Belehrungen halte ich nicht aus

Belehrungen halte ich nicht aus

Martin Gruber hat vor Kurzem den Nestroypreis für die Arbeit „Kein Stück für Syrien“ entgegengenommen. Nun ist er für das nachtkritik.de-Theatertreffen mit dem Stück „Jeder gegen Jeden“ nominiert. Nach anfänglichen, harten Jahren erntet er nun die verdienten Früchte für seine spezielle Theaterarbeit mit dem aktionstheater ensemble.

In unserem Gespräch erzählt er über den Spaß an seiner Arbeit, wie er seine Schauspielerinnen und Schauspieler aussucht und seine tiefe Abneigung gegen Belehrungen.

Was bedeutet Ihnen der Nestroypreis?

Der Sinn dieses Preises ist es, „noch“ mehr Menschen ins Theater zu bringen – das funktioniert sehr gut! Persönlich befriedigt so eine Auszeichnung natürlich die Eitelkeit. Ungeachtet dieser Tatsache, werden wir selbstverständlich weiterhin unbequem sein.

Sie haben vor der Arbeit „Kein Stück über Syrien“ eine ganze Trilogie gezeigt.

Ja, das war Pension Europa, Angry young man und Riot Dancer. Die Arbeit an der Trilogie ergab sich nach und nach. Zuerst das Frauenstück „Pension Europa“, dann die Arbeit mit den Männern „Angry young men“ dazu schließlich ein Stück, in dem beide Geschlechter zusammengeführt wurden, „Riot Dancer“.

Pressefoto PENSION EUROPA c Felix Dietlinger aktionstheater ensemble 5

Pension Europa aktionstheater ensemble (c) Felix Dietlinger

Wie ist denn der Werkprozess von den Stücken? Kommt die Idee von Ihnen selbst?

Ich habe eine Grundidee, bespreche die einerseits mit dem Dramaturgen Martin Ojster, aber auch mit dem Ensemble. Das Miteinander, dieser gemeinsame Prozess ist mir sehr wichtig. Ich bin jemand, der sich gern austauscht. Niemand, der zu Hause sitzt, da schlaft mir das G`sicht ein!

Das heißt, beim Reden kommen die Leut` zam!

Ja genau! Ich brauche die Kommunikation face to face, Internet geht bei mir gar nicht. Beruflich muss es halt sein, aber ich finde es völlig unsinnlich, grauenhaft. Wir waren ja die ersten als Theater, die in Facebook waren und wir wussten natürlich, dass das wichtig ist. Nicht zuletzt auch in der Auseinandersetzung mit jungen Leuten, was mir ganz wichtig ist. Es ist eh klar, dass ich alle Altersschichten ansprechen möchte. Für junge Leute ist Theater ja oft etwas Anachronistisches, was ich auch verstehe. Mir geht das ja auch oft im Theater so, dass ich mir denke, was hat das denn jetzt mit uns zu tun! Ich habe ja selbst auch den Sophokles rauf und runter inszeniert, aber irgendwann stellt sich dann die Frage: Worum geht es jetzt eigentlich? Was will ich mit dem Theater spiegeln?

Wie haben Sie denn Ihre Truppe formiert? Sie arbeiten zum Teil ja immer wieder und beständig mit Leuten zusammen. Wie suchen Sie Menschen aus, die zu Ihrem Ensemble passen?

Ja, aber es kommen auch immer wieder junge Leute dazu, dass das wieder aufgefrischt wird. Aber es formierte sich in den letzten Jahren ein Grundstamm an Künstlern und Künstlerinnen, mit denen man eine gemeinsame Sprache spricht. Mir ist ganz wichtig, dass ich die Sprache der Leute verstehe, wenn wir arbeiten. Was ist zum Beispiel ein Kommentar, was nicht? Was ist Schauspielattitüde und wo wird es wirklich ernst? Wo darf man in die Komik gehen, ohne dass es zum Klamauk wird? Wo ist etwas nur ein platter Witz und wo darf auch der sein, wenn es danach einen Bruch gibt? Die Sprache, die wir dabei versuchen zu entwickeln, bedingt eine Truppe von Leuten, die das auch wollen und verstehen.

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Angry young men aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser

Es gibt drei Kriterien, die für mich ausschlaggebend sind, wenn ich jemanden neu aufnehme: Gesellschaftspolitisches Bewusstsein, soziale und künstlerische Kompetenz. Mir ist natürlich wichtig, dass bei den Schauspielerinnen und Schauspielern, mit denen ich arbeite, die Qualität stimmt. Danach kommt schon die Frage: Was will diese Person inhaltlich? Wer zum Beispiel sagt: Ich will Schauspielerin sein, weil ich berühmt werden will!“, antworte ich einfach: „Ja, dann geh` ins Burgtheater!“. Mir ist es wichtig, wenn die Leute darüber nachgedacht haben, was sie zu sagen haben und mit welchen, ganz persönlichen Mitteln sie etwas in die Gesellschaft einbringen und künstlerisch etwas beitragen können. Und vor allem natürlich auch ihre Sozialkompetenz. Das bedeutet: Kann sich jemand ins Ensemble einfügen, ist es ihm oder ihr bewusst, dass es sich um Ensemblearbeit handelt? Ich brauche keine Zicken, kein Stargetue, selbst wenn jemand tatsächlich ein Star ist.

Man hat den Eindruck, dass Sie jemand sind, der davon überzeugt ist, dass Theater etwas bewirken kann. Stimmt das?

Wenn ich ganz ehrlich bin – ja, ja natürlich! Gruber lacht herzlich. Ich drösel Ihnen das auf: Ich hab` natürlich ein Problem damit, von vornherein mit der Flagge der moralischen Anstalt zu wacheln. Da schrillen bei mir schon sämtliche Alarmglocken, weil die Gefahr der Betulichkeit irrsinnig groß ist. Ich bekomme die Krise, wenn mir jemand die Welt erklären möchte. Mir geht es umgekehrt zuerst einmal darum, dass ich einmal gar nichts weiß. Wir wissen alle gar nichts. So fange ich an. Wenn man gesellschaftspolitische Prozesse verstehen will, geht es darum, sich die Menschen in ihrem Verhalten und ihrer Vielfalt anzuschauen. Das heißt, je divergenter, je allumfassender ein Bild ist, je mehr Gesellschaftsschichten ich covern kann, desto eher komme ich mit der Zeit zu einem gewissen Punkt, an dem ich ein bisschen einen Überblick bekomme. In der Politik bedient man heute Partikularinteressen. Die Schwarzen bedienen die Banker, die Roten die Eisenbahner, je nach Inhalt hat jeder seine Klientel. Aber der gesamte Gesellschaftsentwurf, finde ich, fehlt. Das hat was damit zu tun, dass ich auch das Gesamte sehen muss und kann. Und je weiter ich vom Wald weg bin, desto eher sehe ich seine Gesamtheit oder kann ich ihn vielleicht irgendwann einmal sehen, präziser gesagt. Ich glaube, dass das Durchleben von Prozessen am Theater schon etwas kann, weil ich in einer bestimmten Radikalität auf der Bühne viel weiter gehen kann als viele Menschen, die unten sitzen. Das heißt, wenn die Frauen in Pension Europa schamlos an ihren Speckschwarten rumfummeln, das sage ich jetzt ganz bewusst so, und dabei so sein dürfen, wie sie sind, dann habe ich von Frauen erlebt, dass sie das unglaublich dankbar aufgenommen haben. Es waren Frauen im Publikum, die richtig gerührt waren. Wir wollen dabei ja auch vermitteln: Ich darf sagen, was ich will, was mit Substanz, aber ich darf auch richtig danebenhauen, richtigen Topfen reden. Das ist schon eine Form der Katharsis – obwohl das ein Schlagwort ist, bei dem ich mir denke: Oje, Kitschalarm!

Man hat den Eindruck, dass sie eine Leichtigkeit im Arbeiten erreicht haben, wissen, wo Sie stehen, was Sie können.

Ja, das stimmt, aber man scheißt sich auch immer wieder an. Diese beiden Dinge stehen nebeneinander. Ich würde mich in manchen Situationen als ziemlich ängstlichen Menschen beschreiben, aber wo ich es überhaupt nicht bin, ist beim Arbeiten. Sonst ginge es auch nicht.

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Riot dancer aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser

Wollten Sie immer Theater machen?

Als Jugendlicher wollte ich Filmregisseur werden, habe aber dann Schauspiel studiert. Ich bin ganz froh, dass ich das Handwerk gelernt hab, weil ich deshalb glaube zu wissen, was möglich ist.

Ich kann mir vorstellen, dass zwischen Ihnen und den Schauspielerinnen und Schauspielern sehr viel Vertrauen herrscht. In den Inszenierungen geben diese ja auch immer etwas preis von sich. Erzählen Dinge, die vielleicht gar nicht leicht zu erzählen sind. Braucht das eine Zeit, bis das soweit ist, dass sich die Leute so öffnen können?

Ja, das ist ganz extrem bei Susanne Brandt so. Sie ist die Schauspielerin, mit der ich am längsten zusammenarbeite. Sie kam von Dresden an die Josefstadt noch unter Boy Gobert. Dort gab es eine Umstrukturierung und ich hab`, als ich sie kennenlernte, sofort erkannt, welches Kaliber sie ist. Für ihre erste Rolle habe ich mit ihr drei Stunden nur an ihrem Gang gearbeitet, das war dann auch schon zum Teil urkomisch. Aber wir haben gewusst, dass wir miteinander können und über die Jahre hat sich daraus eine richtige Liebe und ein Vertrauen entwickelt, dass in einem Stadt- oder Staatstheater so auf die Schnelle einfach nicht möglich ist. Das erlebe ich aber auch bei den Jungen. Da geht es um eine bestimmte Form des Vertrauens, dass sie wissen, sie werden aufgefangen. Wenn etwas so ist, dass sie sagen: „Das geht nicht mehr!“, dann akzeptiere ich das. Ich kratze natürlich schon so lange wie es geht und bekomme auch fast alles, aber wenn es partout nicht geht, ist das ok. Neben dem Vertrauen geht es aber, so altmodisch das klingt, um liebevollen Umgang miteinander. Damit kommt man viel weiter, kann viel weiter gehen, als das sonst der Fall ist.

Wie würden Sie Ihren Regiestil beschreiben?

Wir sind eine repräsentative Demokratie. Also ich werde gewählt, als der, der sagt, was wir tun müssen. Dann hat der Martin (Erklärung: Martin Ojster) gesagt: Naja, ich würde eher von einer liebevollen Diktatur sprechen! Gruber lacht abermals herzlich. Aber wenn ich es genauer beschreiben würde, dann reicht mein Regiespektrum von ganz viel zulassen am Beginn, bis schließlich sogar den Blick choreografieren. Ich versuche zu schauen: Was interessiert mich an meinem Gegenüber, das nehme ich und der Rest kommt weg. Dann sag ich: Machen, machen und beobachte und dann interveniere ich, teilweise ganz massiv, um sie dann wieder voll weitermachen zu lassen um dann wieder ganz massiv zu intervenieren. Bis alles choreografiert ist, da ist der Blick, da die Fußhaltung, bei dem Wort so – das steht dann alles ganz genau im Buch drin. Dabei geht es mir um die Komposition, an die ich glaube. Ich spreche intern in unserer Arbeit auch von Komposition und Choreografie. Auch wenn das nach Außen vielleicht schwer zu verstehen ist.

Ihr Ensemble ist, wie zum Beispiel bei Riot Dancer und den späteren ja permanent in Bewegung. Haben Sie bei dieser Choreografie keinen Widerstand erhalten?

Nein, das ist interessant. Wir haben ja die Trilogie auch einmal an einem Samstag hintereinander gespielt. Also etwas gemacht, was das Ensemble gar nicht gewohnt ist. Aber trotz der Anstrengung haben sie durchgehalten, sind förmlich getragen worden von dem, was da alles zurückkam. Haben sich ausgepowert bis zur körperlichen Erschöpfung. Es ist, glaube ich, eine Lustfrage, denn wenn ich in so einem Fall bis an die Grenzen gehe.

Es ist auffallend, dass Gewalt in ihren Arbeiten eine nicht unwichtige Rolle spielt.

Ja, das bedarf einer längeren Erklärung. Ich persönlich habe mich als Kind ein einziges Mal geprügelt. Drei Minuten. Das wars dann. <em>Lacht herzlich</em>. Ich hab eine absolute Angst vor körperlicher Gewalt. Das ist mit zutiefst fremd, ich kann damit überhaupt nicht umgehen. Ich gehe auch ungern ins Kino, wenn es um Gewalt geht, und dennoch hab` ich das in meinen Stücken. Ich glaube, wenn wir vorher von einem kathartischen Moment gesprochen haben, dass das, was im Theater passiert, stellvertretend passiert. Es passiert ja nicht real, ist sozusagen eine Form von Ritualisierung und Stellvertretung. Mir geht es darum, dass eine Gewalt, wenn sie psychisch ist, auch eine physische Umsetzung bekommt, weil wir ja auch mit der Physis arbeiten und nicht nur mit dem Intellekt und weil ich über das Physische zeigen will, was psychisch passiert. Ich glaube, dass bei der Betrachterin und beim Betrachter etwas Anderes passiert, wenn es eine physische Entsprechung hat, das heißt, es ist in erster Linie ein theatrales Mittel. Das heißt, dass wir, stellvertretend für das Publikum einen Prozess durchgehen, damit das Publikum das nicht machen muss. Es geht nicht um die schnöde Darstellung von Gewalt, wie zum Beispiel bei einem Krimi. Da kann man ja sagen, ok, die ballern jetzt rum und holt sich dabei ein Joghurt, obwohl dort Mord und Totschlag gezeigt wird. Aber wenn auf der Bühne einer eine Ohrfeige bekommt, ja dann hallo! Wir gehen selbstverständlich in den Medien mit brutalster Gewalt um, aber wenn wir Gewalt auf der Bühne sehen, haut sie uns einfach um, obwohl das nicht einmal 10% von dem ist, was wir im Fernsehen und Kino sehen können. Bei uns ist es aber psychologisch unterfüttert, und deswegen tut es so weh.

Der andere Punkt ist: Ich will per se nicht werten. Natürlich werte ich, ich kann ja nicht anders. In dem Moment, wo ich bin, werte ich. Das muss einem bewusst sein, alles andere wäre doof. Trotzdem gibt´s bei uns – sozusagen als Versuchsanordnung – die Vorgabe, dass wir´s nicht tun. Wenn z.B. Isabella in Riot Dancer sagt: „Ich möchte gerne jemanden umbringen.“, dann ist das etwas, das man vielleicht geträumt hat, aber kein Mensch wird glauben, dass sie das wirklich real umsetzen will, aber vorstellen kann man es sich. Das heißt auch, dass wir das zeigen, was das Theater spätestens seit den Griechen immer schon gemacht hat. Es passiert eine Zivilisierung von Gewalt im Ritual, um im richtigen Leben nicht Gewalt ausüben zu müssen. Da ist das Theater, meines Erachtens nach, eher das Refugium, das das kann, weil man nicht abschalten kann, nicht davonlaufen kann – es passiert ja jetzt.

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Jeder gegen Jeden aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser

Wenn ich Sie jetzt interpretiere, dann hat die Darstellung von Gewalt und ihre Wirkung auf der Bühne etwas von der christlichen Erlösungsmythologie.

Ja, das hat es. In allen Religionen und Kulturen gibt es so etwas. Letztlich geht es nämlich um Erlösung. Es gibt Leute, die sagen mir, Martin, das pack` ich einfach nicht. Dann ist das für mich ok und ich sage: Gut, das musst du dir auch nicht anschauen. Auch das finde ich dann in Ordnung.

Haben die Leute, mit denen Sie zusammenarbeiten, Schwierigkeiten, von Ihnen weg auf andere Bühnen zu wechseln, wo ihre Rolle eine ganz andere ist?

Die einen so, die anderen so. Die einen sagen, das geht gar nicht, weil sie genau wissen, was sie wollen und wie sie es umsetzen wollen. Und dann gibt´s andere, die das wieder befruchtend finden, die etwas anderes schon immer gerne spielen wollten. Ich schau` mir das dann auch gern an, das ist ja wichtig, dass man nicht immer nur im eigenen Süppchen kocht. Aber natürlich ist das eine ambivalente Geschichte.

Kommen wir zu Ihrer preisgekrönten Arbeit „Kein Stück über Syrien“. Ist in diesem Stück nun, schon einige Monate nach der Premiere, alles gleich geblieben?

Nein, mir ist es wichtig, immer aktuell zu bleiben, dran zu bleiben. Für die Premiere haben wir zum Beispiel am Tag davor noch eine Passage eingefügt und auch danach gibt es immer wieder, bei Bedarf, Änderungen. Bei diesem Stück haben wir gesagt, dass das das heißeste Eisen ist, das wir derzeit angreifen können – also machen wir es. Lacht wieder herzlich. Da wird es natürlich spannend. Aber wir haben uns vor der Premiere wirklich in die Hosen gemacht. Weil wir gesagt haben: Eines tun wir nicht: Wir reden nicht drüber, wie es irgendeinem Syrer geht, oder womöglich noch einen spielen. Um Gottes Willen! Das geht ja gar nicht! Aber es gibt darin eine Szene, in der ein Schauspieler erzählt, dass er, als er von dem Stück gehört hat, geglaubt hat, dass er einen Syrer spielen muss und sich schon Gedanken gemacht hat, wie er das anlegt. Also eigentlich ganz tief! In einem Stück wie diesem ist unglaublich viel Selbstverarsche drin, wobei das Hauptthema dabei ist, wie wichtig wir uns selbst nehmen. Wir nehmen uns in unserem Leid – diesem Leid, das wir von außen ertragen müssen – wahnsinnig wichtig! Gruber sagt dies höchst sarkastisch und lacht dabei sein wunderbares, befreiendes Lachen, sodass man sofort die Ironie dieses Satzes versteht. Das war meine Vorgehensweise aber es ist natürlich so, dass eine Schauspielerin real zwei Monate lang Flüchtlinge in ihrer 2-Zimmer-Wohnung übernachten ließ, bis zu 10 Leute waren bei ihr, also eigentlich hard-core. Jetzt tu ich ihr nicht einmal den Gefallen, dass sie besonders nett rüberkommt, sondern ich hab` das bis zum Erbrechen eitel dargestellt. Die Helfer-Geschichte feiere ich bis zum Abwinken und dabei schauen wir, was das auslöst, wie das ankommt. Abgesehen davon, dass wir in jedem Zuschauer und in jeder Zuschauerin wirklich etwas anderes auslösen, weil jeder eine andere Geschichte hat. Aber darum geht es ja auch, dass keine fertige Botschaft da ist. Drum auch zurück zum Anfang: Ich will meine Stücke nicht als fertige Botschaft verstanden wissen mit der man sagt: Das ist richtig, das ist falsch. Dazu kann man in die Kirche gehen, da muss man nicht ins Theater gehen. Ich bin mit Abstand an das Thema gegangen. Es geht darin um uns und nicht um die anderen und das ist zugleich auch irgendwo das Problem.

„Kein Stück über Syrien“ ist also eine beißende Satire.

Ja, extrem. Und ich habe mir dabei gedacht, apropos Angst: Es wäre ja nichts lustiger gewesen, als irgendein Rechten-Bashing zu machen. Die sitzen aber sowieso nicht bei uns drinnen. Wir müssen ja keinen Betroffenheitsschwank machen, wo man drin sitzt und sich denkt: Um Gottes Willen, jetzt wird man belehrt auch noch.

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Kein Stück über Syrien aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser

Das Belehren scheint nicht Ihres zu sein.

Nein, das halte ich nicht aus, denn da werde ich für deppert verkauft. Ich denke, es hat letztlich auch etwas mit Menschenwürde zu tun, dass ich sage, ja ein Teil in uns ist halt wirklich ganz daneben, aber wichtig ist, dass ich zumindest weiß, dass ich in gewissen Momenten eben ganz daneben bin. Wir lachen ja oft, wenn wir die Bänder von den Proben abhören. Unlängst sagte eine Schauspielerin: „Mein Gott, was hab` ich da für einen Scheiß zusammengeredet!“, und ich sagte: Gut, gut, dass du das hast! Gruber lacht wieder herzlichst. Worauf sie zu mir sagt: „Das kommt aber nicht in den Text!“, und ich antworte: „Ja sicher, das ist ja gespuckt!

Wenn ich Sie so erzählen und lachen höre, habe ich den Eindruck, dass Sie bei den Produktionen sehr viel Spaß haben.

Ja, extrem! Das ist auch ganz wichtig. Denn wenn man Spaß hat, dann passiert auch etwas.

Ist das Publikum eigentlich im Laufe der Jahre mit Ihnen mitgewachsen?

Ja, wir haben eine richtige Fangemeinde. Das freut mich sehr. Seit über zwei Jahren haben wir fast 100% Auslastung. Das ist natürlich auch der Lohn für das, was wir machen.

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Kein Stück über Syrien aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser

Sind die Arbeiten mit viel Recherche verbunden, oder schöpfen Sie mehr aus dem Alltag, aus dem, was wir erleben und durch die Medien erfahren?

Es ist ja so, dass jeder jeden Tag Recherche macht. Als politischer Mensch fresse ich drei, vier Zeitungen am Tag, das geht gar nicht anders. Dann mach` ich mir natürlich auch Notizen, meistens denke ich mir: Das werde ich mir schon merken, was dann leider auch nicht so ist! Aber dann gibt es auch Aussagen, wo wir etwas behaupten und das müssen wir dann schon unterfüttern. Das macht dann meistens Martin, der da recherchiert. Aber zum größten Teil geht es tatsächlich um die alltägliche Kommunikation. Eine Bühnensituation ist ja kein Vortrag. Das wäre ein Fehler, das Geschehen auf der Bühne als theatralischen Vortrag zu betrachten. Bühne ist in irgendeiner Form immer ein Konflikt. Das muss gar nicht negativ konnotiert sein. Ein Konflikt von Plus und Minus. Über Plus und Minus entsteht Energie.

Heute greifen die unterschiedlichen Kunst-Genres ineinander. Tanz wird durch Sprechtheater erweitert, Bühnenbilder gestalten Bildende Künstler mit vielen verschiedenen Medien und so weiter. Wie stehen Sie zu dieser Grenzverwischung?

Ich habe in den ersten Jahren meiner Arbeit, als das noch nicht üblich war, zum Beispiel mit dem Tone Fink zusammengearbeitet. Der hat mir viele Kostüme gemacht. Dann habe ich in der Volksoper mit Tänzern gearbeitet, ein Stück, das viersprachig aufgeführt wurde. So etwas weicht immer wieder den eigenen Theaterbetrieb auf. Man will sich ja auch selber überraschen. Man darf ja nie glauben, dass es die Form schon gibt, oder dass man weiß, wie es geht. Sondern man muss sich immer wieder fragen, wie könnte es anders sein, wie könnte man es anders sehen? Ich habe mich eigentlich immer mehr von anderen Künsten und nicht vom Theater beeinflussen lassen, obwohl mein Ding total das Theater ist. Ich finde, dass sich auf der Bühne die Bilder, die man zeigt, immer aus dem Kontext ergeben müssen. Gestellte Bilder finde ich einfach nur furchtbar. Ich arbeite am liebsten ganz minimal, mit ganz wenigen Mitteln. Für die Bregenzer Festspiele hatte ich klarerweise größere Bühnenbilder, aber für deren Verhältnisse waren sie auch extrem reduziert. Obwohl ich ein totaler, extremer Ästhet bin. Wobei mir die subtile Ästhetik am Herzen liegt. Ich will nicht, dass man zum Beispiel bei den Kostümen auf Anhieb das Konzept dahinter sieht.

Pressefoto Martin Gruber aktionstheater ensemble © Stefan Grdic

Martin Gruber aktionstheater ensemble (c) Stefan Grdic

Gibt es etwas, was Sie gerne machen möchten aber bisher noch nicht konnten?

Ja, es gibt etwas, was sich von der Zeit bisher noch nicht ausging. Ich möchte einen Film machen. Die Faszination dabei ist die des anderen Mediums, dass man ein Close-up machen kann, dass man das Ultimative einfangen kann. Wenn ich sagen kann: Machs noch einmal, und noch einmal und dann: Das wars! Das ist schon geil!

Wenn Sie für Ihre Art von Theater ein Label vergeben müssten, welches wäre das?

Das ist die schlimmste Frage für einen Künstler überhaupt, das Reduziertwerden auf etwas!

Was ist das Tolle, das Schöne am Theatermachen für Sie?

Es ist, dass man das Wahrnehmen zum Beruf machen kann. Ich werde dafür bezahlt, dass ich Dinge wahrnehmen kann. Das Gegenteil von Wahrnehmen wäre sich abzuschotten.

5 Last Minute Geschenkideen aus Österreich

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Nun beginnt der große Countdown des Geschenkekaufens. Für alle, die noch keine Ideen haben, was dieses Jahr unter dem Christbaum schön verpackt landen könnte, hier ein paar Tipps. Und das Tolle daran: Zum Einkaufen muss man weder seine eigenen vier Wände verlassen, noch muss man ein schlechtes Gewissen haben, dass Großdistributoren ihre Hände im Spiel haben oder der ökologische Footprint des liebevoll ausgesuchten Präsentes katastrophal ausfällt.

Musikalische Gänsehaut

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CD Fantasiebilder Ketevan Sepashvili (c) Andrej Grilc

Fans von Klaviermusik werden davon nicht genug bekommen können. Die in Wien lebende Ausnahmepianistin Ketevan Sepashvili hat auf ihrer neuen CD Fantasiebilder nicht nur die Kreisleriana von Schumann eingespielt, sondern auch die „Etudes tableaux“ von Sergej Rachmaninow. Ihre intensive und technisch hoch brillante Interpretation sorgt unter Garantie für eine musikalische Gänsehaut.

Wien in Wort und Bild

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Wiener Mischung von Linde Prelog und Peter Reichert. Ein Buchgeschenk der besonderen Art.

Berührend, lustig, verdreht. „Wiener Mischung“, ein Buch mit Fotos aus Wien von Peter Reichert und Texten von Linde Prelog, zeigt die lebenswerte Metropole aus bekannten und dennoch neu in Szene gesetzten Blickwinkeln. Die Schauspielerin und Autorin Linde Prelog schuf Texte, die sich an die Bilder ihres Ehemannes kreativ anschmiegen. Etwas zum Schmökern, Lachen, Wundern und Staunen.

Modisches direkt aus Wien

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Lady Lexi Tattoo – mehr als ein Bild auf der Haut

Ein kleiner Schmetterling, ein kunstvolles Mandala, die Namen seiner Liebsten – die Liste der Wünsche ist unendlich, wenn es sich um Tattoos handelt. Lexi Schuster – Gast-Tätowiererin in vielen Tattoo-Studios in Österreich – setzt auch individuelle Ideen um, für die es noch keine Vorlage gibt. Sie zeichnet, sticht und vermittelt ihren Kundinnen und Kunden während ihrer Arbeit zusätzlich das Gefühl, einen ganz besonderen Augenblick zu erleben.

Zeitgenössischer Tanz muss unzeitgemäß sein

Zeitgenössischer Tanz muss unzeitgemäß sein

Walter Heun ist eine Institution in Sachen zeitgenössischer Tanz. Seit der Spielzeit 2009/10 leitet er mit einem, wie er sagt, „wunderbaren Team“ das Tanzquartier, das nun nach insgesamt 15 Jahren im Museumsquartier dort selbst nun endlich auch mit einem Logo sichtbar geworden ist. „Kennen Sie den Buchbinder Wanninger?“, stellt er im Gespräch diesbezüglich die Frage in den Raum, womit klar ist, dass die Bemühungen um die Anbringung eines sichtbaren Logos im Museumsquartier nicht nur eine unendliche Geschichte, sondern eine absurde Langzeitepisode in seinem beruflichen Werdegang darstellt.

Man müsste meinen, dass Walter Heun sich bereits mitten in seiner Umorientierungsphase befindet. Verlässt er doch mit Ende der Saison das Haus, das zeitgenössischen Tanz vor allem auch mit einem theoretischen Unterbau bedenkt und abbildet.

Walter Heun (c) Sabine Hauswirh

Walter Heun (c) Sabine Hauswirh

Eigentlich habe ich mir gedacht, ich kann das letzte Jahr auschillen lassen. Aber das Gegenteil ist der Fall!

Das hat auch damit zu tun, dass Heun die Präsidentschaft des European Dance House Network (EDHN) übernommen hat, in der Meinung, es handle sich dort um einen Repräsentationsjob. Zumindest erzählt er diese Variante im Interview. Wer ihn aber näher kennt, weiß, dass das so nicht ganz stimmen kann, denn Heun ist einer, der erstens in jedem Job, den er bisher innehatte, intensiv über seine Aufgaben nachdachte und zweitens etwas bewegen will. Nur einfach repräsentieren geht bei ihm nicht.

Das Netzwerk hat vor drei Jahren eine EU-Förderung bekommen, nun muss der Antrag für die nächsten drei Jahre eingereicht werden. „Brutal viel Arbeit“ heißt das im Heun-Diktum. Aber selbstreflektierend wie er ist, weiß er, dass er sich den Präsidialjob selbst erschwert hat, denn anstelle eines 2-seitigen Positionspapieres gab er ein 7-seitiges Konzept ab, wie das Netzwerk als politische Kraft in Europa positioniert werden könne.

Dass diese Aufgabe neben viel Arbeit aber auch schöne Seiten hat, wird deutlich, als er, sichtlich dankbar, über seine Besuche in den Bürgermeisterämtern von Marseille oder Helsinki berichtet.

Jean-Claude Gaudin ist seit 22 Jahren als Bürgermeister in Marseille im Amt. Er ist sozusagen der Michael Häupl von Marseille. So jemandem einmal nahe zu sein, mit ihm auf Augenhöhe sprechen zu dürfen, war sehr schön. Oder auch das Gespräch mit der Vizebürgermeisterin in Helsinki in ihrem Büro, das stattfand, um ihr nahezubringen, dass sie für das dortige Tanzhaus doppelt so viel braucht, als sie bislang etatisiert hatte, war toll. Dabei hat sie mir die Pläne für das neue Guggenheim-Museum gezeigt und die Baustelle von ihrem Fenster aus erklärt. Das sind Momente, in denen man sich denkt: Da darf man schon ein privilegiertes Leben führen.

Heun gelang in den letzten Monaten auch der Coup, bei „Creative Europe“, dem Rahmenprogramm der Europäischen Kommission für die Unterstützung der Kulturbranche und des audiovisuellen Sektors mit zehn Mitgliedern des EDHN vorstellig zu werden und den Verantwortlichen die Realität, Sorgen und Nöte der europäischen Tanzszene vorzustellen.
Das zeigt nicht nur seinen hohen Vernetzungsgrad, sondern auch die internationale Anerkennung, die er im Bereich des zeitgenössischen Tanzes genießt.

Die Arbeit und Aufgaben im Tanzquartier erklärt er wider Erwarten gar nicht aus einer philosophischen Meta-Ebene, sondern sehr pragmatisch.

Wir positionieren uns im Tanzquartier politisch eher in grundsätzlichen Fragen. Wie kann unser Zusammenleben funktionieren? Wie können wir zusammen sein? Wenn man die 10 Gebote der christlichen Religion oder auch anderer hernimmt, oder die Grundgesetze, dann steht immer dasselbe drin: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Da steht drin, dass man dem anderen nicht etwas wegnehmen soll und die Freiheit des einen auch immer die Freiheit des anderen ist. Diese grundlegenden Prinzipien sollte man, wenn man in Frieden leben will, tunlichst einhalten, egal welcher politischen Couleur man angehört. Wenn man sich das Geschehen in Amerika ansieht, dann bemerkt man, dass man zwar eine Wahl gewinnen kann, sein Volk gewinnt man damit aber noch lange nicht, wenn man mit Mitteln agiert, die zutiefst undemokratisch und unmenschlich sind.

Mit dem Format „scores“ wurde unter seiner Ägide ein weit über die Grenzen Österreichs hinaus beachtetes Festival geschaffen, das in diesem Jahr den Titel „Out of border, out of order“ trug und so etwas wie eine Zusammenfassung der vergangenen Jahre im Tanzquartier bedeutete. Dabei waren internationale Künstlerinnen und Künstler in Wien zu Gast, die, zum Angreifen nahe, dem Wiener Publikum ein Kennenlernen „des Fremden, des Anderen“ ermöglichten.

Wenn Menschen, die sich immer über „die Anderen, die Fremden“ aufregen, vielleicht einmal ein paar von den “Anderen“, den „Fremden“ kennenlernen würden, dann würden sie feststellen, dass es unheimlich viele Gemeinsamkeiten gibt. Unsere ganze westliche Kultur ist aus dem Nahen Osten, über das persische Reich nach Griechenland, über Alexandria in den Mittelmeerraum gekommen. Wie kann man so vergesslich sein, sich jetzt hinstellen und sagen: Die wollen wir nicht haben?

Obwohl Heun nur mehr einige Monate im Haus bleibt, hat er Visionen, was er hier in Zukunft machen würde.

Mit einer längeren Perspektive hätte ich vielleicht dafür gesorgt, dass der Tanz in die Regionen geht, in Orte, die sich scheinbar von der Globalisierung ausgegrenzt fühlen, in denen die Menschen unbestimmte Ängste vor dem Fremden haben, obwohl sie es eigentlich nicht kennen. Deswegen können sie auch solche Ängste haben. Wenn sie einmal miterleben würden, was ich im März oder April bei der Vorbereitung unserer letzten scores-Ausgabe in Beirut erlebt habe, würde das anders aussehen. Da saßen wir abends in einem Cafe und einer der arabischen Musiker packte sein Schlaginstrument aus, der nächste nahm seine Oud (arabische Kurzhalslaute), eine iranische Tänzerin kam dazu und plötzlich tanzten Menschen aus 50 Nationen miteinander. Da stellte ich mir die Frage: „Wo ist eigentlich das Problem?“ Wenn so etwas oder so etwas Ähnliches mehr Menschen miterleben könnten, dann würden sich die Ängste vielleicht mehr legen. Deswegen würde ich zukünftige Tanzaktivitäten auch in die Regionen verlagern. Man könnte dort mit verschiedenen Formen der Tanzvermittlung arbeiten, damit da die Leute einfach die Qualität von Begegnungen mit den anderen, die im Tanzen liegt, mitbekommen.

Und da das Tanzquartier, wie Heun sagt, dann doch ein wenig subversiv ist, würde er dem Publikum dort den ein oder anderen Künstler aus einem anderen Kulturkreis unterjubeln, den er sehr fremd findet. Die Brücke würde er über ortsansässige Künstler schlagen.

Dann ist halt da einer dabei, den sie nicht kennen, aber ganz nett finden und hinterher im Gespräch vielleicht rausfinden: „Ach, der ist ja gar nicht von da!“ Man muss irgendwie die Brücke schlagen. Es fühlen sich wahnsinnig viele Menschen von dem politischen System ausgegrenzt, das hat man in Amerika ganz deutlich gemerkt. Die gesellschaftliche Spaltung erinnert an die Zeit vor den großen Kriegen. Und das ohne wirkliche Not. In den 20er Jahren war Weltwirtschaftskrise, die Gesellschaft polarisiert. Damals hatten die Leute wirkliche Not, Hunger gelitten. Da sind wir weit davon entfernt. Aber vielleicht ist es jetzt so, weil wir in den sozialen Medien nur mehr mit den Leuten kommunizieren, die ohnehin der gleichen Meinung wie wir sind. Dadurch verfestigt sich diese Meinung und es gibt keinen journalistischen Filter, keine ausgewogene Berichterstattung mehr.

Das erste Mission-Statement des Tanzquartier-Chefs und seinem Team betraf die Gastfreundschaft, der sich der Intendant bis heute verpflichtet fühlt. Auf die Frage, worauf der Kurator, Tanzproduzent und -veranstalter, Institutsleiter, Networker eigentlich stolz sei, führt er neben dem Vorantreiben der künstlerischen Forschung und Theorie am Haus, zu dem sich auch ein gesellschafspolitischer Aspekt gesellte, das Feeling an. Jenes Gefühl, welches das Publikum des Tanzquartiers immer wieder einmal feststellen lässt: „Bei euch ist es wahnsinnig nett.“ Womit sich der Bogen zur Idee der gelebten Gastfreundschaft wieder schließt.

Ein Tanzhaus kann als Idee für eine offene Gesellschaft gesehen werden. Wenn ich mir vorstelle, eine Gesellschaft würde so arbeiten wie wir es im Tanzquartier tun, dann gäbe es weniger Probleme mit der Integration und Inklusion von anderen. Darauf bin ich stolz. Aber ich weiß auch um die Verantwortung um das Haus. Was das Tanzquartier macht, wird auf der ganzen Welt wahrgenommen. Wenn Politiker nachdenken: „Was machen wir mit dem Haus in Zukunft?“, müssen sie wissen: Das ist nicht nur ein lokales Bespieltheater, für ein lokales Publikum, das man im Grätzel befriedigen muss. Das TQW ist ein international positioniertes Haus, für das man Verantwortung trägt, die weit über Wien hinaus geht. Es wurde über 15 Jahre aufgebaut, dementsprechend weitsichtig muss man damit auch umgehen.

Wir haben ja seit 2001 eine ganz neue Generation von Choreografen national und international mit aufgebaut. Ian Kaler, den wir in allen Produktionen von sehr frühem Beginn an koproduziert haben. Deutinger/Navaridas, Loose Collective, Nadaproductions, Jefta van Dinther, Noé Soulier, Mette Ingvartsen, Laurent Chetouane uvm. Dann kommen noch die strukturbildenen Maßnahmen dazu, die auch der Szene die Möglichkeit boten, sich weiterzuentwickeln. Dazu gehört das Format „FEEDBACK“, als Plattform für internationale Veranstalter, die sich über die hiesige Szene informieren wollen, die heute großen Zuspruch hat und international wahrgenommen wird. Der Aufbau der Mediathek, die Digitalisierung sämtlicher Aufzeichnungen, die seit 2001 im TQW gemacht wurden, die Plattform für österreichische Künstler – Open Space Austria, dann INTPA, die Vermittlungsplattform und natürlich die Mitgründung und Tätigkeit im European Dancehouse Network.

Walter Heun ist ein überzeugter Anhänger von life long learning.

Ich begreife meine Rolle im Tanz als ein permanentes Forschen und Erweitern meines eigenen Wahrnehmungsspektrums oder der Möglichkeiten, wie ich mich mit Kunst und der Welt auseinandersetzen kann. Der Tanz ist da ein extrem gutes Medium, um mit sich voranzukommen. Insofern habe ich das Gefühl, ich lerne ständig was dazu.

Und als ob die Leitung eines Hauses nicht Denksport genug wäre, gelingt ihm auch noch eine Neudefinition des zeitgenössischen Tanzes.

Die Philosophie der Zukunft muss in ihrer Zeit immer unzeitgemäß sein, sagte Nietzsche in seinen „unzeitgemäßen Betrachtungen“. Das gilt genauso für den zeitgenössischen Tanz. Auch er muss in seiner Zeit immer unzeitgemäß sein. Er ist nicht zeitgenössisch, weil er den Trend der Zeit aufgreift, sondern er ist unzeitgemäß, weil er sich mit den zukünftigen Möglichkeiten von Tanz beschäftigt. Wenn man konsequent sein will, müsste man immer von dem unzeitgemäßen Tanz sprechen, statt von zeitgenössischem.

Walter Heun (c) Regine Hendrich

Walter Heun (c) Regine Hendrich

Noch ist seine eigene berufliche Zukunft im Moment ungewiss, aber ein Wunsch steht ganz oben auf seiner Liste:

Ich wünsche mir einfach mehr Zeit. Ich habe mich für keine anderen Häuser beworben, die ausgeschrieben waren. Sie haben mich nicht gereizt. Ich möchte in Ruhe auch wieder mehr lesen. Ich war überrascht, als mich einige Kollegen in der Leitung der Stadsschouwburg in Amsterdam gesehen haben. Eine der wenigen Sachen, die mich gereizt hätten, wenn es nicht schon an Sasha Waltz vergeben wäre, wäre das Staatsballett Berlin gewesen. So ein Ballettensemble mit 90 bis 100 Tänzern zu nehmen und verschiedene Ensemblearbeit zu machen und voranzutreiben, hätte mich gereizt. Ich habe fünf Jahre als Spartenchef am Luzerner Theater gearbeitet und habe die Position eines Ballett-Direktors bezogen und die Sparte in ein Choreographisches Zentrum umgewandelt. Und den Etat, der fürs Ballett da war, habe ich genutzt, um in Koproduktion mit Residence-Modellen mit zeitgenössischen Choreografen zu arbeiten und sie kozuproduzieren. Das wäre ein Modell, das würde ich gerne noch einmal als Intendant probieren. Vielleicht auch für andere Sparten. Was mir auch Spaß macht, ist, Performance im Kunstkontext zu kuratieren.

Um dann ganz sportlich abschließend hinzuzufügen:

„Schaun mer mal!“, wie der Franz Beckenbauer immer so schön gesagt hat.

Uns rennen die Menschen förmlich die Bude ein

Uns rennen die Menschen förmlich die Bude ein

Das Volkstheater ist dabei, Theater nicht nur für, sondern vor allem auch mit den Menschen aus Wien zu machen. Ein Prozess, der seit einem Jahr läuft, aber einen langen Atem braucht.

„Ich wünsche mir, dass es jeden Tag regen Betrieb im schwarzen Salon gibt, der unser Probenraum ist. Morgens Workshops für Schulen, dann Spieltriebe-Clubs, dann Fortbildungen für LehrerInnen.“

Die Bemühungen, die seit der ersten Spielzeit in Zusammenhang mit dem Projekt „Junges Volkstheater“ starteten, tragen bereits erste Früchte. Constance Cauers, Leiterin des „Jungen Volkstheaters“, erzählte mit viel Leidenschaft über ihre Arbeit, die theatrale Grenzen sprengt. Ziel für sie ist es, „die Stadtrealität Wiens im Volkstheater“ abzubilden.

Constance Cauers - Leiterin des Jungen Volkstheaters (c) www.lupispuma.com/ Volkstheater

Constance Cauers – Leiterin des Jungen Volkstheaters – Foto:© www.lupispuma.com / Volkstheater

Und dazu gehören neben den traditionellen Theaterbesuchenden auch Menschen, die bisher keinen oder wenig Kontakt mit dem Volkstheater hatten. Hilfreich dabei sind an die 20 Kooperationspartner. Angefangen vom Mumok über die Angewandte, bis hin zur VHS Ottakring oder Flüchtlingseinrichtungen. Das Junge Volkstheater ist in erster Linie kein Theater welches für ein junges Publikum produziert – vielmehr wendet es sich an Kinder, Jugendliche, aber auch an Erwerbstätige und Senioren, die über die Selbstbeteiligung beim Theatermachen miteinbezogen werden. „Es geht in erster Linie darum, das, was wir im Theater tun, nach außen zu bringen. Auf der anderen Seite möchten wir die Meinungen und Realitäten der Menschen ins Theater zurück spiegeln.“

„Da rennen uns die Menschen förmlich die Bude ein. Spielen, mitspielen, Theaterproduktionen entwickeln, wollen alle. Da haben wir Bewerbungen von 10-jährigen bis 72-jährigen.“

Um das zu erreichen, gibt es verschiedene Schienen im Haus.

„Das eine ist die ganz klassische, theaterpädagogische Schiene, nämlich die Zusammenarbeit des Theaters mit Schulen und Universitäten. Dann gibt es weitere Formate wie das Theaterfrühstück, den Theaterglobus, die Theaterkritiker/innen und den Spieltriebe-Bereich.“ Letzterer ist eines der gefragtesten Angebote des Hauses.

„Da rennen uns die Menschen förmlich die Bude ein. Spielen, mitspielen, Theaterproduktionen entwickeln, wollen alle. Da haben wir Bewerbungen von 10-jährigen bis 72-jährigen. Wer bei uns mitmacht, kommt richtig rein. Zum Beispiel die Kinder, die bei „Ausblick nach oben“ gespielt haben, irgendwo fleuchen die bei uns im Theater immer noch rum. Die eine spielt bei Medea mit, die andere ist in der Dorothea Neff-Jury gewesen, die Dritte ist bei den Theaterkritiker/innen, eine macht Hospitation.“

Das Junge Volkstheater in Aktion(c) Stephan Engelhardt

Das Junge Volkstheater in Aktion(c) Stephan Engelhardt

Das Wichtigste an all diesen Angeboten ist: Sie sind kostenlos und sehr niedrigschwellig. Jeder kann daran teilnehmen. „Wir gehen mit unserem Angebot aus dem Theater raus, raus aus dem Elfenbeinturm, weil wir wissen wollen, was die Leute draußen bewegt. Das sind die Geschichten, die wir im Theater auch erzählen wollen. Ohne dieses wechselseitige Verhältnis funktioniert das Theater nicht. Mitmachen kann jeder, egal welche finanzielle Ausstattung vorhanden ist.“

Dass diese Arbeit aber kein reiner Selbstzweck ist, erklärt Cauers so:

„Alles was wir hier tun, hat einen Rückschluss im Spielplan. Für das Stück „Der Trafikant“ arbeiten wir mit Menschen mit Fluchterfahrung in Zusammenarbeit mit dem Arbeitersamariterbund. Beim Projekt „Das Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ mit der Angewandten und der Kinder-Uni-Kunst.“

Dass es bei so neuartigen Projekten zu letztendlich auch produktiven Missverständnissen kommen kann, zeigte ein Beispiel, bei dem mit einer Schule in der Schopenhauerstraße zusammengearbeitet wurde.

„Bei diesem Projekt entstand ein anderes Projekt, das jetzt noch in der Planungsphase ist. Wir sind in die Schule gegangen und haben mit verschiedenen Künstlern zum Mädchen mit den Schwefelhölzchen gearbeitet. Träume, Wünsche und ein gutes Leben standen dabei im Vordergrund der Interaktion mit den Kindern. Nach drei Stunden haben sie gefragt: Und wann startet das Theater? Wir hatten keine Requisiten, Masken und Kostüme, sondern präsentierten ein neues Theater. Daraus entstand eine lange Diskussion darüber, was Theater eigentlich ist. Und aus dieser Diskussion und einigen Erkenntnissen entstand die Idee, in der nächsten Spielzeit einen Theater-Kinderkongress zu realisieren. Hauptthema: Was ist überhaupt Theater? Dabei werden die Kinder auf Forschungsreise hier im Haus geschickt. Sie sollen mit Forscherfragen durch die verschiedenen Abteilungen gehen und das, was sie gesehen haben, dann ihren Mitschülern präsentieren.“

„Ein erster Theaterbesuch muss entfachen. Es ist ganz wichtig, dass wir etwas finden, was das Feuer entflammt, um dann zu sagen, jetzt kann ich den Menschen auch mal etwas zumuten, was nicht ad hoc auf der ganzen Ebene verständlich ist.“

Neben der Arbeit mit Schülern ist es dem Team um Cauers aber auch enorm wichtig, unterschiedliche Kulturen ins Volkstheater zu bringen.

„Über die VHS Ottakring ist ein Kontakt zu einer jungen Künstlergruppe aus Bagdad entstanden. Es ist eine kleine Künstlercommunity, die dort gemeinsam gearbeitet hat. Die Menschen sind zu unterschiedlichen Zeiten geflüchtet und haben sich hier wiedergefunden. Nun suchen sie Orte, wo sie Kunst machen können. Hier fragen wir, gäbe es Möglichkeiten zusammenzuarbeiten? Schließlich sind wir ein Ort für alle und suchen Mittel und Wege das zu ermöglichen.“

Eine weitere Herausforderung ist es, Erstbesuchende vom Theater zu begeistern.

„Ein erster Theaterbesuch muss entfachen. Es ist ganz wichtig, dass wir etwas finden, was das Feuer entflammt, um dann zu sagen, jetzt kann ich den Menschen auch mal etwas zumuten, was nicht ad hoc auf der ganzen Ebene verständlich ist. Unsere Meinung ist: Theater muss nicht auf der ganzen Ebene verständlich sein, sondern du kannst dir auch Momentaufnahmen heraussuchen, die dich interessieren.“

Das Junge Volkstheater in Aktion(c) Stephan Engelhardt

Das Junge Volkstheater in Aktion(c) Stephan Engelhardt

Was würden Sie sich wünschen, dass Ende der Saison stattgefunden hat?

„Ich wünsche mir, dass es jeden Tag regen Betrieb im schwarzen Salon gibt, der unser Probenraum ist. Morgens Workshops für Schulen, dann Spieltriebe-Clubs, dann Fortbildungen für LehrerInnen.

Ich liebe den Geräuschpegel, wenn eine Schulklasse die Treppe hochkommt. Junge Leute verhalten sich ja nicht so, wie man sich im Theater verhalten muss. Das bedeutet für unser Theater auch, dass wir uns anderen Sichtweisen auf das Theater öffnen müssen. Die Leute wissen nicht, dass hier tagsüber gearbeitet wird. Die jungen Menschen haben, wenn sie ans Theater denken, als erstes nicht den Billeteur, nicht die Ankleiderinnen im Kopf, sondern die Schauspieler. Aber Theater ist ein großes Ganzes, ein Kreislauf, der sich schließt, wenn der Zuschauer dazukommt.“

Eigentlich ist es ein einfacher Nenner, der für die neue Idee des Jungen Volkstheaters steht.

„Das Volkstheater soll ein Ort sein, an dem ich sein kann wie ich bin und offen meine Meinung sagen kann.“

Weitere Informationen zum Programm des Jungen Volkstheaters auf der Webseite.

Jetzt verlassen wir die Gitterbett-Atmosphäre der Schule

Jetzt verlassen wir die Gitterbett-Atmosphäre der Schule

Der Abschlussjahrgang der Studienrichtung Schauspiel der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien zeigt sein Können im TAG. „Empört euch, ihr Krähwinkler!“ ist eine Gernot Plass-Umschreibung der Komödie „Freiheit in Krähwinkel“ von Johann Nestroy. Plass ließ es sich nicht nehmen, das Stück mit dem Schauspielnachwuchs auch selbst in Szene zu setzen. Als ehemaliger Absolvent der Hochschule hat er sich mit dieser Inszenierung viel vorgenommen. Denn es stehen insgesamt 12 Personen auf der Bühne. „So viel, wie noch nie in einer meiner Produktionen“, wie der Leiter des TAG konstatierte.

Stefanie Darnesa, die in die Rolle des Bürgermeisters schlüpft und Stanislaus Dick, der den Ultra spielt, erzählten kurz vor der Premiere ein wenig über die Zusammenarbeit mit dem TAG, aber auch über ihre Pläne und Hoffnungen.

StefanieDarnesa_c_WilliKubica

Stefanie Darnesa c) Willi Kubica

Das gemeinsame Arbeiten mit Gernot Plass fanden die jungen Leute toll. „Ich fand es spannend, welche Welt er in dem Stück erschaffen hat“, meinte Stefanie Darnesa, “dass in Europa der Kommunismus herrscht und ich das noch bestehende System, den Kapitalismus darstelle. Aber ich habe auch viel nachgelesen und recherchiert. Denn man muss sich schon mit den Dingen auseinandersetzen, um zu verstehen, was da gerade passiert. Die Stücke von Gernot Plass sind so angelegt, dass man sich freut, wenn man etwas wieder erkennt, aber ich glaube, dass es unmöglich ist, als Zuschauer alles auf einmal zu verstehen, was in dem Stück drin ist.“

In der Überschrift „Empört euch, ihr Krähwinkler“, hat Plass auch Stephane Hessel mit seinem Welterfolg zitiert. „Ja, den habe ich gelesen, als er herausgekommen ist und das hat mich und mein Umfeld natürlich beeinflusst“, ergänzt Stanislaus Dick.

Auf die Frage, ob sie in ihrem Beruf politische Einflussnahme ausüben werden können oder ob sie das eventuell den Regisseurinnen und Regisseuren alleine überlassen, kommen sehr reflektierte Antworten.

Darnesa findet es sehr wichtig, dass man mit dem Theater auch etwas sagen will und dass man daran glaubt, dass Theater mehr bewirken kann als die Leute einfach nur zu unterhalten, und weiter: „Was mich, wenn ich ins Theater gehe überhaupt nicht interessiert ist, wenn da Leute oben stehen, die feiern, wie toll sie spielen. Ich will, dass mir was erzählt wird, und wenn es eine politische Relevanz hat, dann auch das.“

Stanislaus Dick (c) Willi Kubica

Stanislaus Dick (c) Willi Kubica

Für Dick ist der Theaterbegriff an sich nicht der, der Unterhaltung, sondern einer, der in Beziehung zu Aktuellem oder zu Grundsätzlichem steht. „Das ist das, was mich am Theater immer schon interessiert hat. Auch, dass man in jahrhundertealten Texten Themen findet, die noch immer sehr aktuell sind.“

Zur Zeit „post TAG“ befragt, erklärt Dick, wie das ehemalige „Kons“ versucht, seine Studierenden auf die Bretter der deutschsprachigen Theaterbühnen zu bringen.

„Unser Studium ist so aufgebaut, dass wir als Ensemble im vierten Jahr auf Intendantenvorsprechreise gehen. Das heißt, wir fahren durch den deutschsprachigen Theaterraum und stellen uns da als Ensemble vor. Das dient dazu, Kontakte zu knüpfen und gesehen zu werden. Einige von unserer Klasse haben schon ein Engagement, andere sind noch auf der Suche. Ich werde ab der nächsten Spielzeit fix im Ensemble in St. Pölten beginnen.“ Darnesa hingegen ist noch auf der Suche nach einer Anstellung.

Warum der Beruf faszinierend ist, wird ganz individuell ausgelegt.

„Ich finde es immer total spannend, verschiedene Welten zu erschaffen und die zu zeigen, auch, dass man Sachen machen darf, die man sonst nicht machen darf und ich wünsche mir, dass das Theater Leute auf ganz viele, verschiedene Arten bewegt. Was ich auch ganz wichtig finde, ist der Kontakt sowohl zu den Spielpartnern als auch zum Publikum. Wir haben einen Beruf, der das fordert und in dem man das auch darf.“ Darnesas Anworten kommen ungefiltert, schnell und wie aus der Pistole geschossen.

Stanislaus Dick: „Ich glaube, ich darf da ganz egoistisch an diese Frage herangehen. Ich erhoffe mir, dass ich damit glücklich werde, dass es mich in meiner Entwicklung bereichert und dass ich mich bestmöglich entfalten kann. Und das sind Fragen, die wir bis jetzt noch gar nicht richtig beantworten konnten. Wir sind in einer Umbruchphase und verlassen die Gitterbett-Atmosphäre der Schule nun tatsächlich für immer und werden jetzt in die harte Realität geschmissen. Ich glaube, dass wir da jetzt mit viel Neugier aber auch Contenance an die Sache herangehen müssen. Die Welt da draußen ist nicht unbedingt eine sehr leichte, vor allem in diesem Beruf. Und was ich mir noch erhoffe, ist Menschen zu berühren. Im Beruf des Schauspielers habe ich immer mehr gesehen als nur eine Marionette des Regisseurs zu sein, die gut sprechen kann. Mir geht es um die Aufgabe, Menschen aus ihrem Alltag in Geschichten hineinzubringen und zu verführen und ihnen gewisse Dinge näher zu bringen. Sei es das, was in einem Stück verhandelt wird, oder sei es das, was in einem selbst brennt. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe, die, so glaube ich, kaum jemand in dieser Gesellschaft so erfüllt wie ein Schauspieler oder vielleicht noch ein Lehrer in einer Schule.“

Eine Woche vor der Premiere möchte ich noch gerne wissen, welche Hoffnungen sie mit der Aufführung im TAG verknüpfen: „Den Text können“ antwortet Dick prompt und Darnesa fügt nahtlos hinzu: „Es gibt eine hohe, sprachliche Virtuosität in dem Stück und wir müssen daran arbeiten, dass es einfach läuft. Meine Hoffnung ist, dass es von vorne bis hinten eine runde Sache wird und auch wenn man etwas verpatzt, am Ende die Leute rausgehen und davon nichts gemerkt haben.“

„Das Stück, so wie es geschrieben und aufgebaut ist, ist sehr ungewöhnlich für den normalen Theaterbesucher. Zu irritieren, die Leute auch zu inspirieren aber sie auch wirklich zu erreichen, das ist meine große Hoffnung. Dass wir uns nicht in der Form verlieren, sondern dass diese auch aufgeht und überlebt.“ Dicks Antworten sind – sehr erstaunlich für jemanden, der gerade mit dem Studium am Fertigwerden ist – druckreif.

Stefanie_Darnesa_und_Stanislaus_Dick (c) European Cultural News

Stefanie_Darnesa_und_Stanislaus_Dick (c) European Cultural News

Lampenfieber konnten die beiden nicht ganz ausschließen, denn zwar hat sich in den vier Ausbildungsjahren schon eine gewisse Routine eingeschlichen, die aber bei dieser speziellen Produktion nicht zum Tragen kommt. Vielmehr freuen sie sich auf die Vorstellung. „Das ist immer ein gutes Zeichen für eine Premiere“, so Dick und „mit jedem Durchlauf freuen wir uns mehr, dass es jetzt endlich losgeht und wir das Stück vor Publikum spielen dürfen!“, das letzte Wort hatte in diesem Interview die Dame.

Die Zeit läuft!

Die Zeit läuft!

„Noch eine Minute, dann muss der Fisch raus! Raus damit Kevin, raus damit!“ Der große Mann in der schwarzen Kochmontur, der laute Anweisungen gibt, steht hinter einem Anrichtetresen in einer Küche der Hertha Firnbergschulen in Wien. Vor ihm, an und zwischen den Töpfen und Schneidbrettern agiert Kevin Micheli. Er ist gerade dabei, sich für die Europarunde des Bocuse d`or in Budapest zu qualifizieren. Sein Coach, Moses Ceylan, ausgerüstet mit mehreren Eieruhren, die er vor sich aufgebaut hat, lässt ihn keine Sekunde aus den Augen und unterstützt in verbal. Die beiden arbeiten gemeinsam im Einstein in St. Gallen und bilden mit Sebastian Zier an ihrer Seite ein Triumvirat, das auf Sieg aus ist. Zier achtet mit Argusaugen auch auf jeden einzelnen Handgriff von Paul Berberich, dem Commis von Micheli.

Am zweiten Arbeitsplatz in der Küche werkt Stefan Csar gemeinsam mit seinem Commis Manuel Kollmann. Csar übersiedelte in den letzten Tagen erst von der “Heimatliebe“ in Kitzbühel ins Burgenland, zum Wachter-Wieslers Ratschen in Deutsch-Schützen. Auch er würde gerne nach Budapest reisen, um sich von dort nach Frankreich zu kochen, nach Lyon, wo 2017 im Rahmen des Bocuse d`or der beste Koch der Welt gekürt werden wird. Ruhig und konzentriert arbeitet er, gibt hin und wieder kurze Anweisungen, zeigt zwischendurch Kollmann noch den einen oder anderen Handgriff. Im Gegensatz zu Micheli, der sich für diesen Auftritt ungefähr eine Woche vorbereitet hat, war es bei Csar nur ein einziger Tag. Die Übersiedlung von Tirol ins Burgenland hat Zeit gekostet, seinen Commis hat er erst wenige Tage vor dem Ereignis kennengelernt. Dennoch lässt sich das Ergebnis, das er auf die Teller zaubert, sehen.

Zu einem großen Teil mitverantwortlich, dass der Wettkampf in den Herha Firnberg Schulen stattfinden konnte, ist Johann Reisinger, der dort gemeinsam mit vielen anderen ehemaligen Großen der österreichischen Gastronomieszene unterrichtet. Anerkannter Spezialist auf dem Gebiet von ursprünglichen Lebensmitteln, erarbeitete er mit der Klasse von Günter Plessl an diesem Tag einige Gemüsegerichte, die schon ein wenig in die großen Gerichte der beiden Jung-Köche einstimmen. Helmut Österreicher wiederum kümmert sich an diesem Ausnahmetag mit seiner Jungmann- und –frauschaft um einen Teil der Desserts. Die Qualität der Lehrer ist ausschlaggebend für die Ausbildung der Schülerinnen und Schüler, die hier ihr Handwerkszeug erlernen. Ein Tag wie dieser, ist allerdings etwas ganz Besonderes. Dominik Gfällner und Anna Maria De Oleivera-Zeiser, noch in der Reisinger-Klasse, haben die Ehre, direkt in der Küche der beiden Nominierten dabei zu sein. Die junge Dame unterstützt das Micheli-Team, Gfällner steht Csar zur Seite. Dabei bekommen sie live mit, was es heißt, sich unter die Besten der Besten kochen zu wollen.

Konzentration ist oberstes Gebot, auch wenn rundherum mindestens 20 Menschen stehen, die beim Arbeiten zusehen. Journalistinnen und Journalisten genauso wie die Crème de la Crème der österreichischen, gehobenen Gastronomie. Heinz Reitbauer, Sepp Brüggler, Silvio Nickol, Sepp Schellhorn, Rudi Obauer in seiner Funktion als Präsident des National Organizing Committees des Bocuse d’Or , Thomas Göls, Karl Obauer, Simon Taxacher, Thomas Dorfer, Martina Hohenlohe, Philip Rachinger, Martin Klein – sie alle sind nach Wien gekommen, um nach einem strengen Punktesystem den Sieger zu küren.

Die Jury lässt es sich ebenfalls nicht nehmen, den Köchen bei ihren Vorbereitungen zuzusehen und nebenher fachzusimpeln. Wer so ein Gedränge nicht aushält, ist Fehl am Platz. Es ist eine kleine Vorbereitung für das, was im Europafinale und erst recht in Frankreich selbst auf sie wartet. Nicht nur Lebensmittel, Zutaten und kleine Gerätschaften haben sich die Köche nach Wien mitgebracht. Aus St. Gallen ist man gar mit einem ganzen Lieferwagen angereist in den die verschiedensten Küchengeräte eingepackt wurden. Und doch schlägt der Live-Dämon dem gut vorbereiteten Micheli ein kleines Schnippchen. Als er mithilfe einer Edelstahl-Schablone seine Spinatkomposition in Form einer großen See-Alge auftragen will, kommt der Schock. „Die Teller sind leicht uneben!“ Damit hat der junge Mann nicht gerechnet. Nach den ersten beiden Fehlversuchen, unter Zeitdruck wohlgemerkt, hat er dann doch den richtigen Dreh gefunden und produziert bildschöne Fischteller.

Für beide Kandidaten gibt es ein Generalmotto – Stör soll beim Fischgang serviert werden und Hirschkalbsrücken beim Fleischgang. So kann die Jury halbwegs angemessen vergleichen. Wie individuell die Gerichte dann ausfielen, mit wie viel Eleganz und Kreativität sie angerichtet wurden, hatte wirklich große Klasse.

Stör mit Mousse in der Kartoffel, Gurke, Rettich und Avocado nannte sich Csars Fischgang. Stör mit Kaviar, Kräutern, Topinamur und Beurre blanc jener von Micheli. Etwas untertrieben, wenn man sich die ausgefallenen Zubereitungsmethoden der Kreativköche näher ansah.
Hirschkalbsrücken mit Sellerie, Sanddorn, grünem Apfel und Trüffel gab es als Fleischgericht bei Csar. Micheli überzeugte mit seinem Hirschkalbsrücken mit Trüffeln, Gänseleber und ebenfalls Sellerie.

So hektisch die ersten Stunden in der Küche auch verliefen – je näher der Ausgabetermin der Gerichte nahte, umso ruhiger wurde es dort. Nicht nur, dass die Gäste das Beisammensein im festlichen Foyer für einen ausgiebigen Austausch untereinander nutzten. Die Köche selbst hatten den Großteil ihrer Arbeit hinter sich. Das Anrichten zum Schluss ist nur mehr die Kür, die Pflicht ist nur mehr durch einen Arbeitsplatz gekennzeichnet, der noch aufgeräumt werden muss.

Die Entscheidung war denkbar knapp. Rudi Obauer bedauerte, dass es nur einen Sieger geben kann, denn immerhin schafften beide über 700 Punkte. Er sei „wahnsinnsfroh“, dass für diesen Tag alles vorbei ist. Man merkte ihm, aber auch dem Zweiten, Stefan Csar die Erleichterung richtig an. Was für Kevin Micheli und sein Team nun eine weitere Runde mit immenser Vorbereitung bedeutet, für die die Zeit bereits läuft, ist für Stefan Csar nun nur mehr eine Episode in seiner Karriere. Er startet jetzt mit Volldampf an seinem neuen Arbeitsplatz im Südburgenland und wird dort die Gäste vielleicht auch mit jenen Gerichten erfreuen, die er bei der Bocuse d`or Ausscheidung in Wien gekocht hat.

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