsant humorig und spooky zugleich werden seine Wortfetzen wie Puzzleteile in den Raum geworfen und müssen von Hamlet zusammengefügt werden, so gut es geht. „Hamlet Omega 44801 Ende Aus“ – mit dieser Ansage meint man die letzten Worte aus dem Jenseits vernommen zu haben. Der Imperativ „Schwöre!“ Schwöre!“, welcher der Endformel aller Funker noch nachgesetzt wird, ist dann aber alles andere als komisch und eine Aufgabe, der Hamlet nicht gewachsen ist. Was soll er noch alles!

Er ist eingekerkert in ein weißes Zimmer, dessen flirrende Sterne an todbringenden Kabeln hängen und dessen weißer Ikea-Bettüberwurf ihm zugleich als Decke, aber auch als Königsmantel dient. Er ist sich bewusst, dass sowohl sein Handeln als auch sein Nicht-Handeln der Welt nichts Gutes hinterlässt. Ophelias Tod schleicht sich anfänglich durch einzelne Tropfgeräusche in seinen kleinen Raum. Als die Wassermassen akustisch anschwellen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sein Bett als „rettendes Ufer“ zu besteigen. Wohl wissend, dass es für ihn keine Rettung gibt, alles Rettende nur einen Aufschub bedeutet. Eine Verlängerung seines Lebensdramas, dem er nur durch den Tod entkommen kann.

Hofmann, Feik und Lebek – ein geniales Bühnentrio infernal

Lydia Hofmann begleitet in ihrer tiefschwarzen, seidigen Robe das Publikum in den Saal und entlässt es am Ende von dort auch wieder. Ihr roter Haarschopf und ihre Lebensfreude stehen Hamlets ungesundem Erscheinungsbild und seinen Lamenti diametral gegenüber. Die Bühnen- und Kostümbildnerin gibt sich gerne die Ehre, in den von ihr geschaffenen Raumgebilden jeweils selbst kurz aufzutreten. Sie verantwortet Hamlets eiskaltes Gefängnis und macht seine seelischen Verstrickungen mit ihrem ästhetischen Kabelvorhang anschaulich. Daniel Feik wiederum steuert jenen Sound bei, der das Hamletprojekt neben dem Text so unverwechselbar macht. Er lässt Choräle und Diskomusik gleichermaßen erklingen. Er verleiht Hamlets Vater eine Geisterstimme, wie sie sich für ein grünes Marsmännchens geziemt, aber er scheut auch jene Stille nicht, die Hamlets Tod durch den Kabelstrang begleitet.

Selten, ganz selten, ja eigentlich handverlesen sind jene, die nicht nur die Schauspielkunst beherrschen als wäre sie keine Kunst, sondern eine ihnen auf den Leib geschriebene Lebensselbstverständlichkeit. Aber noch seltener anzutreffen sind jene, welche die Texte, die sie dem Publikum darbieten, auch noch selbst zusammenstellen, umdeuten und zu einem neuen Ganzen formen, das in seiner Kreativität Bestand haben kann. Florian Lebek ist so einer. Wem das zu dick aufgetragen ist, der oder die hat noch an drei weiteren Abenden Zeit, sich selbst ein Bild zu machen.

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Hamlet ist unschuldig

Hamlet ist unschuldig

Die Wiener Festwochen brachten mit dem Gerichtsstück „Please, continue (Hamlet)“ im Odeon ein gar nicht mehr so neues Format zur Aufführung. Wer ein Gerichtstheaterstück erwartete, wie man es aus dem Nachmittagsprogramm deutscher Fernsehsender kennt, wurde nicht enttäuscht. Der einzige Unterschied zum Fernsehformat lag in der Dauer der Aufführung, die mit 3 Stunden die Fernsehprozesse bei Weitem übertraf. Hingegen mussten all jene, die eine theatralische Hamletinszenierung erhofften, ihre Erwartungshaltung sehr schnell korrigieren. Ganz wie bei den Fernsehsendungen waren alle Beteiligten auch Personen, welche die Berufe, die sie auf der Bühne verkörperten, tatsächlich auch im realen Leben ausüben. Nur der Beschuldigte selbst, Hamlet, sowie Ophelia, seine immer noch verehrte Ex-Freundin und Gertrude, die Mutter Hamlets, wurden von Schauspielern und Schauspielerinnen dargestellt. Das Konzept verlangt, dass nicht nur die Geschworenen, die aus dem Publikum rekrutiert werden, sondern auch alle anderen Prozessbeteiligten – bis auf die drei genannten Schauspielrollen – täglich neu besetzt werden.

Please Continue (Hamlet) Premiere 7. Juni 2014, Foto: Nurith Wagner Strauss

Please, Continue (Hamlet) Premiere 7. Juni 2014, Foto: Nurith Wagner Strauss

Der Staatsanwalt, Mag. Matthias Purkhart, legte Hamlet den Mord an Polonius zur Last und ermöglichte damit den Mordprozess. Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten von Hamlets Mutter, die nur zwei Monate nach dem Tod seines Vaters, dessen Bruder ehelichte, soll Hamlet den in einem Billyregal, welches durch einen Vorhang verhängt war, versteckten Polonius, mit einem gezielten Stich ins Herz getötet haben. In der Verhandlung behaupteten sowohl Hamlet als auch seine Mutter – von Susi Stach herausragend dargestellt – dass dies ein Unfall gewesen sei. Hamlet hätte gedacht, hinter dem Vorhang befände sich eine Ratte, die er mit einem gezielten Stich töten wollte. Die Idee zum Theaterstück hatten Yan Duyvendalk und Roger Bernat, als sie die Protokolle der Guantanamo-Häftlinge lasen. Ihnen erschien es als „obszön“, so Yan Duyvendalk beim Publikumsgespräch, das Geschen 1:1 auf die Bühne zu bringen. Auch der Fall eines jungen Mannes aus Marseille war zwar eine gute Vorlage, allerdings wollten sie den Prozessverlauf nicht wahrheitsgetreu auf der Bühne umsetzen. Ihr Ziel war es vielmehr, aufzuzeigen, dass die Rechtsprechung in einen bestimmten Rechtsrahmen eingebunden, aber vor allem auch höchst subjektiv ist und damit keine exakte Wissenschaft darstellt. Diese Idee ist das eigentlich Spannende an diesem Projekt und hätte sicherlich das Potenzial, eine Diskussion über die unterschiedlichen Rechtssysteme, deren Ideen und Implikationen, hervorzurufen. Mehr als deutlich wurde das auch beim anschließenden Publikumsgespräch. Denn der Richter dieses Abends, Mag. Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts für Strafsachen in Wien, sprach seine Bedenken gegenüber einem Geschworenengericht sehr deutlich aus.

Hamlet wurde an diesem Abend, dem zweiten Aufführungstag, freigesprochen, am Abend vorher war er wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingten Haftstraße von 10 Monaten verurteilt worden. An diesen beiden sehr unterschiedlichen Urteilen ist schon erkennbar, wie subjektiv diese vor allem von Geschworenen getroffen werden. Vieles hängt von der Strategie der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung ab. Thiemo Strutzenberger, der Hamlet in der von ihm gewohnten erstklassigen schauspielerischen Leistung darstellte, machte im Publikumsgespräch auch deutlich, dass sein Auftreten als Angeklagter natürlich auch Einfluss auf die Geschworenen nimmt. Wenn er seine Geschichte der Ratten überzeugend präsentiere und keinen Zweifel aufkommen lasse, dass diese Geschichte wahr sein könne, dann sei alleine das schon eine gute Voraussetzung für einen Freispruch. Diese unterschiedlichen – letztlich psychologischen Faktoren – wären für das Publikum noch viel deutlicher erkennbar, wenn es mehrere Vorstellungen sehen könnte. Erst dann könnte man selbst erleben, wie sich die eigene Meinung und Sichtweise und die aller Prozessbeteiligten je nach Zusammensetzung verändern kann. Wenn man nicht ein ausgesprochen leidenschaftlicher Prozessbeobachtertyp ist, kann an diesem Abend leicht Langeweile aufkommen. Wohnt man doch einer eher faden Gerichtsverhandlung bei, die ihren vorgeschriebenen Gang geht. Man lauscht den Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung, man folgt den Befragungen von Zeugen und Zeuginnen und man erlebt die Präsentation von Sachverständigengutachen.

Das eigentlich Spannende des Abends war überraschenderweise das Publikumsgespräch. Zwar waren es aufgrund des vorgegebenen kurzen Zeitfensters von 30 Minuten nur wenige Fragen, die gestellt und beantwortet werden konnten, aber es wurde dabei auch der Standpunkt des Richters von ihm persönlich noch kundgetan. Dieser machte klar, dass er persönlich einen Schuldspruch gefällt hätte, da er die Schuld Hamlets für erwiesen ansah. Die genaue Erläuterung, woran er erkannt hatte, dass der Angeklagte tatsächlich Polonius töten wollte, blieb aber leider aus.

Die konstruierte Rattengeschichte überzeugte zwar wenig, aber auch die Argumentation des Staatsanwaltes, der kein Motiv für den Mord vorweisen konnte, blieb bis zum Schluss dürftig. Warum hätte Hamlet Polonius töten sollen, den Vater seiner immer noch geliebten Ex-Freundin, den er zwar für dumm, aber immerhin für nett hielt? Dieses fehlende Motiv nutzte die Rechtsanwältin Mag.a Kathrin Ehrbar in ihrem Plädoyer, um den Freispruch ihres Mandanten zu erreichen. Sie riskierte viel, gewann mit dieser Strategie jedoch alles. Interessant dabei war, dass die Anwältin im Publikumsgespräch bekannte, dass sie sich die Forderung nach einem Freispruch in einem realen Prozess sehr gut überlegt hätte. Wenn sich, wie es aber an diesem Abend der Fall war, ein Staatsanwalt nicht einmal die Mühe macht, ein Motiv zu konstruieren, dann muss er damit rechnen, dass dies eine Rechtsanwältin, gerade in einem Geschworenenprozess, als Steilvorlage empfinden muss. An diesem Punkt wird deutlich, wie sehr hier auch das Bewusstsein „nur Theater zu spielen“ die Entscheidungen der Akteurinnen und Akteure mitbestimmte.

Erschreckend ist, dass jedoch allzu oft auch bei realen Strafprozessen das Wahrscheinliche als das Wahre und das Unwahrscheinliche als das Falsche angenommen wird. Weil eine Argumentation so schön logisch klingt, muss sie auch logisch sein, vor allem dann, wenn sich darin die Meinung oder Auffassung der jeweiligen Entscheidungsträger widerspiegelt. Der Rechtsgrundsatz „in dubio pro reo“ wird zu oft leichtfertig übergangen, weil das Logische und Erwartbare keine Zweifel kennt. Die Bevölkerung überfordert die Justiz allerdings auch häufig, indem sie Gerechtigkeit erwartet, wo es doch nur um die Rechtsprechung geht.

Spannend wäre es gewesen, wie die Beteiligten reagiert hätten, wenn das Gesetz, auf dessen Grundlage sie jemanden verurteilen sollen, ein Gesetz gewesen wäre, das mit den Grundsätzen der Menschenrechte oder der demokratischen Grundordnung nicht mehr vereinbar ist. Nehmen wir zum Beispiel die Nürnberger Rassengesetze oder in jüngster Zeit die Gesetze zur Behandlung Homosexueller in Russland. Wäre eine Verurteilung von Pussy Riot unter Anwendung dieser Gesetzte in Österreich möglich gewesen? Ein solcher Fall hätte sicher mehr emotionalisiert. Aber tatsächlich muss man keine anderen Rechtssysteme und Gesetze bemühen, um Gerichtsverhandlungen zu finden, die auf manipulierten und nicht hinreichend objektiv geprüften Fakten basierten. Wie konnte ein Tierschützerprozess, wie jener in Wiener Neustadt, überhaupt geführt werden und warum ist es trotzdem ein gutes Zeichen für einen Rechtsstaat, dass die Ersturteile infrage gestellt werden konnten und wurden und dieser Prozess neu geführt werden musste? Das sind Fragen, die ein solches Theater weitaus mehr gerechtfertigt und auch eine Bereicherung für das Publikum dargestellt hätten als die an den Haaren herbeigezogene Hamletneuinterpretation. So blieb die grundsätzlich interessante Idee in der Ausführung weit hinter den darin enthaltenen Potenzialen zurück.

Sicher, wie schon eingangs erwähnt, kamen all jene auf ihre Kosten, die von Gerichtssendungsformaten im Fernsehen unterhalten werden. An diesem Abend wurde ihnen eine solche sogar live in Theaterform präsentiert. Wer jedoch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Rechtsstaat erwartet hatte, der musste sehr viel Denkarbeit und Vorwissen mitbringen, damit es überhaupt möglich wurde, die fragile Struktur eines Rechtssystems und dessen Gefahren zu erkennen. Eines wurde auf alle Fälle allen klar: Dass bei Geschworenenprozessen die alte Weisheit „vor dem Richter und auf hoher See sind wir allein in Gottes Hand“, auch heute noch zutrifft. Deswegen ist das Ressentiment, dass der Richter gegenüber Geschworenenverfahren äußerte, sehr gut nachvollziehbar. Wie lange wird es dauern, bis diese Art der Rechtsprechung abgeschafft wird? Denn gerade bei einem Geschworenenprozess besteht immer die Gefahr, dass das sogenannte „gesunde Rechtsempfinden“, das nicht mit dem rechtlichen Rahmen identisch sein muss, das Urteil letztlich sehr stark beeinflusst. Als Beobachter kann man jedoch hinzufügen, dass Berufsrichterinnen und Berufsrichter im Gegensatz dazu gelernt haben sollen, ihren Emotionen nicht zu folgen, sondern die Anforderungen des Gesetzgebers und der Strafprozessordnung strikt einzuhalten. Dass auch Richterinnen und Richter nur Menschen sind, und schon deshalb die Urteile immer auch eine subjektive, persönliche Note enthalten, lässt sich leider mit keiner bekannten Methode ausschließen. Umso mehr sollte ihnen jedoch ihre Verantwortung bei jedem richterlichen Spruch bewusst sein und ihr Bemühen um Objektivität an vorderster Stelle stehen.

Das große Manko des Abends ist, dass, wie bereits erwähnt, das Publikum nur einer Gerichtsverhandlung beiwohnen kann. Das Verlesen der zuvor gesprochenen Urteile kann die persönlichen Eindrücke nicht ersetzen, die nur aus der direkten Verfolgung eines Prozesses gewonnen werden. An dieser Stelle wären jene Mittel gefragt, die gutes Theater für gewöhnlich bereithält: Eine intelligente Regie, mit der es möglich wird, die unterschiedlichen subjektiven Entscheidungen mehrerer Prozessverläufe an einem Abend auf der Bühne sichtbar zu machen.

Sollen wir jetzt Menschsein spielen?

Sollen wir jetzt Menschsein spielen?

Mitte März gastierte eine Koproduktion der „Théâtres de la ville des Luxembourg“ und dem Salon5, der damit wieder ein kräftiges Lebenszeichen von sich gibt, auf Einladung des TAG in der Gumpendorfer Straße. Unter dem Titel „Wär ich doch früher jung gewesen“ erlebte das Wiener Publikum eine einfühlsame und geistreiche Hommage an den dänischen Schriftsteller Hans Christian Andersen.

04 Waerichdochfrueherjunggewesen c Christophe Olinger

Wäre ich doch früher jung gewesen - Foto: (c) Christophe Olinger

Es gibt viele Rezepte, um gutes Theater zu machen, aber auch wenn man diese befolgt, ist das Ergebnis nicht immer exzellent. Manches Mal ist es das Ensemble, das Schwächen zeigt, manches Mal die Inszenierung selbst, manches Mal das Licht, das einfallslos gehandhabt wird und manches Mal eine zu schräge oder unauffällige Musik. Kurzum – die vielen Bausteine, die einen guten Abend ausmachen und sich gegenseitig bedingen, sind auch besonders leicht störanfällig. Abende, die Lob rundum verdienen, sind schon alleine deshalb nicht besonders häufig. Umso erstaunlicher ist es, wenn man in ein und demselben Haus hintereinander gleich 2 Inszenierungen erlebt, die rundum geglückt sind – auch wenn die hier besprochene keine eigene Produktion ist.

Im TAG – das vor Kurzem erst mit einer herausragenden Hamlet-Neuinterpretation mit großer Besetzung brillierte – konnte man nun einen intimen, reizvollen und bezaubernden Abend erleben. Die Rolle des dänischen Schriftstellers verkörperte Luc Feit, am Cello begleitet von André Mergenthaler, der dafür sorgte, das Publikum in ganz unterschiedliche Klanglandschaften eintauchen zu lassen. Eines vorweg – die beiden Protagonisten sind ein harmonisches, sich gegenseitig nicht nur respektierendes, sondern exzellent ergänzendes Paar. Mergenthaler übernimmt sogar – wenn er alleine auf der Bühne ist – das theatralische Geschehen, indem er die Musik durch seine eigene Mimik noch unterstützt und ausschmückt. Luc Feit besticht rundum. Es hat den Anschein, als ob es kein schauspielerisches Register gäbe, das er nicht imstande ist zu ziehen. Ein Komödiant vom Scheitel bis zur Sohle, zeigte er in diesem Stück, dass jedes noch so kleine Textfragment dazu geeignet ist, sich zu Großem aufzuschwingen, wenn dies von einem Könner der Schauspielkunst in die Hand genommen wird.

Der Abend besteht aus einer Aneinanderreihung von Andersen-Gedichten und Märchen – bekannten und weniger bekannten, aber auch kleinen Literaturfitzelchen wie jenem, in welchem Feit eine alte, wie es heißt „sehr geizige“ Frau mimt, die jede Nacht lautes Katzenmiauen imitiert, um sich als Tierbesitzerin zu präsentieren. Im hinteren, linken Bühneneck von einem scharfen Lichtkegel angestrahlt, miaut er mit großer Grimasse so herzzerreißend und komisch zugleich, dass Andersens skurrile Idee, die Motivation der verwirrten Dame auf deren Geiz zurückzuführen, in diesem kurzen Augenblick so verdichtet wird, dass es keine Steigerung der Anschaulichkeit mehr gibt.

Die Regie von Johannes Zametzer sprüht nur so von kleinen, witzigen Einfällen, die sich auch in der speziellen Inszenierung der Requisiten zeigt. Ob es ein ganzes Heer von kleinen Blechfröschen ist, die munter zu springen beginnen, ein mit Trockeneis auf die Bühne gerollter Aluminium-Reisekoffer, der dabei kurzfristig zum Star avancieren darf, oder ein mit Helium gefüllter, großer Ballon, an dem ein leerer Kleiderhaken hängt, gedacht als Aufbewahrungsort für des Kaisers neue Kleider – immer ist es ein gewisses Augenzwinkern, welches die Dinge und ihren Einsatz auf der Bühne begleitet und dadurch das Geschehen so sympathisch unterstützt. Erreicht wird dadurch ein besonderer Zauber, der den ganzen Abend über anhält. Dabei darf man nicht nur tief in die kreative Gedankenwelt von Hans Christian Andersen eintauchen, sondern auch noch mitfühlen, wie er selbst von Zahnschmerzen und Depressionen geplagt wird. Mit einem schauspielerischen Parforceritt der Sonderklasse klang der Abend aus. Dabei schlüpfte Luc Feit in die Rolle eines Sparschweines und einer Puppe, zweier Sofakissen, einer Uhr, einer Reitgerte und eines Schaukelpferdes und entließ die Zuseherinnen und Zuseher nach diesem Bravourakt nicht nur bester Laune, sondern auch ein ganz kleines bisschen wehmütig, denn es dürfte wohl niemanden gegeben haben, bei dem sich keine persönlichen Kindheitserinnerungen eingestellt hatten. Kein Wunder, dass dieser Schauspieler nicht nur auf der Bühne, sondern vor allem auch in vielen Kino- und Fernsehfilmen bisher reüssierte.

Der einzige Wermutstropfen, der das Gastspiel in Wien begleitete war, dass leider nur zwei Vorstellungen am Programm standen. Zu wenig, um vielen Menschen die Möglichkeit dieses zauberhaften Theatererlebnisses zu genießen.

Allen, die Lust bekommen haben auch wieder einmal in die Welt der Märchen einzutauchen, sei der 2. Teil der „Grimm-Andersen-Connection“ empfohlen.  Vom 13.-15.4. findet im Salon5 im Brick 5 „Grimm leuchtet“  statt, in der unbekanntere, aber nichts desto trotz bildgewaltige und manches Mal auch bizarre Märchen der Gebrüder zum Leben erwachen werden.Mitte März gastierte eine Produktion des „Théâtres de la ville des Luxembourg“ im TAG in der Gumpendorfer Straße. Unter dem Titel „Wär ich doch früher jung gewesen“ erlebte das Wiener Publikum eine einfühlsame und geistreiche Hommage an den dänischen Schriftsteller Hans Christian Andersen.

04 Waerichdochfrueherjunggewesen c Christophe Olinger

Wäre ich doch früher jung gewesen - Foto: (c) Christophe Olinger

Es gibt viele Rezepte, um gutes Theater zu machen, aber auch wenn man diese befolgt, ist das Ergebnis nicht immer exzellent. Manches Mal ist es das Ensemble, das Schwächen zeigt, manches Mal die Inszenierung selbst, manches Mal das Licht, das einfallslos gehandhabt wird und manches Mal eine zu schräge oder unauffällige Musik. Kurzum – die vielen Bausteine, die einen guten Abend ausmachen und sich gegenseitig bedingen, sind auch besonders leicht störanfällig. Abende, die Lob rundum verdienen, sind schon alleine deshalb nicht besonders häufig. Umso erstaunlicher ist es, wenn man in ein und demselben Haus hintereinander gleich 2 Inszenierungen erlebt, die rundum geglückt sind.

Im TAG – das vor Kurzem erst mit einer herausragenden Hamlet-Neuinterpretation mit großer Besetzung brillierte – konnte man nun einen intimen, reizvollen und bezaubernden Abend erleben. Die Rolle des dänischen Schriftstellers verkörperte Luc Feit, am Cello begleitet von André Mergenthaler, der dafür sorgte, das Publikum in ganz unterschiedliche Klanglandschaften eintauchen zu lassen. Eines vorweg – die beiden Protagonisten sind ein harmonisches, sich gegenseitig nicht nur respektierendes, sondern exzellent ergänzendes Paar. Mergenthaler übernimmt sogar – wenn er alleine auf der Bühne ist – das theatralische Geschehen, indem er die Musik durch seine eigene Mimik noch unterstützt und ausschmückt. Luc Feit besticht rundum. Es hat den Anschein, als ob es kein schauspielerisches Register gäbe, das er nicht imstande ist zu ziehen. Ein Komödiant vom Scheitel bis zur Sohle, zeigte er in diesem Stück, dass jedes noch so kleine Textfragment dazu geeignet ist, sich zu Großem aufzuschwingen, wenn dies von einem Könner der Schauspielkunst in die Hand genommen wird.

Der Abend besteht aus einer Aneinanderreihung von Andersen-Gedichten und Märchen – bekannten und weniger bekannten, aber auch kleinen Literaturfitzelchen wie jenem, in welchem Feit eine alte, wie es heißt „sehr geizige“ Frau mimt, die jede Nacht lautes Katzenmiauen imitiert, um sich als Tierbesitzerin zu präsentieren. Im hinteren, linken Bühneneck von einem scharfen Lichtkegel angestrahlt, miaut er mit großer Grimasse so herzzerreißend und komisch zugleich, dass Andersens skurrile Idee, die Motivation der verwirrten Dame auf deren Geiz zurückzuführen, in diesem kurzen Augenblick so verdichtet wird, dass es keine Steigerung der Anschaulichkeit mehr gibt.

Die Regie von Johannes Zametzer sprüht nur so von kleinen, witzigen Einfällen, die sich auch in der speziellen Inszenierung der Requisiten zeigt. Ob es ein ganzes Heer von kleinen Blechfröschen ist, die munter zu springen beginnen, ein mit Trockeneis auf die Bühne gerollter Aluminium-Reisekoffer, der dabei kurzfristig zum Star avancieren darf, oder ein mit Helium gefüllter, großer Ballon, an dem ein leerer Kleiderhaken hängt, gedacht als Aufbewahrungsort für des Kaisers neue Kleider – immer ist es ein gewisses Augenzwinkern, welches die Dinge und ihren Einsatz auf der Bühne begleitet und dadurch das Geschehen so sympathisch unterstützt. Erreicht wird dadurch ein besonderer Zauber, der den ganzen Abend über anhält. Dabei darf man nicht nur tief in die kreative Gedankenwelt von Hans Christian Andersen eintauchen, sondern auch noch mitfühlen, wie er selbst von Zahnschmerzen und Depressionen geplagt wird. Mit einem schauspielerischen Parforceritt der Sonderklasse klang der Abend aus. Dabei schlüpfte Luc Feit in die Rolle eines Sparschweines und einer Puppe, zweier Sofakissen, einer Uhr, einer Reitgerte und eines Schaukelpferdes und entließ die Zuseherinnen und Zuseher nach diesem Bravourakt nicht nur bester Laune, sondern auch ein ganz kleines bisschen wehmütig, denn es dürfte wohl niemanden gegeben haben, bei dem sich keine persönlichen Kindheitserinnerungen eingestellt hatten. Kein Wunder, dass dieser Schauspieler nicht nur auf der Bühne, sondern vor allem auch in vielen Kino- und Fernsehfilmen bisher reüssierte.

Der einzige Wermutstropfen, der das Gastspiel in Wien begleitete war, dass leider nur zwei Vorstellungen am Programm standen. Zu wenig, um vielen Menschen die Möglichkeit dieses zauberhaften Theatererlebnisses zu genießen.

Ein Königreich für einen guten Pressesprecher

Ein Königreich für einen guten Pressesprecher

Gernot Plass` Hamlet-Neuinszenierung am TAG

Hamlet sein c Anna Stoecher 4730

Hamlet sein - Foto: © Anna Stoecher

Die Neuinszenierung von Hamlet im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) hat es in sich. Nicht nur, dass Shakespeare zur großen Überraschung auch mit der neuen Sprache von Gernot Plass Shakespeare bleibt. Als ob darin nicht ohnehin schon Stoff genug zum Nachdenken vorhanden sei, setzt Plass mit weiteren Bedeutungsebenen dem Stück wahrlich seine eigene Krone auf – mit vielen, vielen darin funkelnden Edelsteinen. Mit dem Seziermesser scheint er über den Urtext gegangen zu sein, wobei ihm das Kunststück gelungen ist, den Duktus des Gottvaters des Dramas und der Komödie trotz neuem Sprachgewand 100prozentig getroffen zu haben. Und so jagt nicht nur ein Bonmot, eine blitzgescheite Idee, ein Spaß und eine tiefe Wahrheit die andere. Schlag auf Schlag, so dass man sicher sein kann erst bei einem zweiten oder gar dritten Theaterbesuch all seine geistreichen Finessen voll erfassen zu können, reichert der Autor und auch für die Inszenierung Verantwortliche das Geschehen mit zeitgeistigen Ideen an, ohne jedoch dabei die Grundkonstruktion des Dramas je aus dem Auge zu verlieren. Auch das Bühnenbild und die Kostüme stammen aus derselben Denke und bilden somit ein rundes Ganzes, das mit zum Erfolg der Inszenierung beiträgt. Schwarz und Weiß, Grau und Rot bestimmen sowohl die räumliche Determination als auch die Kleidung und lassen Raum genug, jede Szenerie durch unterschiedliche Ausleuchtung selbst neu zu interpretieren.

Der Autor lässt seinen Hamlet als Student der Philosophie auftreten. Ausgerechnet in Freiburg steht seine Alma Mater, weswegen er wohl sein Denken auf Husserl und Heidegger ausrichtet. Darin übt er sich auch kräftig zu Hause, wobei er zwangsläufig damit seine Familie und Freunde intellektuell ins Abseits stellt. Da bedarf es nur mehr des Griffes zu einem Buch und eine kleine exaltierte Körperpose, schon glauben alle, er sei dem Wahnsinn verfallen. Wenn sich in seinen Gedankenströmen das Licht lichtet erfreut sich jeder gebildete Mensch an der Verballhornung von Heideggers Nichts, das sich nichtet. Doch obwohl er wie nebenbei auch Nietzsche und Sartre aus dem Ärmel beutelt und offenbar auch profunde Kenntnisse des griechischen Dramas aufweist, kann er sich dem Schicksal, das auf alle wie ein Tsunami zurollt, nicht entziehen. Bildung und Intelligenz schaden nicht – aber sie helfen ihm auch nicht, das finale Gemetzel hintanzuhalten. So verwundert es schließlich nicht, dass ihm sein früher Tod selbst allzu früh und ohne Erlösung kommt. Mit dem Ausruf „Ich war so kurz davor das alles zu kapieren“ verweist er auf die Hoffnung eines Erkenntniszuwachses, den er gerne länger ausgekostet hätte. Als ewig Denkender und ewig Suchender beherrscht ihn auch noch in der letzen Minute sein Wissensdrang stärker als Gefühle zu seinen Mitsterbenden. In existenzialistisches Schwarz gekleidet, blass im Gesicht, mimt Gottfried Neuner glaubwürdig seinen verkopften Antihelden.Ganz Kopf- und wenig Bauchmensch ist seine Handlungstriebfeder eine gänzlich andere als jene seines größten Widersachers.

Claudius, sein Onkel und Stiefvater agiert hingegen als machtbesessener und potenter hinterlistiger Mörder, der im Laufe des Dramas seinen Gewissensbissen nicht entkommt. Ganz im Gegensatz zu Hamlet denkt er nicht über das Nicht-Sein nach, sondern reflektiert vielmehr über die Außenwirkung seiner Taten und würde ein Königreich für einen guten Pressesprecher geben, um sein Image halbwegs rein poliert zu bekommen. In der Doppelrolle von Hamlets Vater und Claudius brilliert der hünenhafte Horst Heiss, an seiner Seite apart Michaela Kaspar mit blutrotem Lippenstift – der von Beginn an ganz subtil vom schaurigen Ende kündet. Hin- und her gerissen zwischen Eros und Mutterliebe ist sie froh über jede Einflüsterung, die ihr Handeln bestimmt. Wie jene von Polonius – komödiantisch mehr als astrein von Georg Schubert dargestellt – in welcher sie ihren Sohn zur Rede stellen will und zur Räson bringen, an seiner Rhetorik jedoch völlig schutzlos zerbrechen muss.

Maya Henselek in der Doppelrolle der Ophelia und des Horatio, hat in beiden Fällen die Sympathien des Publikums auf ihrer Seite. Einerseits als verletze Liebende, die, wie es die Königin nach ihrem Tod ausdrückt, zumindest als Wasserleiche noch ein schönes Bild gibt. Und schon wieder darf es beim gebildeten Publikum in den Synapsen klicken und John Everett Millais mit seinem Gemälde der im Bach treibenden Toten unweigerlich durch die Gehirnwindungen sausen. Und andererseits als einziger Freund Hamlets, der ihm einzig intellektuell das Wasser reichen kann. Zwar muss er sich mit einer Assistentenstelle zufriedengeben – in welcher er sich der Phänomenologie Husserls verschrieben hat – und somit eine inferiore Denkposition gegenüber Hamlet einnimmt, betrachtet man die Entwicklung der Philosophie als linear ansteigend. Dennoch ist er es, der Hamlet bei all seinem Denken und Handeln treu bis zum Ende zur Seite steht. Henselek zeigt in den beiden Rollen ihre grandiose Wandelbarkeit nicht zuletzt durch eine clevere Kostümwahl unterstützt.

Jens Claßen und Julian Loidl, als mit wenig Geist ausgestattete Güldensterns und Rosenkranz zu sehen, dürfen auch als Mitglieder jener Theatertruppe agieren, die ganz unwissentlich Hamlet dabei unterstützt, das Verbrechen an seinem Vater aufzudecken. Aber nicht nur diese Szene stellt – wie heute so gerne in modernen Inszenierungen – das Theater selbst auf den philosophisch-soziologischen Prüfstand. Auch der Hinweis auf Max Reinhardt und Fritz Kortner – im Zusammenhang mit Hamlets Vergänglichkeitsbetrachtungen – konterkariert wie mit feinen Nadelstichen die Metahandlung und holt sie zurück auf jene Bretter, die manchmal nicht die Welt, sondern eben nur eine Kulturnation bedeuten.

Wem es in dieser Kritik zu sehr heideggerte und husserlte, shakespearlte und plasste, der oder dem sei gesagt, einfach unvoreingenommen in eine Vorstellung gehen, alles hier Gelesene vergessen und einfach nur genießen. Einen Theaterabend der Sonderklasse.

Gernot Plass` Hamlet-Neuinszenierung am TAG

Hamlet sein c Anna Stoecher 4730

Hamlet sein - Foto: © Anna Stoecher

Die Neuinszenierung von Hamlet im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) in der Währingerstraße hat es in sich. Nicht nur, dass Shakespeare zur großen Überraschung auch mit der neuen Sprache von Gernot Plass Shakespeare bleibt. Als ob darin nicht ohnehin schon Stoff genug zum Nachdenken vorhanden sei, setzt Plass mit weiteren Bedeutungsebenen dem Stück wahrlich seine eigene Krone auf – mit vielen, vielen darin funkelnden Edelsteinen. Mit dem Seziermesser scheint er über den Urtext gegangen zu sein, wobei ihm das Kunststück gelungen ist, den Duktus des Gottvaters des Dramas und der Komödie trotz neuem Sprachgewand 100prozentig getroffen zu haben. Und so jagt nicht nur ein Bonmot, eine blitzgescheite Idee, ein Spaß und eine tiefe Wahrheit die andere. Schlag auf Schlag, so dass man sicher sein kann erst bei einem zweiten oder gar dritten Theaterbesuch all seine geistreichen Finessen voll erfassen zu können, reichert der Autor und auch für die Inszenierung Verantwortliche das Geschehen mit zeitgeistigen Ideen an, ohne jedoch dabei die Grundkonstruktion des Dramas je aus dem Auge zu verlieren. Auch das Bühnenbild und die Kostüme stammen aus derselben Denke und bilden somit ein rundes Ganzes, das mit zum Erfolg der Inszenierung beiträgt. Schwarz und Weiß, Grau und Rot bestimmen sowohl die räumliche Determination als auch die Kleidung und lassen Raum genug, jede Szenerie durch unterschiedliche Ausleuchtung selbst neu zu interpretieren.

Der Autor lässt seinen Hamlet als Student der Philosophie auftreten. Ausgerechnet in Freiburg steht seine Alma Mater, weswegen er wohl sein Denken auf Husserl und Heidegger ausrichtet. Darin übt er sich auch kräftig zu Hause, wobei er zwangsläufig damit seine Familie und Freunde intellektuell ins Abseits stellt. Da bedarf es nur mehr des Griffes zu einem Buch und eine kleine exaltierte Körperpose, schon glauben alle, er sei dem Wahnsinn verfallen. Wenn sich in seinen Gedankenströmen das Licht lichtet erfreut sich jeder gebildete Mensch an der Verballhornung von Heideggers Nichts, das sich nichtet. Doch obwohl er wie nebenbei auch Nietzsche und Sartre aus dem Ärmel beutelt und offenbar auch profunde Kenntnisse des griechischen Dramas aufweist, kann er sich dem Schicksal, das auf alle wie ein Tsunami zurollt, nicht entziehen. Bildung und Intelligenz schaden nicht – aber sie helfen ihm auch nicht, das finale Gemetzel hintanzuhalten. So verwundert es schließlich nicht, dass ihm sein früher Tod selbst allzu früh und ohne Erlösung kommt. Mit dem Ausruf „Ich war so kurz davor das alles zu kapieren“ verweist er auf die Hoffnung eines Erkenntniszuwachses, den er gerne länger ausgekostet hätte. Als ewig Denkender und ewig Suchender beherrscht ihn auch noch in der letzen Minute sein Wissensdrang stärker als Gefühle zu seinen Mitsterbenden. In existenzialistisches Schwarz gekleidet, blass im Gesicht, mimt Gottfried Neuner glaubwürdig seinen verkopften Antihelden.Ganz Kopf- und wenig Bauchmensch ist seine Handlungstriebfeder eine gänzlich andere als jene seines größten Widersachers.

Claudius, sein Onkel und Stiefvater agiert hingegen als machtbesessener und potenter hinterlistiger Mörder, der im Laufe des Dramas seinen Gewissensbissen nicht entkommt. Ganz im Gegensatz zu Hamlet denkt er nicht über das Nicht-Sein nach, sondern reflektiert vielmehr über die Außenwirkung seiner Taten und würde ein Königreich für einen guten Pressesprecher geben, um sein Image halbwegs rein poliert zu bekommen. In der Doppelrolle von Hamlets Vater und Claudius brilliert der hünenhafte Horst Heiss, an seiner Seite apart Michaela Kaspar mit blutrotem Lippenstift – der von Beginn an ganz subtil vom schaurigen Ende kündet. Hin- und her gerissen zwischen Eros und Mutterliebe ist sie froh über jede Einflüsterung, die ihr Handeln bestimmt. Wie jene von Polonius – komödiantisch mehr als astrein von Georg Schubert dargestellt – in welcher sie ihren Sohn zur Rede stellen will und zur Räson bringen, an seiner Rhetorik jedoch völlig schutzlos zerbrechen muss.

Maya Henselek in der Doppelrolle der Ophelia und des Horatio, hat in beiden Fällen die Sympathien des Publikums auf ihrer Seite. Einerseits als verletze Liebende, die, wie es die Königin nach ihrem Tod ausdrückt, zumindest als Wasserleiche noch ein schönes Bild gibt. Und schon wieder darf es beim gebildeten Publikum in den Synapsen klicken und John Everett Millais mit seinem Gemälde der im Bach treibenden Toten unweigerlich durch die Gehirnwindungen sausen. Und andererseits als einziger Freund Hamlets, der ihm einzig intellektuell das Wasser reichen kann. Zwar muss er sich mit einer Assistentenstelle zufriedengeben – in welcher er sich der Phänomenologie Husserls verschrieben hat – und somit eine inferiore Denkposition gegenüber Hamlet einnimmt, betrachtet man die Entwicklung der Philosophie als linear ansteigend. Dennoch ist er es, der Hamlet bei all seinem Denken und Handeln treu bis zum Ende zur Seite steht. Henselek zeigt in den beiden Rollen ihre grandiose Wandelbarkeit nicht zuletzt durch eine clevere Kostümwahl unterstützt.

Jens Claßen und Julian Loidl, als mit wenig Geist ausgestattete Güldensterns und Rosenkranz zu sehen, dürfen auch als Mitglieder jener Theatertruppe agieren, die ganz unwissentlich Hamlet dabei unterstützt, das Verbrechen an seinem Vater aufzudecken. Aber nicht nur diese Szene stellt – wie heute so gerne in modernen Inszenierungen – das Theater selbst auf den philosophisch-soziologischen Prüfstand. Auch der Hinweis auf Max Reinhard und Fritz Kortner – im Zusammenhang mit Hamlets Vergänglichkeitsbetrachtungen – konterkariert wie mit feinen Nadelstichen die Metahandlung und holt sie zurück auf jene Bretter, die manchmal nicht die Welt, sondern eben nur eine Kulturnation bedeuten.

Wem es in dieser Kritik zu sehr heideggerte und husserlte, shakespearlte und plasste, der oder dem sei gesagt, einfach unvoreingenommen in eine Vorstellung gehen, alles hier Gelesene vergessen und einfach nur genießen. Einen Theaterabend der Sonderklasse.

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