Wie Mücken im Licht

Wie die Mücken im Licht im Schauspielhaus Wien

Gideon Maoz in dem Stück „Wie die Mücken im Licht“ von Anne Habermehl (© Alexi Pelekanos / Schauspielhaus

Ein kleiner, schmaler Gang – links und rechts davon einige Zuschauerreihen. Aus dem Dunkel tritt ein junger Mann ins Scheinwerferlicht, das sich bald als Sonnenstrahl, der durch das kleine Fenster einer Gefängniszelle fällt, erklärt. Die Verzweiflung über die Einzelhaft ist dem Jungen ins Gesicht geschrieben. Aber trotz aller Erniedrigung ist er einer, der sich für seinen Traum nicht brechen lässt. Gideon Maoz spielt im Nebenhaus des Schauspielhauses im jüngsten Stück von Anne Habermehl einen jungen Mann im „Roten Wien“, der für seinen Traum von der Gleichheit der Menschen ins Gefängnis gesteckt wird. Seine Erzählung, die immer wieder von beinharten Zusammenbrüchen stakkatoartig rhythmisiert ist, macht klar, dass er am Beginn jener historischen Entwicklung steht, in welcher das Jahrtausende alte feudale System der Idee des Sozialismus und des Kommunismus Platz machen musste. Mit Lichtwechsel und einem Soundtrack von Donna Summer schlüpft Maoz in eine zweite Rolle – jener eines Mannes in Prag, der das Ende des Kommunismus miterlebt und eine sehr subjektive Beschreibung dieser letzten Monate gibt. Für ihn bedeutet das Sterben dieser gesellschaftlichen Idee zugleich seinen eigenen Tod – seinen bewussten Tod, den er auch als Protest gegen Kommendes verstanden wissen will. Mit der Interpretation eines wütenden Jungen aus zerrütteten Familienverhältnissen, der mit sich und seiner Wut nichts anzufangen weiß und ein junges Mädchen vergewaltigt und schwer verletzt, schlüpft Maoz an diesem Abend in seine dritte Rolle und keine davon scheint ihm nicht auf den Leib geschrieben. Die Produktion, für welche die junge Autorin auch als Regisseurin verantwortlich zeichnet, hat aber noch viel mehr zu bieten als eine schauspielerische Glanzleistung in einem stimmigen Surrounding.

Anne Habermehl gelingt es mit den drei Monologen den Bogen vom Beginn bis zum absoluten Ende der kommunistischen Idee zu spannen und lässt das Publikum in einem Jetztzustand, der von allen zwar wahrgenommen wird, nicht jedoch gedeutet werden kann. Die Idee der Brüderlichkeit ist längst im Nebel der Geschichte verschwunden, eine neue Idee, die an deren Stelle treten kann, ist nicht in Sicht. Die Geschichte des jungen Mannes in der Jetztzeit macht mehr als deutlich, dass die Vorstellung, dass der Individualismus das höchste Gut von allen sei, eine gänzlich falsche ist. Habermehls brillante szenische Aneinanderreihung von unterschiedlichen Schicksalen aus unterschiedlichen Epochen stellt einmal nicht eine Kapitalismuskritik in den Vordergrund, sondern richtet den Blick vielmehr auf die immanente Geschichtlichkeit jeder Zeit, auch der Unsrigen. Sie deutet an, dass nichts so bleibt, wie es ist – und das ist das einzig Tröstliche an diesem Abend. Auch unser jetziges kapitalistisches System wird einmal Geschichte sein.

„Wie Mücken im Licht“ – so der Titel der Produktion – ist ein weiterer Zustandsbericht unserer gesellschaftlichen Verfasstheit, in der zwar das Alte noch Nachwirkungen auf unser Leben hat, wenngleich die politischen Ideen sich teilweise ad absurdum führten. Der Umbruch ist allgemein spürbar, das Ende des Turbokapitalismus aller Orten bereits greifbar – wie sich aber in Zukunft unsere Gesellschaft neuorientiern kann, darüber spekuliert Habermehl nicht einmal.

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